Hamburgijche Schu
zeitung.
Eine Wochenjc<rift für die Angelegenheiten des Unterrichts,
der Erziehung und des Lehrerſtandes.
Redaktion: --
Chr. Hamann, Hamburg,
Finfenau 2, V-
HerauSsgegeben
von hamburgiſchen Lehrern.
Verlag:
Otto Meißner, Hamburg,
Hermannſtraße 44.
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3. Jahrgang.
21. Jovember 1895.
Nr. 47.
„Aber die Liebe . . .“
(Grundlage: 1. Kor. 13, 1--7.)
Ein Wort über werkthätiges Chriſtentum in
der Erziehung.*)
Von Martin Bött<er.
(Schluß.)
„Sie läßt ſich nicht erbittern.“
Haſt Du nicht häufig mit tierem Mitgefühl in ein
altes, vergrämtes Mutterantlik geichaut? Sind Dir
grämliche Väter und Lehrer felteno Erſcheinungen? --
Es thut mir leid, Du altes, vergrämtes Mütterchen,
Ihr grämlichen Räter und Lehrer, daß ih Cure Wunde
unfanft berühren muß; aber um der jungen Eltern
und Erzieher willen muß ich die bittere Wahrheit
ſagen, == auch um Curetwillen; denn manche Stunde
fan nur dur< ſcharfe Einſchiitte geheilt werden, oder
dur) äßende Säuren, = wenn ſie eitert. J< muß
Euch ſagen: In neunzig von hundert Fällen iſt zFäul-
nis in Eurer Wunde, iſt die Hanpturjache Cures
Grams Eure, = Eure Schuld. I< hätte nicht nötig
gehabt, Cuch das zu ſagen, wenn Jhr zwei Vibelſrellen
gründlich dur<daht und beherzigt hättet. Die eine
ſieht über dieſem Abſchnitt; die andere kennt Jhr auch,
ach, Wiſſen und Thun! = Sie ſteht Matth. 5,5 und
lautet: „Selig ſind die Sanſtmütigen, denn ne werden
das Erdreich beſißen.“ Der das ſagte, ließ ig mht
erbittern -- und erbitterte darum auch nicht. Dur
Sanftmut, jene gewaltige Liebesmacht, gewann er das
Erdreich. Dur mürriſches, heftiges, finſteres Weſen
ging Dir eine Welt verloren, und Dir liegt jekt nur
darm, Deine verlorene Welt, Deinen Dir entfremdeten
Sohn oder Zögling, wieder zu gewinnen. Hier iſt das
Rezept: it er dur< deine Bitterkeit verbittert und
durc< die Verbitterung jittlic) verdorben, dann kann er
nur dur) Deine Sanfuut geſunden; dann mußt Du
nachzutragen ſuchen, was Du lange verſäumteſt ; heilen,
was Du langſam verwundeteſt. Thuſt Du's, dann
entledigſt Du Dich Deiner Schuld ; fie iſt auc) dann
geſühnt, wenn Deine Liebesmühe eine „verlorene“ fein
ſollte ; aber Liebesmühe iſt nie verloren. Halte diele
Zuverſicht feſt, ſelbt wenn Dein Auge keinen Erfolg
j<auen ſollte. I< weiß nicht, ob Monika in Ta-
gaſie es erlebte, daß ihr Auguſtinus der Auguttimus
würde, aber icß weiß, daß er es wurde.
„Die Liebe läßt n< nicht erbittern,“ -=- das
Wort müßte in jeder Kinderſtube, in jedem Schulzim:-
mer, beter: in jedem Erzieherherzen jrehen; Denn „es
tet Thorheit im Herzen des Knaben“ , 109 viel „Thor
heit“, daß man mitunter „verzweifeln mödte“, und
Ernſi und Strafe thun 1yot, und =- es iſt manchmal
jo ſchwer, das rechte Waß des Ernſtes und der Strake
zu treffen, doppelt f<Ower, da das verwundete Herz ZU
einen Zuviel hinneigt. Cin Zuwenig zwar kann eben-
ſo verderblich wirken wie ein Zuviel. Au! die erite
Liebe kommt alles an; fie iſt ernſt. icht weichlich ; ne
ſtraft wohl, aber erbittert niemals, weil ſe nicht jelbit
bitter it.
„Sie rechnet das Böſe nicht zu“, = *)
madct einen Strich darüber, vergißt 1 vergiebt, enintz
Ihuldiat, „fehrt alles zum Beſte“ --- „Vertrauen Ur
Erlöſung“ hat jemand geſagt. Zeige Deinem Sohn,
daß Du ihm vertrau, obgleich er durd) jein Betragen
Dein Vertrauen verſc<herzt hat, = und Du ruſt einen
Schutengel über ihn herab, der ihn vor einem ferne-
ren Vertrauensbruch bewahrt. Wenn Du ihm ver-
trauſt, dann lernt er nc< ſelbit vertrauen, und 1ein
Wille zum Guten wächt. Warum kehrte der verlorene
Sohn des Cvangeliums nicht zU einen lüderlichen We-
noſen zurür? Die Liebe des VatersS, weld&e das Böte
micht zurehnete, hatte ihn von der Sündenknechtichaft
erlöſt.
„Sie freuet ſich nicht der Ungerechtigkeit; fic
freuet ſich aber der Wahrheit.“
Ia, aber was iſt die Wahrheit? Oder = da es
fich hier um Erziehung handelt == was Ut die Wahr-
heit in der Erziehung? --“ „Was iſt die Wahrheit?“
iſt eine alte und eine neue, faſt hätte ih geſagt: ebe
ewige Frage. Ewig iſt fie zwar nicht, Gott fet Dank;
aber alle Zeit wird ne ausfüllen : -- Die Wahrheit
iſt „was. das unabläſüg geſucht werden muß,
und das dem unermüdlicher Sucher ſtürweite und teil-
weiſe auftaucht aus dem Nebel des Sheins. VNBVöllige
Wahrheit iſt nicht für irreitde Menſchenkinder, auch
nicht für ho< erleuchtete Menſchen, ſondern nur für
=) Revidierter Text. Luther: „Sie trachtet nicht nach Schaden.“