Full text: Zeitschrift für pädagogische Psychologie und Jugendkunde - 29.1928 (29)

Kleine Beiträge und Mitteilungen 589 
 
biet des Willens-, Gefübls -und Trieblebens bei normaler Intelligenz -- eine 
SOzial orientierte: „Abnormitäten, unter denen die Gesellschaft leidet und die 
mit den gewöhnlichen Erziehungsmitteln nicht hinreichend behandelt werden 
können.“ H. bevorzugt die erste Definition, da die Sozialen Schwierigkeiten nur 
eine Folgeerscheinung der klinisch zu beschreibenden Abweichungen Seien. Er 
verwirft ferner die Erweiterung des Begriffs auf Solche Abnormitäten, die nicht 
durch Anlage, Sondern durch besonders unglückliche Umweltverhältnisse be- 
dingt Seien; diese Sollte man zur Unterscheidung von den Psychopathen „Fehl- 
erzogene“ oder „Milieukranke“ nennen. Im übrigen betont auch er die enge Yer- 
bundenheit von Anlage und Umweltwirkung und warnt davor, das angeborene 
Moment zu Sehr zu überschätzen und die Plastizität zu unterschätzen. 
Eine ähnliche Warnung sprach er aus gegenüber der zu Starren Fassung des 
Typusbegriffs. Es gibt von einem psychopathischen Typus zum anderen 
gleitende Übergänge und innerhalb Jedes Typus noch mannigfache indiwiduelle 
Varietäten. „In jede Äußerung und Haltung des Individuums geht wohl Sein 
Grundtypus ein, aber zugleich auch die Gegsamteinheit der Persönlichkeit, wie 
Sie gerade in dieser Phase der Lebenskurve Gestalt gefunden hat.“ Seine Über- 
Sicht über die bisher versuchten Typeneinteilungen zeigt, wie verwirrend bier die 
Fülle der zu bewältigenden Erscheinungen ist, und wie Sehr wir noch am 
fastenden Anfang der Arbeit Stehen. Dennoch ist die Aufstellung einer Reihe von 
Psychopathie-Gruppen unentbehrlich. Die von H. aufgestellten batten zur Haupt- 
Sache formalen Charakter, indem sie auf die Dynamik des Seelenlebens ohne 
besfüimmte inbaltliche Bindungen geben. (H. zählte hier folgende Hauptformen 
auf: Die Hyperthymischen, Depressiven, Periodiker, Stimmungslabilen. Die Ge- 
mütskalten, Haltlosen, Willensschwachen, Phantasten. Die Impulsiven und I1ndo- 
lenten. Die Selbstunsicheren, Asthenischen, Paranoiden.) Anderer Art Sind die 
„ASozialen Sonderformen“, die -- mehr an Sprangersche Lebensformen exin- 
nernd -- von vornherein eine bestimmte inhaltliche Gerichtetbheit besitzen: die 
„geborenen“ Dirnen, Landstreicher, Hochbstaplex, Verbrechernaturen. H. Sgtellie 
es allerdings als ein noch offenes Problem hin, ob diese inbaltlichen Determina- 
lonen wirkbch als angeborene Triebkomponenten angezehen werden dürfen. 
Die übrigen Vorträge bezogen Sich. auf bestimmte Sonderbestrebungen und 
Sondereinrichtungen: auf Heime und Schulen für Psychopatben, auf amerika- 
niSche Bestrebungen zur Bekämpfung der Jugendkriminaktät, auf Ausbildungs- 
Fragen der Fürsorger und Fürsorgerinnen usw. Etwas näher 5ei nur noch auf 
ein Thema eingegangen, das in der Diskussion zur Sprache kam. 
Es betrifft den „Schulpsychologen“ an höberen Schulen, den 
Tb. Heller in Seinem Vortrag „Psychopatbhische Schüler an höberen. Schulen“ 
verlangt batte. Daß die Jugendpsychologische Kenntnis und Einstellung des höhe- 
ren Lehrers bei komplizierteren Fragen leicht versagt, wurde von verschiedenen 
Seiten betont; deshalb fand meine Schon oft ausgesprochene These Zustimmung, 
daß an Jedes SchulsyStem wenigsten ein Lehrer gehöre, der durch gründliche 
Vertrautheit mit jugendlichem Seelenleben berufen wäre, als Vertrauensperson der 
Schüler und als patürlicher Mittler zwiSchen Schülern, Lebrerschaft, Eltern, 
Arzt, Jugendamt usw. zu fungieren. Ich konnte in der Aussprache auf das Ma- 
terial des Gutachtens hinweisen, welches ich für das preußische Kultusmini- 
Sterium über Sittlichkeitsvergehen höherer Schüler zusammengestellt habe und das
	        
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