Full text: Hamburgische Schulzeitung - 3.1895 (3)

ſuchen und ihre Kinder ihnen zuführen? Wie darf 
man es fortwährend mit Pathos als ein allgemeines 
Menſchenrecht proflamieren, daß die vom Schöpfer 
verliehenen Anlagen Ausbildung erlangen und für ihre 
Verwendung freie Bahn gegeben werden müſſe, wenn 
man der Hälfte der Menſchheit, nämlich dem weiblichen 
Geſchlechte, möglichſt viele Hinderniſſe bereitet und ſie 
vom Genuſſe dieſes Menſchenrechtes zurückhält, damit 
Konkurrenz abgewehrt werde? = -- Neulich beſprach 
ic) dieje und ähnliche Gragen nit einem Freunde; er 
meinte furzweg, unſere Zeit jei eine große Lüge. -- 
Ich will's nicht glauben, Herr Redakteur, ſondern an- 
nehmen, daß es mir ſchwer falle, ihre Grſcheinungen 
richtig zu deuten. VWMein Freund und ic< werden wohl 
alters)chwach. 
Der Ihrige. 
Feuilleton. 
Condoner Vilder. 
Von H. Berndt. 
iH. Cin Sonntag - Rachmittag im Stdcpark. 
Wenn man jene unterirdiſcheit Verfehrswege, be 
jonders die Untergrundbahn, als eine, wenn auch not- 
wendige Schattenteite des Londoner Lebens bezeichnen 
muß, 10 weit es fich um die Geſundheit handelt, ſo 
ſind die vielen Londoner Parks helle Lichtfeiten, und 
der Hydepark einer der hellſten unter ihnen. 
Dieter entſpricht in ſeiner Bedeutung für London 
etwa dem Tiergarten für Berlin Ungeheure Scharen 
ſtrömen beſonders Sonntags dorthin, um einen Genuß 
ZU haben, der den Meiſten unter ihnen die ganze Woche 
verſagt üt: Natur und friſche Luft. Auch icß habe 
den) eben mehrmals aufgeſucht, it. a. auch ain einem 
Sonntag-Nachmittag. Die Erlebniſſe an dieſem Tage 
lege iM der nachfolgenden Schilderung zu Grunde 
Nachdem ich in der „Royal Atbert Hall,“ einem 
außerordentlich großen Konzerthauſe unweit der Süd- 
weſte>e des Parks, ein Orgel- und Geſang-Konzert 
gehört und den Anbli> des nahen, prachtvollen „Albert 
Memorial“ in den „Kenſington Gardens“ uv< einmal 
genonen hatte, das ich gleich in den erſten Tagen meines 
Londoner Aufenthalts eingehend beſichtigt hatte, brauchte 
i< mice) nur dem Erholung ſuchenden Menſchenſtrom 
anzuſchließen, um bald durch ein Gitterthor dei 
Hydepark zu gelangen. 
„Der Park itt nach allen Richtungen von Wegen 
durchſchnitten. . In Wirklichkeit iſt der Park auf 
allen vier Seiten von deut Häuferuneere Londons ein- 
geichloßen; aber der Lärm der Waffen verſtummt hier, 
man glaubt auf dem Lande zu fein, ſo idylliſch iſt es. 
Überall begegnen, überholen Uns Leute; andere liegen 
auf dem Raſen ausgeftre>t, gen auf Stühlen, wandeln 
auf und neben den Wegen.“ Das Betreten des Raſens 
it nämlich überall geſtattet mit AuSnahme derjenigen 
Plätze, welche etwa neu angeſät find und daher dem 
beſonderem Schuße des Publikums empfohlen werden. 
An den Wegen ſtehen viele Bänke für jederman n Un: 
entgeltlich zur Berfügung, während die Benutzung eines 
der zahlreichen Stühle auf den Rafenpläten einen 
Penny koſtet. 
Auf dem „Serpentine“, einem Gewäſſer, welches 
den Park von Nordweſten ua< Südoſten in weitem 
Bogen durchzieht, wimmelt es von Ruderbooten. Ih 
benuße die einzige Brüde, welche über den Serpentine 
führt, und gelange alsdann quer durd) deit Park nach 
In 
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Worten das traurige 
der Oſtſeite, wel<he mit Ausnahme des äußerſten Oſt- 
randes von Bäumen und Anlagen gänzlich frei und 
daher zu Maßſen-Verjammlungen äußerſt geeignet iſt. 
Hier iſt der Ort, wohin die Arbeiter bei wichtigen Ge- 
legenheiten oſt zu Zehntauſenden ziehen, um den zün- 
denden Worten ihrer Führer zu [aujchen. An jenem 
Nachmittage fanden nicht jolhe großen Verſammlungen 
ſtatt, aber doch intereſſante, <harakteriſtiſche Vorgänge. 
Da war zunächſt an einem Kreuzwege ein junger 
Menſch von etwa 23 Jahren, welcher mit beredten 
&os der Londoner Dienſtboten 
ſchilderte, die heiſpielsweiſe nie imſtaude wären, über 
ihre Herrſchaft vor dem Dienſtantritt Erkundigungen 
einzuziehen, während es umgekehrt für die Herrſchaft 
leiht wäre, genau über ihre neuen Dienſtboten nach- 
zuforſ;hen. Wer nun von den Zuhörern der Not der 
armen Dienſtboten abzuhelfen geſonnen jei, der möge 
ſich abends um 8 Uhr in dem und dem Lokale einfinden. 
Auf der benachbarten Naſenecke ſtand ein Straßen- 
prediger, welcher aus dem alten Teſtamente vorlas und 
über den verlejenen Abj<hnitt predi igte. Einige Geitn- 
nungsgenoſſen waren bei ihm, und einer derſelben löſte 
ihn ſpäter ab. Warum die Redner übrigens als 
Standort meiſtens eine Naſene>e wählen, das wurde 
mir hier 10 recht klar. Man denke jich den Kreuzungs- 
punft zweier oder mehrerer Fußwege, deren Seiten 
mit Raſen bewachſen nd. Will man das Betreten 
des RaJens nicht verbieten, 19 itt es klar, daß die CE>en 
am meiſten der Gefahr ausge!eßt nud, in fürzer Zeit 
niedergetreten zu Werder. Darum hat man ne auch 
auf zwei Seiten mit eifernein Gittern eingefaßt, während 
der grüßere Teil des Naenplates ohne dieſen Schuß 
it. Die Redner ſtellen nN in die durch die beiden 
Gitter gebildete E>e und haben jo eine Schranke gegen 
den Andrang des Publikums. Von hinten her können 
fich freilich die Zuhörer dem Jedner beliebig nähern, 
wie dies 3. B. ein roher Menſch von etwa 25 Jahren 
that. Dieſer hatie ein rotes, amgedmyenes Gencht 
mit einer diefen Schmarre und rotes Haar, ging bar- 
häuptig und in Hemdsärmeln und hatte feinen Gefallen 
daran, durc< allerlei dimme Streiche und Redensarten 
den Redner lächerlich zu machen. Dieter ließ "ich aber 
nicht aus der Fanyung bringen, und bei der Mehrzahl 
der Zuhörer erreate feint Treiben Abſcheu und Ekel. 
Von hier fiel mein Auge auf einen ſchwarzen 
Prediger im Talar, welcher in der Näve bald redete, 
bald fang und das Publifum zum NVitſingen aufforderte. 
Er bat um Geld, zu welchen Zwecke, konnte ich nicht 
verſtehen. 
zu ziemlich 
weit größere Menſ<enanfammlung als die 
ſehenen. Als ich näherkam, gewahrte ich 
Gjährigen Knaben, welcher über oine 
Zeichenheft gehängt hatte und mm au? jedes Blatt 
mit wenigen Kohlomſtirichen geichiEt und. äunzernt 
Ihnell eine berühmte enalifche Perſönlichkeit zeichnete 
3. B. Gladſtone und dew verſtorbenen Lord Beakons- 
field. Die Leiſtungen waren in der That erſtaunlich. 
Natürlich war es ihm nur um das Geld der Zuſchauer 
zu thun. Zier ſeien die zuweilen künſtler aus- 
geführten Bilder erwähnt, welche man nicht felten in 
den weniger belebten Straßen auf den Steinplatten 
mit Kreide und Kohle gemalt feht. Es iſt dies eine 
der vielen Umgehungen des Getetes gegen die Bettele1. 
weiter Ferne bemerkte ich 1odamn eine 
biSher ge: 
einen etwa 
Staffelei ein 
 
 
Joch weiter na< Norden Hin war wieder ein 
größerer Menſchenhaufe. Aus der Mitte destelben 
ragte ein auf einem Stuhle ſtehender Neger hervor.
	        
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