'Teuscher: Die Erziehnngsanstalten d. Philanthropisten Christian Carl Andre. 1925
ohne Erlaubnis ausgehen, unternahmen längere Reigen und erhielten an-
Sehnliche Jahresbesoldung. Damit hofft Andre eine Stuſenfolge geschaffen
zu haben, in deren Verlauf Sich das Kind „durch eigene Anstrengung und
Verdienste aus dem Verhältnis des gehorsamen Kindes, das bloß geliebt
werden konnte, zur Würde der vernünftig Selbst denkenden und moralisch
Selbst handelnden Freundin“ emporhebt, *)
Voraussetzung zur Erreichung des Erziehungsziels ist ihm eine geregelte
physiSche Krziehung, insbesgondere beim Mädchen zur Erhaltung der
Generation. Andre überträgt damit einen für den Philanthropismus kenn-
zeichnenden Zug auf die Mädchenerziehung. Vreiheit von den Eitelkeiten
der Mode verlangt er: einfache, gesundheitsfördernde Kleidung, ferner hohe,
heile Wohn- und Schlafräume, einfache Nahrung, körperliche Abhärtung
durch Aleißiges Baden, tägliche Bewegung in der freien Luft (auch im
Winter), kleine und größere Reisen.*?) Rein praktisch Stellt Sich die Er-
ziehung das Ziel, die Mädchen auf ihren doppelten Beruf als Mutter und
Hausfrau vorzubereiten. Durch eine große Reihe weiblicher Handarbeiten
wird dieges praktische Ziel zunächst verwirklicht, zum andern durch ziel-
bewußte Auswahl der Unterrichtszweige und -stoffe. So wird von den
Mädchen an Arbeiten gefordert: praktische Kenntnis auf dem Gebiet, der
Haus-, Garten- und Landwirtschaft, Geschicklichkeit in weiblichen Nadel-
arbeiten, Fertigkeit in der Buchführung. Dazu werden gie angeleitet, Sich
ihrer Jüngeren Geschwister und Gespielen auf eine richtige Art anzu-
nehmen, und erwerben Sich dadurch auch pädagogische Kenntnisse.
Theoretische Ergänzung finden diese Arbeitsgebiete durch Unterricht in der
Haus- und Peldwirtschaftskunde, Naturgeschichte, Anweisungen in Ge-
Sundheitslehre, pädagogische und psychologische Unterweigungen. Gegen-
über diegen aufs Praktische gerichteten Bestrebungen treten die eigentlichen
Unterrichtsfächer etwas zurück, doch finden Moral- und Religionsunterricht,
Geschichte, Geographie, Physik, Geometrie, Arithmetik, Schreib-, Zeichen-
und Musikübungen eine Stelle. Begonderes Interesse verdienen Moral- und
Religionsunterricht. Moralunterricht 301] zunächst den Religionsunterricht,
vorbereiten, an zahlreichen Beispielen abstrakte Begriffe klären. Später
Soll er neben dem Religionsunterricht ein eigenes Moralsystem bilden helfen.
Für die Reifen klingt er in eine Philosophie über den Zugammenhang
zwiSchen Gott, Welt und Menschen aus, Sucht aus höheren Prinzipien die
Maximen der Lebensweisheit abzuleiten. Dadurch umschließt der Moral-
unterricht zugleich die Lehren der natürlichen, der Religion der gesunden
Vernunſt. Wesgentlicher Bestandteil des christlichen Religiongunterrichts
iSt: Worschen in der Quelle, Legen des Neuen "Pestaments mit haupt-
Sächlichem Verweilen bei den Aussprüchen und moralischen Lehren Jesu,
wovon das Praktische für die Bestimmung des Weibes entwickelt wird.
1) Kbenda. .
?) Vgl. Andre, Kleine Wanderungen, auch größere Reisen der weiblichen
Zöglinge zu Schnepfenthal, um Natur, Kunst und den Mengechen immer begsser
kennen zu lernen. Leipzig 1788.
Zeitschr,. f. Gesch, d. Erziehg. u. d, Unterrichts. YV. ». 1915. . 9
S5