Full text: Zeitschrift für pädagogische Psychologie und Jugendkunde - 29.1928 (29)

Schrifttum 591 
 
erfolg und Berufswechsel geknüpft Sind. -- Aus den Vorträgen der Mediziner sei 
hier die Warnung von R. Sommer-Gießen gegen die einseitige Versportlichung 
der LeibeSübungen mit ihren Erfolgen: der Rekordsucht, der Entgeistigung usw. 
hervorgehoben ; ferner der Nachweis von Weygandt-Hamburg, daß das Großstadt- 
milieu der Nährboden für eine Reihe von psychischen Abwegigkeiten und Seeli- 
Schen Erkrankungen Sei. 
Man muß den Psychiatern Dank wissen, daß Sie durch die Gründung des 
Verbandes auf diesem Gebiet Pionierarbeit geleistet haben; doch wird zum min- 
destlen dort, wo es Sich nicht um Heilung der Schon sSeelisch Erkrankten, Sondern 
um Schulz der Gesunden handelt, nur dann ein Erfolg der Bestrebungen erwartet 
werden können, wenn der Kreis der Mitwirkenden wesentlich über den engeren 
Zirkel der Psychiater hinaus erweitert werden wird 1, -- 
Bei dem unübersehbaren Umfang der Gesamitagung, die in viele gleichzeitig 
tagende Sektionen zerfiel, ist es Sehr wohl möglich, daß noch manche Vorträge von 
PSYchologischem Interesse statifanden, die mir entgangen Sind. Man möchte wohl 
wünsgchen, daß die engern Beziehungen, die zwischen der Psychologie einerseits, der 
Medizin, Hygiene, Physiologie, Physik usw. andererseits bestehen, künftig in einer 
eigenen psychologischen Sektion der Tagung zusammengefaßt würden. 
Hamburg. x William Stern. 
* 
Schriffium. 
Dr. med. A. Maeder: Die Richtung im Seelenlebeyr. Zürich, Ragcher & Cie. 
A.-G. 1928. 167 8. 460 M. /]- 
In den erzieherischen AuSeinandersetzungen der Gegenwart taucht immer wieder der 
Begriff der Lebenslinie auf, der programmatisch in Sich zu enthalten Scheint, was man 
der (falsch verstandenen) Autorität gegenüber vorzubringen hat. Es läßt Sich leicht damit 
operieren -- denn er 1ist plastigch. Aber ob auch etwas hinter diesem Begriffe steht, das 
wird meist nicht gefragt. Ist uns eine gerade Linie vorgezeichnet (und von wem ?), die 
einen bestimmten Ausgangspunkt und Zielpunkt besitzt, oder verläuft die Linie eber ge- 
krümmt in einem Gebiet (etwa dem Gebiet des Nützlichen)? Hat überhaupt das Leben 
eine Richtung, und wenn Ja, wie Sollen wir Sie erkennen ? 
Maeder ist ganz besonders dazu berufen, Solchen Fragen nachzugeben. Er tut es als 
Naturforscher und Menschenfreund mit SympathiScher Sorgfalt, mit einer zarten Hand, 
die mehr wahrnimmt, als der Yerstand erwarten durfte. Träume erschlogSen Sich ihm 
durchaus nicht nur als kompengatorische Phantagien : viele von ihnen deuteten auf eine 
teleologiSche Funktion, die Sich auch im Leben bemerkbar macht. Das Ziel dieger Stre- 
bung Sab er zunächst in einer höberen Stufe des Seins, Später in der Einbeit des Selbst, 
dessgen Egogeite die Regulation übernimmt und schließlich umspannender im Urbild der 
Seele, das uns aus Schöpferhand geschenkt ist und das als Gewissen durch die Anima- 
Seite des Selbst in die empirische Welt hineinragt. Ursprünglich Verfolger und Bestrafer, 
iSt uns das GewisSen zum Führer geworden. Damit überschreitet Maeder, der frübere 
Pogitivist, bewußt die Grenze der WiSsenschaft, deren Wert im übrigen in keiner Weise 
angetastet wird. 
Diese Wandlung im Ziel mußte entsprechende Änderungen im Heilungsprozeß des 
kranken Seelenlebens nach Sich ziehen. (Da die vorliegende Auflage gegenüber der vor 
einem Jahrzehnt erschienenen Erstausgabe um einen Vortrag aus dem Jabre 1925, eine 
Abhandlung aus dem Jahre 1912 und ein Nachwort zur ersten Auflage vermehrt ist, 
lasSen Sich diese Verschiebungen leicht verfolgen). Maeder Sah ursSprünglich in der Idee 
der Selbstheilung die Rettung aus Seelischen Leiden. Er tut es in gewissem Sinne noch 
beute, aber mit dem wesentlichen Unterschiede, daß das Bild des Seelenführers, das wir 
in uns tragen, zwiSchen dem Endlichen und Unendlichen, zwiSchen Zeitlichem und Ewigem 
vermittelt. Der Mensch bringt hpöchstens die Sehnsucht nach Befreiung auf, muß aber 
 
1 Auch die geit Beginn dieges Jabres erscheinende „Zeitschrift für PSychobygiene“ (Verlag 
W. de Gruyter) trägt vorläufig noch einen rein medizinischen Charakter.
	        
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