Hamburgiſche Schulzeitung.
Eine Wochenſchrift für die Angelegenheiten des Unterrichts,
der Erziehung und des Kehrerſtandes.
Redaktion :
Chr. Damann, Hamburg,
Finkenau 2,
Herausgegeben
von hamburgiſchen Lehrern.
Verlag:
Otto Meißner, Hamburg,
Hermannſtraße 44.
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3. Jahrgang.
Schöner Egoiömus. *)
Von Johannes Peterſen.
Schöner Egoismus? Was ſoll das heißen? Iſt
der (EgoiSmus ſchön, oder kann er es je fein? Iſt er
niht vielmehr grundhäßlich? Und andererſeits: das
Schöne, 3. B. ein ſchönes Fühlen, Wollen oder Thun,
iſt das jemals egoiſtiſc<? Haben wir es hier nicht mit
einem Widerſpruch, mit einer Jogen. contradictio in
adjecto zu thun? Oder vielmehr: Sind nicht die
beiden Begriffe logiſc< unvereinbar, gewiſſermaßen in-
fommenjurabel, weil fie verſchiedenen Begrifſsiphären
angehören? Schöner Egoismus? Sind das nicht 3wei
Wörter, die fich anheulen, zwei Begriſſe, die ſich gegen-
ſeitig zerfleiſh<en? Meine Herren! ZJ< kann hierauf
zunächſt nur eine ausweichende Antwort geben, die
nämlich, daß es eine LebenZerſ<einung, im gewitſen
Sinne eine Weltanſhamumg oder doch die PulsSader
einer ſolchen iſt, die ich mit dem in Rede itehenden
AusdruFs bezeichne. Wie weit dieſer letztere logiſche
Berechtigung hat, das wird wohl die Beſprechung er-
geben; wichtiger aber iſt die fachliche Klarlegung und
Würdigung deſſen, was er bezeichnet. Und hierin ſehe
ich die eigentlihe Aufgabe meines Vortrages. Das,
was 1ic< ſhönen CgoiSmus nenne, liegt auf einem Ab-
wege der Erziehung, auf einem Irrvfad der Bildung.
IH bin zur Betrachtung deſſelben, zur Wahl dieſes
Themas beſonders durc< eine Erſcheinung auf dem Ge-
biete der ſchönen Litteratur, dur< ein Drama angeregt
worden. Cs iſt das Schauſpiel: „Et Dukkehjem,“ zu
deutſ<: „Gin Puppenheim“ in der Überſetzung
für die deutſche Bühne heißt es „Nora“ =- von dem
Norweger Henrik Ibſen, welches ich meine. Das
StüF iſt meines Bedünkens eine hervorragende poeti-
Ihe Leiſtung, gedankenvoll, tief, kühn und von jener
dramatiſchen Energie und Geihloſenheit, die den echten
Dichter bekundet. Aber es ſind nicht die dichteriſ<hen
Vorzüge des Stü>s, die uns hier beſchäftigen ſollen,
*) In Nachfolgendem bieten wir den Leſern einen Vor-
trag des leider früh verſtorbenen Seminarlehrers, ſpäteren
Kreisſchulinſpektors Peterſen, den derſelbe im Jahre 1880 auf
der allgemeinen ſchlesw.-holſt. Lehrerverfammlung in HadersS-
leben gehalten hat. Ob dieſe Urbeit es wert iſt, nochmals
veröffentlicht, bezw. noch einmal geleſen zu werden, mögen
unſere Keſer ſelbit entſcheiden. D. Red.
17. Juti 1595.
Rr. 29.
es iſt vielmehr ein pädagogiſches Intere]je, das mich
an daſſelbe anknüpfen läßt. Das erwähnte Schauſpiel
giebt nämlic; micht bloß dem Aeſthetiker, ſondern auc<
dem Ethifer und dem Pädagogen zu denken; es berührt
eing bedeutſame Crziehungsfrage. Dieſe Ut es, die im
heraustiellen, in etwas beleuchten und Ihrer weiteren
Erwägung anheimgeben möchte. = Die Fabel des
Dramas iſt in Kürze folgende :
Der Dichter führt uns in den Kreis einer Be-
amtenfſamilie. Helmer, der Gatte und Familienvater,
hat ſich und die Seinen bisher als Advokat dur& ange-
ſtrengte Ardeit redlich, aber nicht reichlich ernährt; vor
furzem jedoch hat ſich feine finanzielle Lage zum beſſern
gewendet: er i't Direktor einer Aktienbank mit aus-
kömmlichem, fettem Gehalt geworden. Darob nun
große Freude. Nora, Helmers Gattin, hüpft trällernd
dur die Räunte des Hauſes. O, wie herrlich itt das
Leben, wenn man nict mit Nahrungsforgen zu kämpfen
hat! Wie will fe ihre Kinder jetzt hegen und vilegen,
wie will ſie ihrem Gatten das Hein rraut und behag-
lih machen! Denn Helmer liebt das Traute, das
Shöne. Er itt wicht bloß ein tüchtiger, leiziger Nechts-
gelehrter und ein vflichttreuer, zuverläniger Beamter;
er iſt zugleich ein Mann von ätheriſcher Bildung ;
allem Roben, Gemeinen, Häßlichen tie? abgeneigt, hat
einen ausgevrägten Sinn für das Cdle, Zarte, Lieb-
liche, für Munk, Geſang, für alle die Dinge, welche
das Leben zieren und ſ<hmüc>en. Der bene Schmuck
jeines Hauſes aber, das Kleinod feines Lebens in ihm
die Gattin, feine Nora. Sie iſt eine poetiiche Crichei-
nung, ein junges, [liebreizendes Weib voll naiver Gra-
zie und flatternder Anmut, ſchalfhaft, fröhlich, ſorglos;
ſie ſpielt mit ihren drei Kindern 19 luttig, 10 hingebend,
als wäre ſie ſelbſt noch ein Kind; ne kol't mit ihrem
Gatten naH achtjähriger Che, als weilten nie noh im
Blütenhain der erſten Liebe. Helmer iſt entzü>t von
ihr; er neunt ſie niit den ſüßeſten Schmeichelnamen >
meine Lerche, mein Singvögelein, mein Eichkätzhen;
er herzt ſie und liebkoſt fie; er trägt ne auf Händen.
In dieſer Ehe iſt kein Zank noh Streit, kein Keifen
und Shmollen, nicht das Kniſtern und Svrühen der
Eiferjuht, noFH das Gähnen der Langeweile; hier iſt
nicht ein Zuſammenleben in kühler, gewohnheit8smäßiger
Kameradſ<haft oder in ſtummer Rengnation, in auf-
und abwallender Sinnlichkeit oder auch im träge? gerin-