Full text: Pädagogisches Jahrbuch - 1.1903(1904) (1)

4 IT Teil: Literarische Rundschau. 1. Abschnitt: Eingehende Besprechungen. 
 
 
das „Ding an sich“ zunächst in Seinem eigenen Selbst vor, wo er es als ein Wirk- 
Sames und Wirkliches erlebt. Aber er Setzt es auch bei andern voraus und Zge- 
langt dadurch zu der Annahme einer Vielheit des Dinges an Sich, zu der er von 
Seinem Standpunkt aus nicht berechtigt war. Durch den Begriff des Korrelats 
Sieht er Sich aber gedrängt, diesen Pluraligmus nicht nur in den MensgchenSeelen, 
Sondern innerhalb der gesamten Erscheinungswelt voransgzusetzen. Denn da ihm 
das „Ding an Sich“ Korrelat der Erscheinung ist, 80 muſs er es auch in einer der 
Mannigfaltigkeit der Erscheinungen entsprechenden Vielheit fassen ; Ja das Korrelat 
führt Sogar mit Notwendigkeit anſser auf qualitative auch auf graduelle Unter- 
Schiede der Dinge an Sich, was zu der Annahme berechtigt, Kants metaphysischer 
Anschauung habe wohl im letzten Grunde die Leibnizische Monadenlehre zu Grunde 
gelegen. --- Endlich ist der Verfasser S80gar der Ansicht, Kant habe das „Ding an 
Sich“ Seinem eigentlichen Wegen nach als Willen angesehen, da das charakte- 
riStiSche Merkmal unsgerer Seele, des Dinges an Sich in uns, für ihn in der einheit- 
lichen Zugammenfasgung des gegebenen Mannigfaltigen liege, also in einem Akte 
der Spontaneität, dem weit eher der Begriff des Willens als derjenige des In- 
tellekts entspreche, 
Wie Kant selbst, 80 kann auch die Naturwissenschaft bei der Auffassung 
des „Dinges an Sich“ als eimem völlig unbekannten nicht Stehen bleiben. Die 
Naturwissenschaft hat es zwar zunächst nur mit der Erscheinungswelt zu tun; 
allein gerade ihre hervorragendsten Vertreter zeigen, daſs Sie Sich auf diese nicht 
beschränken kann. Was der Naturwissgenschaft einen 80 ungeheueren Aufschwung 
gegeben hat, ist die Hypothese der Atomistik, welche indessen ihrem Begriffs» 
nach undenkbar und deshalb unhaltbar ist, einmal, weil die Teilbarkeit der Materic 
kein Ende hat, die Atome und Moleküle also Fiktionen gind, und andernteils, 
weil die Stoffveränderungen, die Verbindungen und Trennungen, ohne Zuhilfe- 
nahme des Begriffs der Kraft nicht gedacht werden können. Wenn aber die 
Kraft das Wirksame ist. So ist Sie auch das Wirkliche, und die tote Materie als 
objektiv vorhandener Gegenstand zerrinnt in Schein. Es ist bedeutsam, dals in 
neuester Zeit an Stelle der Atomistiker die Energetiker zu treten im Begriti 
Stehen. Nach ihnen Sind die Energien die einzigen Realitäten; Wirklichkeit hat 
nur die Mannigfaltigkeit der Energieunterschiede, die auf ungsere gleichfalls als 
Energien Sich darstellenden Sinneswerkzeuge eimwirken. Die Materie Soll, wi» 
Ostwald Sagt, „der Vernichtung“ anheimſallen. 
Wen» nun aber von Jenen Vertretern ferner behauptet wird, die Knergien 
hätten weitere Träger nicht nötig, 80 widerspricht dem unser Verfasser mit dem 
Hinweis daranf, dals Energie oder Wirksamkeit ein Prädikatsbegriff S8ei, der einen 
Subjektsbegnſf verlange. Die Physik brauche nach einem Worte PFechners für 
die Kraft Zentren, die nicht Selbst als Kräfte faſsbar Sein könnten. Eine tiefere 
naturwisgenschaftliche Forschung müsse zu der Scheidung zwischen Erscheimung 
und Ding an Sich durchdringen und auf die Frage, was man dann als die Dinge 
an Sich annehmen Solle, antworten: Unausgedehnte Kraftzentren, Mo- 
naden von generisch und individuell verschiedenem Grundcharakter, 
als deren lotzte und tiefste Krscheinung der Wille im weitesten Sinne 
anzuSehen wäre: 
Im gesamten Erfahrungsgebiet -- 50 fährt nun der VerfasSser in Seiner Ent- 
wickelung fort -- iet uns nur unsere Seele als unteilbare BewuſstgeinSeinheit be- 
kannt, Das führt aber mit Notwendigkeit zu der Annahme, daſs die ganze Welt 
ihrem eigentlichen, hinter der Erscheimnung verborgenen Wegen nach aus ..Seelen“ 
bestehen muſs. Freilich bleibt diese Annahme bloſse Hypothese, die aber, da Sie
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.