Full text: Pädagogisches Jahrbuch - 1.1903(1904) (1)

 
G. Sievert: Ufers internat. Bibliothek f. Pädagogik u. deren HilfiswisSensch. 11 
 
dies Preyer tal. Zwar haben Malebranche und De Frariere Schon eine unbewulste 
Beziehung des fötalen Gehirns zu dem mütterlichen behauptet. Ribot und Cabanis 
lehren Sogar, daſs das Kind Schon vor der Geburt gedacht und gewollt habe. 
Doch gind die von den genannten Vorschern und anderen angeführten "VatSachen 
weit davon entfernt, die Hypothesen und Übertreibungen des Ausdrucks zu recht- 
fertigen, zu deren Stütze man Sie angeführt hat. Denn man darf nicht vorgessen, 
daſs der Fötus in einen tiefen Schlaf, in einen lethargischen Zustand vergenkt ist, 
weShalb des VerſasSerns These lautet: Die PSychologie des Kindes beginnt 
erst mit der Geburt. 
Die ersten Vormen mit der Tätigkeit Sind die Bewegungen, welche in 
4 Abschnitten des 2. Kapitals erörtert werden. Die Analyse dergelben führt zu 
der Überzeugung, daſs es beim Kinde zwar viele Bewegungen ohne Idee, aber 
fast keine Idee, d. h. keine Wahrnehmung oder Sinnesempfindung ohne Be- 
wegung gibt, wie ja nach der neueren Psychologie als Gegetz betrachtet werden 
darf, daſs jeder Bewuſstgeinszustand darnach strebt, Sich nach auſsen durch Be- 
wegungen auvszudrücken. Die intellektnellen Tätigkeiten änlsgern Sich im Sehen, 
Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen, deren Erörterung das 3. und 4, Kapitel dienen. 
Im 5. Kapitel werden die ersten Gemütsbewegungen und ihr Ansdruck be- 
trachtet. Verfasser bezeichnet das Leben des Kindes wie das menschliche Leben 
überhaupt als ein Gemisch von Lust und Leid, wobei er die von Boullier in dem 
Buche: „Du Plaisir et de la Douleur“ erörterte rage, ob der Neugeborene sein 
Leben mit einem angenehmen oder unangenehmen Kindruck beginne, beiseite 
lälst und nur die Behauptung aufstellt, dafs das Kind mit der unbestimmten 
„Empfindung der Lust und Unlust nicht bis zur Geburt gewartet hat. Hierbei 
iSt beachtenswert, daſs Compayrt unsgeres Erachtens ganz richtig den Verminus 
Empfindung“ nur anf die zuständliche (affektive) Seite des Seelenlebens be- 
zieht und damit der Verwirrung entgeht, die in der deutschen wissenschaftlichen 
Psychologie dnrch die Identifizierung der Begriffe Empfindung und Wahrnehmung; 
vielfach entstanden ist. Erst Jodl hat im Angehluls an Beneke mit Seiner 
Psychologie Sich durch reinliche Scheidung der primären, Sekundären und 
tertiären BewulstSseimstatsachen wesentliche Verdienste um eine einheitliche 
psyYchologische Terminologie erworben. Mit den Erörterungen des 6. Kapitels betritt 
der VerfasSer das Gebiet des intellektuellen Seelenlebens. Die in Deutschland ange- 
Stelten Untersuchungen über die physiologischen Grundlagen des Gedächt- 
nisSes Sind noch nicht benutzt, ebensowenig die IWorschungen des PhiloSophen der 
Weltphantasie, Jakob Frohschammers. 
Die Ausführungen des 8. Kapitels über Bewulſstsein, Aulfmerksamkeit und 
1deenassoziation lenken den Blick auf die auch neuerdings in Deutschland ange- 
Stellten experimentellen Untersuchungen. Seit alter Zeit ist 'es ein geläufiges 
Regnltat päd. Erfahrung, der Menschengeele Rezeptivität und Spontaneität zu- 
zuSprechen. In dem vorliegenden Buche erscheinen die darüber angestellten Er- 
örterungen unter den erziehlichen Trieben: Nachahmung und Neugier. Die 
natürliche Spontaneität des Kindes äufsert Sich auch im Urteilen und Schlieſsen. 
In der Entwickelung dieser Akte gibt es zwei deutlich unterschiedene Perioden, 
von denen die erste das vorsprachliche Alter umſalst, während die zweite mit 
dem Zeitpunkt beginnt, wo es den Sinn der Worte versteht und Sich derselben 
zu bedienen anfängt. Das Nachdenken ist in beiden Zeitabschnitten noch nicht 
vorhanden. Wenn Verfasser meint, dals in dieger Zeit die Vernunft mit ihren 
Bedürſnissen zum Vorschein komme und Sich manche Antinomieen Kants im Keime 
regten. 80 bestätigt er nur, was andere Psychologen oft erfahren haben.
	        
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