Karl Henkel: Eine neue Erkenntnistheorie. 5
auf einem unabweisbaren Postulat beruht und weitere Gewilsheit zu erzeugen
vermag, durchaus berechtigt ist.
Denkt man Sich nun die Welt aus Seelenmonaden, aus einer Vielheit indi-
vidneller Willen bestehend, 80 muſs man auch, um Sich den Weltzusammenhang,
d. b. den in der Erscheinungswelt vorhandenen Wechsel erklären zu können, eine
vegengeitige Einwirkung der Monaden aufeinander annehmen, die als Anziehung
und Abstoſßung aufzufasgen ist, weil eine gleichmäſsige Einwirkung alle Er-
Scheinungen zu einer unbeweglich ruhenden machen, aber zu keinem Wechsel
führen würde. Und auch Anziehung und Abstoſsung Sind wieder nur unter der
Vorausgetzung denkbar, dals die gegengeitigen Einwirkungen Sich erschöpfen und
ablösgen. --
Stellt man Sich, um die elementarsten Vorgänge in der wechselseitigen Kin-
wirkung der Dynamonaden anfzufinden, das einfachste Verhältnis vor, nämlich
die gegenseitige Einwirkung zweier Monaden aufeinander, So ergibt Sich Sofort,
daſs dabei nur drei Spezifigch verschiedene Beziehungen denkbar Sind; entweder
die Monade a überwältigt in ihrer Kraftbetätigung die Monade b, oder wird von
dieger überwältigt, oder endlich, beide Stehen im Gleichgewicht. Wäre nun aut-
weisbar, daſs diesem objektiven Vorgang ein Solcher Subjektiver Art entspricht,
4. 1. daſs das eine dieger Elemente jene drei Arten der gegengeitigen Beziehung
in Sich erlebt, 850 würde damit der Ansgangspunkt einer genetischen anstatt der
kritiSchen Entwickelung gegegen Sein.
Hier kommt uns umum die empirische Psychologie mit ihren drei Grund-
begriffen Erkennen, Fühlen und Wollen zu Hilfe, insofern der objektiven Lage
des Überwältigtwerdens das Subjektive Erlebnis des VYühlens, derjenigen des Über-
wältigens das Subjektive Erlebnis des Wollens und der objektiven Lage des
Gleichgewichts das entspricht, was wir als Erkennen in uns erleben. Alle drei
Seelenäulserungen lassen Sich aber anf die eine Grundkraft des Willens zurück-
führen; denn es ergibt Sich ohne weiteres, dals Yühlen überwältigter, Wollen
überwältigender und Erkennen im Gleichgewicht befindlicher Wille ist. Es be-
deutet also Fühlen „einen Eindruck entgegennehmen“, Erkennen „unterscheiden“,
Wollen „entscheiden“.
Sieht man auf die Reihenfolge in der Veränderung der Beziehung einer
Monade zu einer andern, 80 zeigt Sich als gesetzmälsige Folge die vom Über-
wältigtwerden durch das Gleichgewicht zum Überwältigen und von da wieder
abwärts durchs Gleichgewicht zum Überwältigtwerden u. s. f. Daraus ergibt Sich aber
zugleich auch eine GesgetzmälSigkeit des innern Erlebens der Kinzelmonade, ein
Gesetz der BewulstSeinsfolgen -- kurz, das Naturgesetz der Seele. Der Vor-
Stellungsverlauf beginnt mit einem Affiziertwerden, einer Veränderung des Ge-
mütszustandes, die der Verſasser als „Überwältigung des Willens“ ansieht und
mit dem Ausdruck Fühlen bezeichnet. In diesem Zustand Sind ein zeitliches
Vorher und Nachher wie auch ein räumliches Nebeneinander Schon dunkel einge-
Schlogsen. Darauf tritt die Seele S0 weit ins Gleichgewicht, daſs Sie zwiSchen
dem Gegenstande, der Sie affiziert hat, als Objekt und gich Selbst als Subjekt
unterscheidet. Dieges Unterscheiden ist das Wegentliche des Erkennens; es führt
dazu, das Objekt von übrigen Objektiven auszusondern und dadurch erst für mich
zum Binzelobjekt zu machen. Das Zeitliche und Räumliche witt jetzt ins klare
Licht. -- War das Fühlen aufnehmender Wille und Erkennen der Wille im Gleich-
gewicht, 80 folgt nun beim normalen Verlauf der überwältigende oder „handelnde“
Wille; der Wille nimmt Stellung zu dem Gegenstande und entscheidet sich in
Seinem Verhältnis zu ihm, woraus noch nicht folgt, dals es anch zur eigentlichen