Full text: Hamburgische Schulzeitung - 3.1895 (3)

die durchleudhteten, verklärten ewigen Geiſter. „Unſer 
Wiſſen iſt Stü&wert.“ Der Wahrheitsſucher muß ſich 
der gefundenen Wadhrheitsſtü&e „freuen“: =- dank- 
bar ſein. Und demütig muß er fein; er muß erken- 
nen: Nicht dieſe Meinung, nicht jene Meinung iſt 
die Wahrheit; = = nicht dies Syjiem, nicht jenes 
Syſtem, nicht Peſtalozzi, nict Herbart, nicht meine 
Art, nicht ſeine Art. Zwar kennen wir einen Erzieher, 
der auch als Erzieher die Wahrheit iſt: Chrijtum. Aber 
wo ſeine Wahrheit ſich in einem Spiegel abbildet, der 
anvollfommen iſt wie der menſ<liche Geiſt, da ent- 
ſtehen Verzerrungen und Unklarheiten. Daher bleibt 
es dabei: Suchen und immer wieder juchen: = Sich 
der Wahrheit freuen, -- darauf kommt es an. 
Die Liebe freuet ſich dor Wahrheit, aber „nicht 
der Ungerechtigkeit.“ 
„Selbſtverſtändlich!“ Jprichſt Du? = -- ES iſt 
nicht felbſtverſtändlich, obwohl es ſfelbſtverſtändlich ſein 
ſollte. Siehe: Du ſ<wörſt auf den ganzen Herbart,-- 
oder auf den ganzen Beſtalozzi, =- auf dieſes oder jenes 
Syſtem der Erziehung, oder auf dies oder jenes in 
dieſem oder jenem Syſtem; einerlei: Du ſchwörſt dar- 
auf = =- weil Du nicht jelbſt ſuchen und TÜgen 
magſt nag Erkenntnis der Wahrheit. Dder Du 
I<wörtt hochmütig auf eigene Meinungen als auf die 
Wahrheit. Oder Du bequemjt Dich einem fremden 
Willen an, von dem Du weißt, daß er verkehrt iſt, 
etwa dem Willen Deines Vorgeſezten, = oder dem 
„guten Ton“. obgleich er ein fehr ſchlechter iſt, -- 
oder der „Sitte“, trozdem ſie durd) die „Geſellichaft“, 
DIe Gemeinſhafi, welche den „guten Ton“ angiebt, 
verderbt iſt, = =- alles wider Gewiſjen und beſſeres 
Wiſſen und aus Trägheit oder Selbitſu<t. Um dem 
„guten Ton „geredt“ zU Werden, erziehlt, nein, drefz 
fierſt Du Dein Kind zu einem glatten, geſchniegelten, 
gebügelten, heuchleriſchen, verlogetten Zieraſſen; der 
„Sitte“ zuliebe arrangier|t Du Kürderbälle, obgleic 
Du weißt, wie verderblich fie jmd, Soll ich noch mehr 
Beiſviele nennen? = Siehe, Du „freuſt Dich der Un- 
gerechtigfeit“; das thut die Liebe nicht. 
Hier beſchäftigt uns nur die Frage: Was iſt 
Wahrheit, was iſt Ungerechtigkeit in der Erziehung?“ 
Und die Antwort befriedigt Lich niht. = Es giebt 
aber keine andere Menſ<enantwort als dieje: Suchen, 
unobläſſig uche! = Und es giebt keinen anderen 
Troſt als dieſeit: Ctwas wirſt Du finden, nicht alles. 
Der Liebe iſt das auch gemig: Sie freut ſich des 
Gefundenen, == des allmählichen Fortichritts; ſie freut 
ſich in der Hoffnung auf endlichen Sieg. 
Warum jich aber die Liebe der Wahrheit freut? 
=-- Weil ſie Geſchwiſter nud, beide von Gott geboren. 
„Die Liehe iſt langmütig 
freundlic, 
Die Liebe eifert nicht, 
Die Liebe treibt nicht Mutwillen, 
blähet ſich nicht; 
jtellet jih niht ungebärdia, 
ſuchet nicht das ihre, 
läßt ſich nicht erbittern, 
reIhnet das Böte nicht zu, 
: Treuet jich nicht der Ungeredtigkeit, 
freuet ſh aber der Wahrheit.“ 
Summa: Vollkommene Liebe. = Kürzeſter 
AUsdruä der Summe: „Sie verträgt alles, ſie 
hoffet alles, ſie duldet alles.“ 
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* 
Wir ſchrieben die einzelnen Teile eines großen 
Ganzen wie Summanden einer Addition3aufgabe auf, 
vereinigten die Teile: -- addierten die Summanden-- 
und befamen ein Facit. = Wir rechneten no< ein- 
mal und wieder einmal nach und erfannten, daß das 
Facit ſtimmte, daß die aufgezählten Cinzelheiten in 
ihrer Einheit das Weſen der vollkommenen Liebe aus- 
machten. Daher konnten wir getroſt einen Schlußſtric< 
ziehen. 
Wir freuten uns fo, als wir diejen Scclußjtrih 
zogen, als ob wir die Rechenmeiſter wären. Das 
jind wir zwar nicht, und ich fürchte: Sollte einer 
von uns die GCigenſchaften der Liebe aus eigener Ber- 
nunft aufſtellen und fie dann au eigener Kraft zu 
inem Ergebnis zuſammenſtellen, = ja, ich fürchte, daß 
dies Ergebnis in den Augen des allein Sehenden 
jich jehr Jonderbar auSnehmen würde. Cs würde wohl 
etwas ganz anders aufgeſtellt werden als wahres 
Liebesweſen und wohl etwas ganz anderes heraus- 
kommen als völlige Liebe. = =- =- 
Liebe : 
„Sie verträgt alles,“ genauer: „det alles 
zu,“ = nämlich alles Böe, das Ment<entum, alles 
Unrecht, alie Sünde; jie de>t es zu mit ihrem weiten 
Mantel, vergiebt umd vergißt. 
So ijt ſie aljo, die vollkommene 
- 
mate 
men 
„Sie glaubet alles,“ =- alles Gute von den 
Menſchenkindern, „kehrt alles zum beiten.“ 
„Sit hoffet alles,“ hofft und harrt auf 
Betjerung, wo ſü? Em Gutes glauben fann. 
enmmemmeerann 
- „Sie duldet alles,“ = alles Bö7e von den Böüs3- 
willigen, wo fie kam Gutes glauben und auch 
famn auf Beſſerung 4 o7fen fann, wd zwar thut fie 
es, ohne dadur) Das DV ie 
eine Macht iſt 
Zöſe ZU ftärfen; ſie weiß, das 
: „dit zröß eſte!“ 
Mitunter kann ſie kaum glauben, 
faum bornen ; 
es wird ihr jhwer. Aber nimmer läßt fie Glauben 
und Hoffnung ganz fahren: Immer bleiben Glaube, 
Hofmumnga, Liebe, dieſe drei; aber die Liebe iſt die 
größeſte unter ihnen: ne iſt die Sonne; Glaube und 
Homung jind zwei ihrer Strahlen. 
Die Liebe int alles: 
„Die Liebe höret ninmer auf,“ = in der Zeit 
niht und in der Ewigkeit nicht. viebe ijyt Leben; 
ewige Liebe iſt ewiges Leben; = Gott iſt die Ciebe, 
und wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott 
und Gott in ihm.“ 
Yaßt uns in der Liebe bleiben ' 
ambmunmmm teren erentranene renate Mendener neter urn ware me 
Anneituanmreanrennn vante Seeen m wo wre une 
Briefliche Nachrichten. 
Wandsbetf, d. 16. November 1895. 
In unſerer lebten Vereinsverjamulung wurde 
von Herrn Jvers I] ein * Vortrag über die Sh<hwierig- 
keiten und Hinderniſſe, die im demiſ<en Spracunter- 
richt bei unjern Schülern hervortreten, gehalten. Es 
wurden im Vortrag namentlich die oft mißlichen häus- 
lichen Verhältnitje und die plattdeutſche Mundart der 
Schüler hervorgehoben. In der Debatte wurde der 
Gebrauch eines von den Elementen ausgehenden Sprach- 
übungsbuches, in welchem auch) die vlattdeutſ<e Mund- 
art zur Anwendung fomme, als notwendig erkannt. 
Über unſere jetzigen Sdulverhältanye dürften folgende 
Beomerkungen als zeitgemäß umd angemetſen ergatet
	        
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