Kluge: Der Humanismus des 16, Jh. in Seinen Beziehb. z. Kirche u. Schule. 7
Material zu einem neuen Bilde zu gewinnen, wobei dann die Bekannt-
Schait mit der gegenwärtigen und vergangenen Literatur freilich Vor-
ausgetzung ist. „Die Wissenschaft beginnt jengeits der Dokumente!).“
Unter den Quellen, pädagogischen Abhandlungen, akademischen Reden,
zeitgegehichtlichen Gelegenheitsschriften, wisSenschaftlichen philolo-
gischen und theologischen Werken nimmt eine besondere Stelle ein
die dreibändige „Institutio Literata Torunensis“ 1586/8?): die Samm-
lung der pädagogischen Schriften J. Sturms (1507---89) und anderer
großer Männer der Schule und Wissenschaft, hergestellt, als es galt,
das Gymnagium in Thorn, eine in jener Zeit hervorragende Bildungs-
Stätte, zu reformieren. Das 3000 Quartgeiten starke Werk, eine Schon
technisch außerordentliche Leistung, enthält eine Enzyklopädie der
Gymnagialpädagogik und einen Aufriß der Univergitätswissenschaften.
Sein Zweck war der Nachweis der Bildungsstufe des höheren Schul-
wegens und der Hinweis auf die beste Methode bei der Gründung von
Schulen und Hochschulen*). Sturms Schuleinrichtungen in Straßburg
waren vorbildlich nicht nur für Deutschland, Sondern auch für die
außerdeutschen Länder. Er 1st der größte Schultheoretiker des 16. Jh.
Ich Spreche hier von ihm, weil er den Typ des damaligen humanistischen
oSchriftstellers reprägentiert, den Pyp des „ecrivaim“, dem das Handwerk
des Schreibens, die Kenntnis des Metiers -- im geistigen, uicht im
Soziologischen Sinn --- eine Selbstverständlichkeit ist. Gleichgültig,
was er anpackt: er geht immer mit Geschmack, mit Verantwortung vor
der Sprache, auf dem gelbstverständlichen Niveau geines Geistes an
Seine Aufgabe heran. In der Meinung, daß Schriftstellerei lehr- und
lernbar ist, fühlt er Seinen Beruf im der Vermittlung des Handwerk-
lichen, das er für das Wegentliche der Schreibekunst hält. So wird er
Lehrmeister der Routine, der klassiSchen "Tradition des Reden- und
1) Ortega y Gasget, J., Europ. Revue. 4 (1928), 8. 263. - 7) 8. Ab-
kürzungen. Exemplare in Berlin (Staats-B.), Breslau (U.-B.), Göttingen (U.-B.),
Greifswald (U.-B.), Heidelberg (V.-B.), Königsberg (U.-B.), Thorn (Ksiaznica
miejSka im. Kopernika), Krakau (Jagellonische Bibl.). Das 'Phorner Exemplar
trägt nach Angabe des Archivdirektors Dr. Zygmunt Mocarski eine hand-
Schriftliche Widmung des Bürgermeisters Heinr. Stroband, „qui et caput et
manus et mens fuit huic Thesauro, nervos et sumptus Suppeditans affatim“
Unetitutio 2, BI. 3*?), Eine bibliographische Beschreibung von K. Estreicher
in BiblJografja Polska Tom. 18. Krakau 1901. S. 582/3. Kine Gegschichte des
Thorner Gymnagiums Schreibt gegenwärtig Dr. Tync. In Straßburg hat sich
keine Spur Sturms erhalten. -- *) Rektor und Kolleginm des Thorner Gymna-
Sinms gchreiben in ihrer Anrede an den damals 80Jjährigen Sturm (Institutio 1,
BI. 2?): „Bei ungerer Schulreform folgten wir dem Plan, den du gezeigt hast,
und wir mußten ihm folgen, denn dich hat die Erfahrung gelehrt, was hierin
von Nutzen ist; du hast es weise überlegt und geschmackvoll dargestellt“.
Und ein Vorspruch unterrichtet die Teilnehmer des Actus Classicus (Insti-
vutio 2, 3. 6): „Es war nämlich von dem ehrenfesten hochgelehrten Herrn
Johanne Sturmio Rectore ein gsehr 8schöner lieblicher ordo oder methodus
docendi den Praeceptoribus classicis fürgeschrieben, welche autores oder
Bücher ein Jeder interpretieren und wie weit er geiner Klassen discipulos
bringen solle“. Außerdem unterstützte den Plan der Drucklegung das all-
gemeine Verlangen nach Sturms fast vergriffenen Schriften.