Hamburgitch
"chulzeitung.
Eine Wochenſchrift für die Ungelegenheiten des Unterrichts,
der Erziehung und des KLehrerſtandes.
Redaktion:
Chr. Hamann, Hamburg,
Finfenau 2,
Herausgegeben
von hamburgiſchen Lehrern.
Nerlag:
Otto Meißner, Hamburg,
Hermannſtraße 44.
Die Hamburgiſche Schulzeitung erſcheint wöchentlich in einem Bogen Groß-Quartformat zum Preiſe von 1 Mark 50 Pf. für das
Vierteljahr. Beſtellungen nehmen alle Buchhandlungen und Poſtämter ohne Preisaufſchlag an. -- Beiträge ſind an die Redaktion,
Rezenſions-Exemplare an die DVerlagshandlung oder an die Redaktion zu ſenden. Jnſerate werden für die Petitzeile von 60 mm
Breite mit 20 Pf., Beilagen nach Übereinkunft berechnet.
Nachdruc> aus dieſer Zeitung iſt, falls nicht ausdrü>lich verboten, nur unter deutlicher Quellenangabe geſtattet.
3. Jahrgang.
Moderne Aufklärung.
Von Otto Leisnex.
Das Zeitalter der Aufklärung, welches die
mittleren je<hzig Jahre des vorigen Jahrhunderts um-
faßt, iſt in dreifacher Beziehung 2in fehr merkwürdiges.
E38 ijt von hohem hiſtorijhen Werte, ſein Studium iſt
außerordentlid) intereſant und anregend, und die Beur-
teilung Yeiner Bedeutung, die es im allgemeinen und
für die wichtigſten Zweige des menſchlichen Lebens hat,
iſt ſehr ſf<wer. Nunn wird unſere Zeit häufig als
eine neue Periode der Aufklärung bezeichnet, und damit
jol denn vor allem die Wertihäßzung angegeben ſein,
welche nnſferer Zeit zukommt. Denn nichts iſt neuer-
dings gebräuchlicher, als die gegenwärtige Zeit und unſer
Geſ<leht zu jHmähen, über den Verfall der Sitten bei
den Einzelnen und die Verderbtheit der Zuſtände im
gejellſ<aftlichen Leben zu eifern und zu klagen und einen
baldigſt bevorſtehenden Nuin des beſtehenden zu ver-
kündigen. So wird auc< im Sinne eines nicht tief
genug gehenden Studiums und durch die allgemeinſte
landläufige Beurteilung das Zeitalter der Aufklärung
meiſt nur allzu jehr geringgeſ<häßzt und mißachtet.
Der Höhepunkt einer ungünſtigen Beurteilung des hiſto-
riſ<en und modernen Zeitalters der Aufklärung wird
aber erreicht, indem man das letztere mit dem farka-
tiſchen Namen „Aufkläricht“ (Na< Analogie von Kehricht)
und „Auszehrung“ (tim Sinne geiſtiger Verhungerung)
bezeichnet. In dieſer Art der Würdigung zweier ganz
außerordentlich wichtiger Epochen der neueren Geſchichte
iit manches Fehlerhafte zu finden. Zunächſt iſt die
Aufklärung aus dem vorigen Jahrhundert dur<haus nicht
allein nah ihren negativen Wirkungen zu beurteilen, ja
niht allein zu tadeln und zu ſchmähen, ſondern ſie muß
vielmehr in manchen Teilen ihrer Beſtrebungen auf-
richtig anerkannt und gerühmt werden; ſodann darf aber
unjere Zeit niht ohne weiteres und in allet Stücen
mit jener Periode verglichen werden.
Aufklärung iſt dem einfa<ßen und wahren Sinne
des Wortes nad etwas fehr Richtiges, Erſtrebenswertes
und Anzuerkennendes, iſt eine Sache, die zu jeder Zeit
verdient, daß man ſich ihr widme, daß beſonders die-
jenigen jich um ſie bemühen, die in irgend einer Richtung
und einem Teile an der Leitung und Förderung des
12. Juni 1895.
Rr. 24.
Ganzen mitzuſ<haffen haben. Man mag die engliſchen
Deiſten, die franzöſiſchen Enzyklopädiſten und die deutichen
Rotionaliſten in ihren philofophiſhen Grundlegungen
und allgemeineren Beſtrebungen verurteilen; man mag
einen Bolingbroke, Voltaire, Bahrdt, Nicolai, Lemettrie
und Hollbach verachten; man wird allzeit dagegen 1ich
verwahren, daß jemals ein Geſchle<t jo kühn und ver-
meßen fein und die Schranken der Menſchenvernunft jo
gar vergeſſen und mit ſolchem Übermut, Witz und Spott
dur<brechen dürfe, wie es die engliſchen, franzöſiſchen
und auch deutichen Freidenker zum großen Teil gethan
haben: aber man darf auch nicht überſehen, da Wänner
wie Newton, Cartefius, Rouſſeau und au<ß Friedrich
der Große, Leſnng, Kant und Goethe ihren guten Teil
an den Beſtrebungen der Aufklärung in dem weiteren
Sinne haben. Bollkfommen war auch keiner von dieſen
Männern, und wir könneu unjere Wiſſentihaft und
Lebensführung im ganzen nicht auf die Weltanihauung
und die Lehren eines allein ſtüßen. Bon Kant will ich
3. V. nur erwähnen, daß er in feiner vraktiſchen Philo-
ſophie den moralitihen Genihtspunkt mit zu großer
Starrheit feſthielt, indem er die poſitive Religion nur
joweit etwas gelten laijen wollte, als ſie im Sinne der
Moralreligion umgedeutet werden konnte. Aber dur<
die weitgehenden Beſtrebungen aller jener Männer iſt
der Grund zu der heutigen Witſenſchaft gelegt worden;
in jener Zeit ſchufen untere vorzüglichen Dichter ihre
reiſſten Werke = oin einziges Jahr (1787) brachte
hervor die Goetheſche Iphigenie, den Shilferichen Don
Carlos und den Mozartichen Don Juan, der gleichzei-
tigen Werke Kants nicht zu gedenken, und endlich hat
durd) die Beſtrebungen im ganzen die Nation einen
moraliſchen Schwung erhalten, der ſich in ſeweren
Tagen bewährte. Und was den aroßen König berrifft,
jo gewährte er die Freiheit, deren die Aufklärung be-
darf, die Freizeit, von der Vermunft in allen Stücken
Gebrauch zu machen. Wor will ihn tadeln? Doch
können wir ihm in allen Stücken folgen, ihm blindlings
na<hahmen? Wir ſehen, der Shwierigfkeiton (nd viele,
wenn man mit Gerechtigkeit und Wohlmeinen inner-
halb der Erſcheinungen dieſes Zeitabſ<hnittes als kriti-
iher Beurteiler thätig jein will.
Shon aus dem Worte „Aufklärung“ iſt zu er-
ſehen, daß die damit bezeichnete Sache eine wohlbere<-
tigte iſt und immer auf etwas Wahres und Rechtic<haffenes