Kluge: Dev Humanismus des 16. Jh. in Seinen Bezieh. z. Kirche u. Schule. 5
und der Selbstverantwortlichkeit gehabt hat. Daß das Bündnis zwischen
Reformation und Humanismus, wie es in den ersten Jahren bestand,
bald zerriß, lag an der Unvereinbarkeit von äsgthetischer Bildung und
rationalistisch em Wisgenschaftsbetrieb einergeits, asketischem Moralismus
und unbedingter Gläubigkeit andergeits, von immanenter Weltanschauung
und transzendenter Heilsordnung?). Die Führer des Humanismas,
Krasmus, Reuchlin, gingen ihre eigenen vom Luthertum abführenden
Wege (s. u. 9. 31) bezw. sie wurden durch die Reformation überholt
und antiquiert: die humanistische Jugend fiel von ihnen ab und dem
Bündnis mit Luther zu. In diesgem Sinne kann man Sagen! der Re-
naisSance-Humanismus ist mit Seinen innersten Tendenzen nicht, durch-
gedrungen. Der Bildungsbegriff wurde durch die Reformation ins
Religiöge umgebogen, und die Bewegung verlief in Bahnen, die durch
die Reformation vorgezeichnet waren. Daher hat man bei Betrachtung
des Humanismus in der Zeit nach 1520 oft den Kindruck, in Philosgophie
und Theologie auch bezüglich des neuen Kirchenbegriffs und Glaubens-
inhalts auf dem Boden des Dogmas zu stehen (s, u. S. 32). Der Gang
der Untersuchung wird das im einzelnen zeigen. Aber Unbedingtheit
im Urteil und Freiheit der Forschung Sind keine Gegengätze. Die
Männer der neuen Zeit Sind gich dessen bewußt, daß sie durch die
philologische Wissgenschaft nicht nur zu einem reinen Lateinsprechen
und -Schreiben, Sondern auch zu einer ungetrübten Kenntnis des Alier-
tums in Philogophie, Geschichte und Realwisgenschaften vordringen,
daß Sie dem Unterrichtswegen eine höhere und freiere Gestaltung geben.
Sie haben durch ihre Reformarbeit jenes Scharfe und vorurteilslose
Welt- und Selbstbewußtsein vorbereitet, durch das Sich das Leben der
Gegenwart von dem dunkeln unklaren des MA. unterscheidet. Das 18%
der Erfolg des Humanismus.
Die Gegnerschaft der neuen Kirche gegen die alte, bei den
Humanisten des 16. Jh. der Unterton ihres streitbaren und gelehrten
Auftretens, hinderte nicht den PFortschritt der WisSsenschaft. Sie Sind
auf Schulen und Univergitäten gämtlich Anhänger der neuen Lehre;
das katholische Deutschland war bei aller fachmännischen Gelehrgamkeit
wisgenschaftlich-literarisch nicht produktiv. So ist das 16. Jh. die Zeit
der Alleinherrschaft des Klasgizigmus, einer Herrschaft, die -- wenn wir
die Wellenbewegung der Gegcehichte weiter verfolgen -- noch nicht mit
der Opposition der kirchlichen Orthodoxie und des modern-rationalen
Realiginus zu kämpfen hatte. Im 16. Jh. ist der Einfluß Luthers und
der Reformationsbewegung noch 80 stark, daß Sie die KklassiSchen
1) Burdach 8.159 und Ellinger 9. 568 gehen den Grund der schroffen
Scheidung darin, daß der aristokratische Charakter des Renaissance-Humanis-
mus der reformatorischen Strömung durchaus fremd war. Ahnlich, nur
wegentlich schärfer, Voigt 2, 8. 213. Den vorbereitenden Linfluß des
Humanismus betont außer Paulsen und Geiger besonders Gillert 1, S, LXIV,
die andere Seite des Verhältnigsses Muther 8. 65.