Full text: Zeitschrift für Philosophie und Pädagogik - 15.1908 (15)

I Philogsophisches 283 
 
Bei alledem ist es nicht falsch, wenn gich Verfasger auf ein un- 
mittelbares Gefühl der Harmonie und Digharmonie beruft, welches unter 
Umständen Strafe und Zwang fordert und dadurch befriedigt wird. Das 
i8t die Idee der Billigkeit. Recht und Billigkeit gind ja oft nicht aus- 
einander gehalten. Es ist ein Verdienst Herbarts, gezeigt zu haben, daß 
beides auf vergchledenen Willengverhältnisgen beruht. Verfasger hat recht, 
wenn er beides Recht und Billigkeit auf ein unmittelbares Gefühl der 
Harmonie und Digharmonie gründet, aber er hat die Glieder der Verhält- 
nisse oder die psychologischen Bedingungen nicht genug analygiert und 
dargelegt, welche die betreffenden Gefühle erzeugen. 
Ks wäre zu wüngehen, daß die treffliche Rede viele veranlaßte, 
immer von neuem der uralten Frage nachzudenken: was ist Recht? 
0. Flügel 
Bureau, Paul, La Crise Morale des Temps nouveauz, mit einer Kin- 
leitung von Prof, Dr. Alfred Croiget, Mitglied des „Institut de 
France, Dekan der literarischen Fakultät der Pariser Univergität, ein Band 
in 89 aus der Sammlung: Etudes de Morale et de Sociologie. 
Paris, Bloud & Co., 1907. IX/360 8. 3,50 Fr. 
Ein Mahnruf, 80 hätte der Verfasger dieses Buches gein Werk be- 
titeln können. Denn es ist tatsächlich eine ernste und beredte Warnung 
an das französSigeche Volk, Und dieger Mahnruf Scheint zur richtigen Zeit 
zu ertönen, denn in wenigen Monaten waren acht Ausgaben vergriffen, und 
bereits ist Ende Dezember die neunte erschienen, 
Paul Bureau, der durch geine vorzüglichen Sozialen Arbeiten nicht 
nur in Frankreich, Sondern auch in Belgien und in der franzögischen 
Schweiz längst bekannt ist, 1?) gibt uns in geinem neuen Buche ein höchst 
trauriges -- fast hätte ich gegagt ein höchst tragisches Bild der heutigen 
Sittenlosigkeit in geinem Vaterlande. Wer ein anschauliches Bild der 
gegenwärtigen Sittenlosigkeit in manchen Kreisen der franzögsischen Re- 
publik gehen will, wird kaum eine treuere Darstellung finden können. 
Der Alkobholismus nimmt leider in Frankreich geit zwei Jahrzehnten 
in ergchreckender Weise zu. Die Statistik beweist, daß in den letzten 
Jahren viermal mehr Alkobol getrunken wurde, als vor zwanzig Jahren. 
Im Jahre 1884 wurden in Frankreich 49 335 hl. Branntwein getrunken. 
Im Jahre 1894 wurden bereits 125 078 hl. verkauft. Im Jahre 1904 aber 
wurden 207 907 hl., begonders Wermut, »Amer Picon« (ein mit Orangen- 
Schalen verfertigter Likör u. a. m.) getrunken. 
In einem Lande, das nur nennunddreißig Millionen Einwohner zählt, 
waren am 31. Dezember 1904. . . . 468434 
und am 31. Dezember 1907 bereits . 473 793 
Schenken für Alkohol und ähnliche Getränke vorhanden. 
1) Hauptwerke: Le contrat de travail et le röle des Syndicats pro- 
fesSionnels. Paris 1902, Alcan; L"'asSociation de V'ouvrier aux profits 
du patron et 1a participation aux benefices; La diminution du revenu 
et 1a baisse du taux de l'interst; Le homestaed ou l'ingaigisgabilite de 
Ja petite propriete fonciere. Paris 1894.
	        
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