Full text: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts - 17.-19.1929 (17 bis 19)

Kluge: Dev Humanismus des 16. Jh. in Seinen Bezieh. z. Kirche u. Schule. 5 
 
und der Selbstverantwortlichkeit gehabt hat. Daß das Bündnis zwischen 
Reformation und Humanismus, wie es in den ersten Jahren bestand, 
bald zerriß, lag an der Unvereinbarkeit von äsgthetischer Bildung und 
rationalistisch em Wisgenschaftsbetrieb einergeits, asketischem Moralismus 
und unbedingter Gläubigkeit andergeits, von immanenter Weltanschauung 
und transzendenter Heilsordnung?). Die Führer des Humanismas, 
Krasmus, Reuchlin, gingen ihre eigenen vom Luthertum abführenden 
Wege (s. u. 9. 31) bezw. sie wurden durch die Reformation überholt 
und antiquiert: die humanistische Jugend fiel von ihnen ab und dem 
Bündnis mit Luther zu. In diesgem Sinne kann man Sagen! der Re- 
naisSance-Humanismus ist mit Seinen innersten Tendenzen nicht, durch- 
gedrungen. Der Bildungsbegriff wurde durch die Reformation ins 
Religiöge umgebogen, und die Bewegung verlief in Bahnen, die durch 
die Reformation vorgezeichnet waren. Daher hat man bei Betrachtung 
des Humanismus in der Zeit nach 1520 oft den Kindruck, in Philosgophie 
und Theologie auch bezüglich des neuen Kirchenbegriffs und Glaubens- 
inhalts auf dem Boden des Dogmas zu stehen (s, u. S. 32). Der Gang 
der Untersuchung wird das im einzelnen zeigen. Aber Unbedingtheit 
im Urteil und Freiheit der Forschung Sind keine Gegengätze. Die 
Männer der neuen Zeit Sind gich dessen bewußt, daß sie durch die 
philologische Wissgenschaft nicht nur zu einem reinen Lateinsprechen 
und -Schreiben, Sondern auch zu einer ungetrübten Kenntnis des Alier- 
tums in Philogophie, Geschichte und Realwisgenschaften vordringen, 
daß Sie dem Unterrichtswegen eine höhere und freiere Gestaltung geben. 
Sie haben durch ihre Reformarbeit jenes Scharfe und vorurteilslose 
Welt- und Selbstbewußtsein vorbereitet, durch das Sich das Leben der 
Gegenwart von dem dunkeln unklaren des MA. unterscheidet. Das 18% 
der Erfolg des Humanismus. 
Die Gegnerschaft der neuen Kirche gegen die alte, bei den 
Humanisten des 16. Jh. der Unterton ihres streitbaren und gelehrten 
Auftretens, hinderte nicht den PFortschritt der WisSsenschaft. Sie Sind 
auf Schulen und Univergitäten gämtlich Anhänger der neuen Lehre; 
das katholische Deutschland war bei aller fachmännischen Gelehrgamkeit 
wisgenschaftlich-literarisch nicht produktiv. So ist das 16. Jh. die Zeit 
der Alleinherrschaft des Klasgizigmus, einer Herrschaft, die -- wenn wir 
die Wellenbewegung der Gegcehichte weiter verfolgen -- noch nicht mit 
der Opposition der kirchlichen Orthodoxie und des modern-rationalen 
Realiginus zu kämpfen hatte. Im 16. Jh. ist der Einfluß Luthers und 
der Reformationsbewegung noch 80 stark, daß Sie die KklassiSchen 
 
1) Burdach 8.159 und Ellinger 9. 568 gehen den Grund der schroffen 
Scheidung darin, daß der aristokratische Charakter des Renaissance-Humanis- 
mus der reformatorischen Strömung durchaus fremd war. Ahnlich, nur 
wegentlich schärfer, Voigt 2, 8. 213. Den vorbereitenden Linfluß des 
Humanismus betont außer Paulsen und Geiger besonders Gillert 1, S, LXIV, 
die andere Seite des Verhältnigsses Muther 8. 65.
	        
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