Marx Lobgien: Dr. O. Sieberts Abrifs der Geschichte der Philosophies. 63
Dr. O. Sieberts Abriſs der Geschichte der Philosophie.
Von Marx Lobsien in Kiel.
Unter dem Titel: „Ein kurzer Abriſs der Geschichte der Philosophie im
Anschluſfs an Rudolf Hayms philoSophische VorleSungen“ ersgchien kürzlich bei
Herm, Beyer u. Söhne, Langensalza ein Buch, auf das ich besonders aufmerksam
machen möchte. Was des Verfasgers gröſßserem Werke: „Gegschichte der neueren
deutschen Philosgophie geit, Hegel“ eigentümlich ist, nämlich Reichhaltigkeit und
Übersichtlichkeit, Klarheit und Kürze, das trifft auch für das vorliegende Werk
zu =- vielleicht in noch höherem Malſse. Es gliedert Sich in vier Teile: 1. die
griechisch-römische Philosophie, 2. die christlich-mittelalterliche, 8. die neuere
Philogophie bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, 4. die PhiloSophie geit Hegels
Tode (bis 190b). Diegem Abschnitt folgt ein Anhang, der die wichtigsten philo-
SOphischen Kunstausdrücke erläutert, -- Das Buch wendet gich an alle Ge-
bildeten.
Wir kennen zwar Schon ähnliche Bücher, wie von Schwegler und Deter;
aber die Arbeit Sieberts übertrifft gie an Präzigität und Gemeinverständlichkeit..
Vor allen Dingen aber finden wir die Gegchichte der PhiloSophie bis zur Gegen-
wart behandelt, zweifelsohne ein Vorzug, der Schwer ins Gewicht fällt.
Es Sei mir gestattet, zum Beweise dessen einen Moment über den Rahmen einer
Besprechung hinauszugehen! Man kann nicht leugnen, daſs noch bis in die jüngere
Vergangenheit hinein die Philogophie allgemein stark in Miſsachtung Stand. Man
hielt Sie auch in den Kreisen der Gebildeten für mindestens überflüssig, für ein
Spiel müſsiger Querulanten, ja wohl gar für Schädlich in ungeren Tagen, die ein
ungetrübtes Auge und eine ungeschwächte Hand für die Wirklichkeit verlangen.
Die Geschichte der Philogophie Sei eine Geschichte der mengchlichen Irrtümer.
Heute aber hat sich ein kräftiger Umschwung eingeleitet und es Sind deutliche
Anzeichen dafür vorhanden, daſs die Philosophie einen neuen Siegeszug zu halten
im Begriff ist; „die geistigen Probleme Sind wieder in den Vordergrund getreten,
die ihren Sieg durchgetzen müssen, da hinter ihnen ein unabweisbares Bedürfnis
der Menschheit steht“ (Eucken). Es regt gich ein Starkes, metaphysiSches Be-
dürfnis Sowohl in der breiteren Masse, wie in den Kreigen der Gebildeten und
Gelehrten. Überall ist das metbhaphygische Bedürfnis -- wie das Ja Selbstver-
Ständlich erscheint --- beeinfluſst, oder wenn man will, geläutert, durch die natur-
wigSenSchafſtlich-technische Entwickelung des letzten Halbdezenninms. Sie be-
reicherte ungere Kenntnis des Wirklichen in ungeahntem Umfange und gab dem
Mengchen Mittel in die Hand, weiter in das Wegen der Natur einzudringen und
SIe nachdrücklicher zu beherrschen. Aber damit ist die Philogophie doch nicht
überflüssig geworden. Gewiſs diese „unmittelbare Arbeit an den Dingen, die
grofsen Komplexe des praktisch-politischen, wie des. wisSensSchaftlich-teehnischen
Lebens bedeuten zunächst zwar eine intellektuelle Erziehung der „Individuen.
Dazu Sind jene Gebiete mit der Vollendung ihrer Methode eine unverkennbare
Macht formaler Bildung geworden, indem sie ihre Jünger ohne viel Reflexion
durch die eigene Kraft der Arbeit erziehen.“ Die Philosophie begitzt also nicht
mehr das Monopol für die Entwickelung von Überzeugungen und die Ausbildung
des Denkens. Aber jene Art der Arbeit lief auf ein Spezialietentum hinaus, Der
Mensch verschwand hinter dem Hisgtoriker, Politiker, Physiker usf. Die Über-