Full text: Hamburgische Schulzeitung - 3.1895 (3)

Hamburgiſche Schulzeitung. 
Eine Wochenſchrift für die Angelegenheiten des Unterrichts, 
der Erziehung und des Kehrerſtandes. 
Redaktion : 
Chr. Damann, Hamburg, 
Finkenau 2, 
Herausgegeben 
von hamburgiſchen Lehrern. 
Verlag: 
Otto Meißner, Hamburg, 
Hermannſtraße 44. 
 
Die Hamburgiſche Schulzeitung erſcheint wöchentlich in einem Bogen Groß-Quartformat zum Preiſe von 1 Mark 30 Pf. für das 
Dierteljahr. Beſtellungen nehmen aile Buchhandlungen und Poſtämter ohne Preisaufſchlag an. -- Beiträge ſind an die Redaktion, 
Rezenſions-Exemplare an die Derlagshandlung oder an die Redaktion zu fenden. Inſerate werden für die Petitzeile von 60 mm 
Breite mit 20 Pf., Beilagen nach Übereinkunft berechnet. 
Nachdru> aus dieſer Zeitung iſt, falls nicht ausdrücklich verboten, nur unter deutlicher Quellenangabe geſtattet. 
3. Jahrgang. 
Schöner Egoiömus. *) 
Von Johannes Peterſen. 
Schöner Egoismus? Was ſoll das heißen? Iſt 
der (EgoiSmus ſchön, oder kann er es je fein? Iſt er 
niht vielmehr grundhäßlich? Und andererſeits: das 
Schöne, 3. B. ein ſchönes Fühlen, Wollen oder Thun, 
iſt das jemals egoiſtiſc<? Haben wir es hier nicht mit 
einem Widerſpruch, mit einer Jogen. contradictio in 
adjecto zu thun? Oder vielmehr: Sind nicht die 
beiden Begriffe logiſc< unvereinbar, gewiſſermaßen in- 
fommenjurabel, weil fie verſchiedenen Begrifſsiphären 
angehören? Schöner Egoismus? Sind das nicht 3wei 
Wörter, die fich anheulen, zwei Begriſſe, die ſich gegen- 
ſeitig zerfleiſh<en? Meine Herren! ZJ< kann hierauf 
zunächſt nur eine ausweichende Antwort geben, die 
nämlich, daß es eine LebenZerſ<einung, im gewitſen 
Sinne eine Weltanſhamumg oder doch die PulsSader 
einer ſolchen iſt, die ich mit dem in Rede itehenden 
AusdruFs bezeichne. Wie weit dieſer letztere logiſche 
Berechtigung hat, das wird wohl die Beſprechung er- 
geben; wichtiger aber iſt die fachliche Klarlegung und 
Würdigung deſſen, was er bezeichnet. Und hierin ſehe 
ich die eigentlihe Aufgabe meines Vortrages. Das, 
was 1ic< ſhönen CgoiSmus nenne, liegt auf einem Ab- 
wege der Erziehung, auf einem Irrvfad der Bildung. 
IH bin zur Betrachtung deſſelben, zur Wahl dieſes 
Themas beſonders durc< eine Erſcheinung auf dem Ge- 
biete der ſchönen Litteratur, dur< ein Drama angeregt 
worden. Cs iſt das Schauſpiel: „Et Dukkehjem,“ zu 
deutſ<: „Gin Puppenheim“ in der Überſetzung 
für die deutſche Bühne heißt es „Nora“ =- von dem 
Norweger Henrik Ibſen, welches ich meine. Das 
StüF iſt meines Bedünkens eine hervorragende poeti- 
Ihe Leiſtung, gedankenvoll, tief, kühn und von jener 
dramatiſchen Energie und Geihloſenheit, die den echten 
Dichter bekundet. Aber es ſind nicht die dichteriſ<hen 
Vorzüge des Stü>s, die uns hier beſchäftigen ſollen, 
 
*) In Nachfolgendem bieten wir den Leſern einen Vor- 
trag des leider früh verſtorbenen Seminarlehrers, ſpäteren 
Kreisſchulinſpektors Peterſen, den derſelbe im Jahre 1880 auf 
der allgemeinen ſchlesw.-holſt. Lehrerverfammlung in HadersS- 
leben gehalten hat. Ob dieſe Urbeit es wert iſt, nochmals 
veröffentlicht, bezw. noch einmal geleſen zu werden, mögen 
unſere Keſer ſelbit entſcheiden. D. Red. 
17. Juti 1595. 
 
Rr. 29. 
es iſt vielmehr ein pädagogiſches Intere]je, das mich 
an daſſelbe anknüpfen läßt. Das erwähnte Schauſpiel 
giebt nämlic; micht bloß dem Aeſthetiker, ſondern auc< 
dem Ethifer und dem Pädagogen zu denken; es berührt 
eing bedeutſame Crziehungsfrage. Dieſe Ut es, die im 
heraustiellen, in etwas beleuchten und Ihrer weiteren 
Erwägung anheimgeben möchte. = Die Fabel des 
Dramas iſt in Kürze folgende : 
Der Dichter führt uns in den Kreis einer Be- 
amtenfſamilie. Helmer, der Gatte und Familienvater, 
hat ſich und die Seinen bisher als Advokat dur& ange- 
ſtrengte Ardeit redlich, aber nicht reichlich ernährt; vor 
furzem jedoch hat ſich feine finanzielle Lage zum beſſern 
gewendet: er i't Direktor einer Aktienbank mit aus- 
kömmlichem, fettem Gehalt geworden. Darob nun 
große Freude. Nora, Helmers Gattin, hüpft trällernd 
dur die Räunte des Hauſes. O, wie herrlich itt das 
Leben, wenn man nict mit Nahrungsforgen zu kämpfen 
hat! Wie will fe ihre Kinder jetzt hegen und vilegen, 
wie will ſie ihrem Gatten das Hein rraut und behag- 
lih machen! Denn Helmer liebt das Traute, das 
Shöne. Er itt wicht bloß ein tüchtiger, leiziger Nechts- 
gelehrter und ein vflichttreuer, zuverläniger Beamter; 
er iſt zugleich ein Mann von ätheriſcher Bildung ; 
allem Roben, Gemeinen, Häßlichen tie? abgeneigt, hat 
einen ausgevrägten Sinn für das Cdle, Zarte, Lieb- 
liche, für Munk, Geſang, für alle die Dinge, welche 
das Leben zieren und ſ<hmüc>en. Der bene Schmuck 
jeines Hauſes aber, das Kleinod feines Lebens in ihm 
die Gattin, feine Nora. Sie iſt eine poetiiche Crichei- 
nung, ein junges, [liebreizendes Weib voll naiver Gra- 
zie und flatternder Anmut, ſchalfhaft, fröhlich, ſorglos; 
ſie ſpielt mit ihren drei Kindern 19 luttig, 10 hingebend, 
als wäre ſie ſelbſt noch ein Kind; ne kol't mit ihrem 
Gatten naH achtjähriger Che, als weilten nie noh im 
Blütenhain der erſten Liebe. Helmer iſt entzü>t von 
ihr; er neunt ſie niit den ſüßeſten Schmeichelnamen > 
meine Lerche, mein Singvögelein, mein Eichkätzhen; 
er herzt ſie und liebkoſt fie; er trägt ne auf Händen. 
In dieſer Ehe iſt kein Zank noh Streit, kein Keifen 
und Shmollen, nicht das Kniſtern und Svrühen der 
Eiferjuht, noFH das Gähnen der Langeweile; hier iſt 
nicht ein Zuſammenleben in kühler, gewohnheit8smäßiger 
Kameradſ<haft oder in ſtummer Rengnation, in auf- 
und abwallender Sinnlichkeit oder auch im träge? gerin-
	        
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