Full text: Hamburgische Schulzeitung - 3.1895 (3)

nenden Allerlei und Einerlei der Alltäglichkeit. Nein, 
hier iſt ein eheliches Verhältnis, das in langjährigem 
Beſtande den keuſ<en Zauber der Jungfräulichkeit nicht 
verlor, ein achtjähriger EChebund im Myrtenſchimmer; 
hier iſt liebende Hingabe in den ſ<miegenden Rhythmen 
der Schönheit. | 
Iſt das nicht eine glü>lihe Familie? Iſt das 
nicht ein Haus voll Sonnenſchein ? 
Der Maienglanz iſt leider nicht ganz ohne TrÜ- 
bung. Es iſt uns ſchon zu Anfang des Dramas, als 
huſchte zuweilen ein Wolkenſ|<atten über die ſtrahlende 
Candſ<haft; wir können uns eines leiſen Gefühls der 
Unſicherheit nicht erwehren und es nicht ganz vergeßien, 
das Wort vom zitternden Erdunglü>. Zunächſt er- 
ſheint uns Nora beinahe zu findlich, von ſprunghaſter 
Cebendigkeit des Gedankens, in Stimmung und Gebärde 
faſt unſtät und beweglich, im Geſpräch hin und her 
ſchwebend, gaufelnd wie ein Schmetterling, dazu ein 
wenig pußliebend, naſ<haft und oon einer halb reizen- 
den, halb beängſtigenden Unfenninis reeller Verhältniſſe. 
Noch bedenklicher aber iſt es uns, daß ſie e8 mit der 
Wahrheit niht genau nimmt. Sie erlaubt ſich ihrem 
Gatten gegenüber allerlei fleine Verlegenheitsausreden, 
zwar ziemlich harmlos, halb nediſch, aber doch wirkliche 
Unwahrheiten von einer Ked>heit, die auf lange Gewöh- 
mung und auf die Möglichkeit ernſterer Verwikeluingen 
ſchließen läßt. Und in der That =- wie ſind hier an 
den Nerp der dramatiſchen Handlung gekommen =: 
Nora verbirgt ihrem Gatten ein bedeutjames Geheimnis. 
Vor drei Jahren war Helmer fehr frank; er hatte 
fiß durc< übermäßige Anſtrengung in feinem Beruf ein 
Bruſtleiden zugezogen. Die Aerzte erklärten, daß nur 
ein längerer Aufenthalt im ſüdlichen Klima ihren Gatten 
retten könne. Aber woher das Geld für die Reiſe 
nehmen? O, Nora, die liebende Gattin, ſc<hafit Nat! 
Sie leiht heimlich von einem Winkeladvokaten 1800 Thlr. 
und fagt ihrem Gatten, das Geld jei ein Geſchenk 
ihres Vaters für eine Reiſe nach Italien. Dieſe wird 
nun ins Werk geſetzt; nach einjährigem Aufenthalt im 
Süven iſt Helmer geheilt, und ſie kehren in die Heimat 
zurü&. Aber warum ſagte Rora ihren Gatten nichts 
von der Anleihe, warum handelte ſie niht in Gemein- 
ſchaft, im Einverſtändnis mit ihm? Erſtlich durſte 
Helmer von der Gefahr in welcher ſein Leben "<Iwebte, 
nicht unterrichtet werden == [9 wollten es die Ärzte =- 
daher hatte Nora auch ihrem Gatten gegenüber die 
Sache fo gewendet, als ob hauptfäc<hli< ihretwillen, 
zu ihrem Vergnügen und ihrer Kräftigung die Reiſe 
unternommen werde. Zum Zweiten wußte Nora, daß 
Helmer unter keinen Umſtänden in die Anleihe gewilligt 
hätte. „Niemals leihen“ hören wir ihn jagen, „es 
fommt etwas Unfreies und daher Unſc<önes in das 
Hausweſen, welches auf Anleihen und Schulden ge- 
gründet iſt.“ Und weil Helmer in dieſem Punkt 10 
ſtreng denkt, hat Nora ihm auch ſpäter ihr Geheimnis 
nicht offenbart. Sie hat na? und nach aus den Erxr- 
ſparniſſen von ihrem Nadelgeld =- ohne jemals die für 
den Haushalt und die Kinder beſtimmten Summen 
anzugreifen =- oon der Schuld abgetragen; einmal hat 
ie unter allerlei Vorwänden wochenlang allabendlich 
bis tief in die Nacht bei verſchloſſener Thür dur 
Abſchreiben Geld verdient. Jett iſt nur no< ein un- 
bedeutender Reſt der Schuld übrig. Aber ſie wird 
Helmer nichts ſagen; denn „wie peinlich) und demütigend 
müßte. er mit feinem männlichen Selbſtgekühl es nicht 
empfinden, daß er ihr etwas verdankt!" Das würde 
das Verhältnis zwiſchen ihnen ganz verſchieben, und ihr 
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ſchönes, glüflihes Daheim würde nicht bleiben, was es 
iſt.“ Ob ſie e8 ihm jemals ſagen wird? „Vielleicht =- 
naß vielen Jahren, wenn fie nicht mehr ſo hübſch üt, 
wenn Robert, ihr Gatte, ſie niht mehr ſo gern hat 
als wie jeht; wenn er kein Vergnügen mehr darin 
findet, daß ſie vor ihm tanzt, ſich verkleidet und dekla- 
miert,“ =- da mödte es vielleicht ganz gut fein, eine 
alte Schuldforderung der Liebe zu beſizen, = do< 
weg, weg! =- fie bricht den Gedanken kurz ab, -- 
„die Zeit kommt niemals, niemals!“ 
Das iſt Noras8 Geheimnis. Cs iſt ihre ſtille 
Freude, ihr im Verborgenen quillſender Stolz; ihr Buſen 
hcbt ſich, ihre kräftige Geſtalt richtet ſich kräftig empor, 
wenn fie daran denkt, daß ſie, das unerfahrene Weib, 
durch eigenes Vermögen etwas Großes gethan, daß jie 
ihrem geliebten Gatten das Leben gerettet hat. 
Aber es iſt bei vem Geheimnis no< eines verz 
hängnisvollen Umſtandes zu erwähnen: Günther, der 
Winkeladvokat, hat damals eine Bürgſchaft für das 
Geld, die Bürgichaft ihres Vaters, verlangt. Nora 
hat zugeſagt. Aber ihr Bater lag ſc<wer frank; wie 
durfte ſie ihn auf ſeinem Sterbebette mit ihren Sorgen 
bemwuhigen? Was that ſie? Sie ſIhrieb auf das 
Kautionsformular ſelbſt mit verſtellter Hand den Namen 
ihres Vaters. Sie hatte kein Verſtändnis für die Trag- 
weite, feine Ahnung von der juriſtiſchen Schwere dieter 
Handlung. Wie follte es ſtrafbar jein, den franken 
Gatten zu retten und das ſterbenden Vaters zu ihonen? 
So hat ſie eine Urkundenfäljchung, ein Verbrechen be- 
gangen. Nora eine Verbrecherin aus Unverſtand und 
Cer 
Liebe. 
Hier werden nun die dramatijchen Hebel angetebt. 
Günther iſt Unterbeamter an der Bank, deren Direktion 
Helmer neulich übernommen hat. Dieſer, in feiner 
Abneigung gegen alles unſaubere Weſen, gegen jede 
unreine Berührung, kündigt dem übelberufenen Winkel- 
ſchreiber den Poſten an der Aktienbank. Günther weiß 
fängſt, daß Nora jene Unterſchrift gefälj<ht hat und 
kann es beweiſen. Ex hat bisher geſchwiegen; jett aber, 
im Kampf um fein Amt und nm die Trümmer feiner 
bürgerlichen Ehre, wendet er jich an ie und verlangt 
unter Androhung des Kriminalprozeſjes, daß ſie ihren 
Mann bewege, ihm den gekündigten Poſten wiederzu- 
geben. Nun wird es ora ſchredlich flar, was |üe 
gethan hat. Sie wagt es aber nicht, ſich ihrem Gatten 
zu offenbaren; vergebens jucht ſte ihn dur< Hinweis 
auf die Bedürftigkeit und Armut des Winkelſchreibers 
zur Milde gegen dieſen zu bewegen. Sie verlebt Tage 
voll quälender Angſt und düſterer, entſeblicher Gedanken. 
Doch im muß darauf verzichten, die kunſtvolle Steige- 
rung und Spannung der Konflikte ins Licht zu ſtellen. 
Jh eile der Kataſtrophe zu. 
Helmer und Nora kehren ſpät abends von einem 
Maskenball zurüs. Er iſt in roſigiter Laune? ſeine 
Gattin hat durc< ihre Anmut alle Welt entzüät und 
zuleßt dur<& Ausführung eines italieniſchen Tanzes 
fürniicen Beifall geerutet. Sie wäre dann gern nod 
ein Weilchen in der Geſellſchaft geblieben; aber Helmer 
hat es nicht geduldet; er hat ſie hinweggeführt, „damit 
die Wirkung fich nicht abſ<wädhe.“ Er faßt nach bez 
endigtem Tanz den Arm ſeines reizenden Caprimädchens, 
macht eine Runde durc< den Saal, verneigt ſich nach 
allen Seiten == „und der ſ<öne Anbli> itt verſ<wun- 
den.“ „Cin Abſchluß muß immer wirkungsvoll jein!“ 
Jett ift er mit Nora allein, trunken von der Schönheit 
wie ein begeiſterter Künſtler; berauſcht von ſehnfühtigem 
GlüE wie ein geiſtvoll liebender Jüngling. Zu ſolchen
	        
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