Full text: Hamburgische Schulzeitung - 3.1895 (3)

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Sollte der Winzer ſich des Weinſtoc>es nicht freuen 
und ſeiner pflege, der nur eine edle Art des edlen 
Weines, nicht aber alle Arten zu erzeugen vermag? 
Die Schule enthält nicht die Faktoren der Volkser- 
ziehung, aber Cinen Faktor und einen relativ wichtigen, 
iſt das nicht genug und wohl „des Scweißes der 
Edlen wert ?“ 
Und die Anſprücße? Ja, die Schule iſt ſchre>lich 
anſpruchsvoll! Sie will erſtens durc<ß gebildete Lehrer 
heben und zweitens für dieſe eine entſprechende Steilung. 
Dieſe beiden Forderungen ſind wirklich höchſt unver- 
nünftig, bei welchem Ende man ſeine Betrachtungen 
auc<ß anhebt. Deun find die Lehrer nicht gut, 1o iſt 
ihre jehige Stellung für fie ſchon viel zu gut; ijt ihre 
Stellung aber nicht aut, ſo dürfen die Lehrer auch ja 
nicht eine höhere Bildung haben, font werden fie un- 
glülich, zerriſſen, unbrauchbar. **) Das iſt ja klar wie 
-- Tinte, und ich will den wacern Männern, deinen 
ich dieſe vortrefflichen Shlüſſe nachgedacht habe, ihre 
Schöpferfreude dur<h keine Bemerkung ſtören. 
Ig, ic; will noch mehr thun: ich will in vollem 
Ernſte zugeben, daß man in der nächſten Zukunft 
wahrſc<einlich am menſc<henſfreundlichſten und weiſeiten 
handelt, wenn man die Volksichuilehrer nicht aus den 
Seminarien oder gar aus den Seminarien, welche it 
ver Realſ<hule ihren Vorkurius haben (das war früher 
mein Wunſch), ſondern nach Curtmannus einfachen und 
praktiſchem Vorſhlage aus der Kaſerne rekrutierte. Am 
menſ<enfreundlichſten =- denn 30 Thaler und 20 600 
Soden Torf machen den verbildeten Seminarinien nur 
unglülich ; und am weiſeſten =- denn ein fröhlicher 
und kräftiger Soldat iſt der Schule zuträgliger, als 
ein leiblich- und geiſtig- kränfelnder Seminariſt. Freilich 
wird man dabei nicht ſehen bleiben. Nur Fibel und 
Katechismus ſind in der Bolks8ſchule berechtigt, altes 
andere, das ſich eingeſchlichen, muß wieder hinaus. 
Vielleicht werden ſi, wemt einmal die Zeit Fortſchritt 
will, Klüterbankf und Spinnrad mit jenen fſreundnach- 
barlich vertragen und brauchbare Bürger bilden, während 
jene wieder alte, gute Chriſten liefern. 
Dann endlic< wird ein unleugbares Übel, das di 
Schule gebracht, allmählich f<9winden: das Volk wird 
weniger pilücen vom Bainne der Erkenntnis. 
Freilich, dieſe Umgeſtaltung der Volksihule wird 
in unſerm Lande nicht erreicht werden, deim Untere 
Regierung wird es nicht woilen. Sie hat erſt in den 
lezten 40-50 Jahren eine Volksſchule gej<afen, hat 
mit großer Liebe ihrer gepflegt, uud wird ſich durch 
die augenblieliche Strömung der Zeit nicht ſogleich in 
die entgegengeſeßte Richtung drängen laten. Auch die 
Geſchichte ſpri<t zu mächtig gegen ein ſolches Zurück- 
gehen. Sie lehrt von Anbeginn, daß auc< die, welche 
dent Lichte Fenſter und Thüren verſchließen, es nicht 
drautßeit zu halten vermögen. Es fendet dann oſt einen 
Strahl hinein, der die Moderluſft drinnen zur. ver- 
zehrenden Flamme entzündet, welche nicht bloß Feuſter 
und Thüren ſprengt, ſondern auch Dam? wund Mauern 
zerſtört. Die Erkenntnis iſt einem Strome gleich, ne 
will dure die Flur der Menſ<heit ſtrömen, um zu 
ſequen und zu beglü>en, ſie kann's aber nur, wenn ihr 
der Weg geöffnet iſt. Will man fie hemmen, 19 bahnt 
ſie ich ſelber einen Weg, aber ſie kommt damn als 
Königin des ShreFens. Darum ſeid klug, laßt und 
macht ihr den Weg offen, grabt das Bett fein tief 
und brett! 
Mit dem Untergange der Volksjhule hat's keine 
Rot. Der für den Augenbli> herrſhende Oſtwind der 
 
Zeit mag auch ihr einige Blätter und Blüten rauben 
und ſie eine Weile in ihrem Wachstum aufhalten ; aber 
fie iſt ein innerlich geſunder Baum, dem einheimiſchen 
Boden entfproffen, und ein guter Grund iſt's, in dem 
ſie wurzelt. - . 
Du wirſt Dice) mein Freund, mit dieſer tröfilichen 
Auffaſſung der gegenwärtigen Lage einverſtanden ex- 
klären, aber es gefällt Dir nicht, daß ih die Haupt- 
"antwort auf die obigen, die Schule ſtraſenden oder 
verac<ßtenden Reden verſchwiegen habe, die nämlich: daß 
und waruni die Volfsſchule (ihre gegenwärtige Exr- 
ſcheinung) ſich felbſt (ihre Idee) kamu ähnlich ſieht und 
jehen kann. Was aber in aller Welt könnte uns mn jeziger 
Zeit bewegen, jenen Verächtern überhaupt zu antworten 
und zumal das oben Ängedeutete ihnen auseittander- 
zuſeßen? JI verwahre mich bei dieſer Gelegenheit 
feierlich dagegen, das ich in dieſen Briefen zu jemad 
anders ſpreche als zu Dir, und etwas anderes thue, 
als mit Dir, mir und dem Seßer = tres kacimnt 
collegium = itt einer Konferenz Bibelerflärung tretbe, 
was 1a felbſt in größeren Schullehrer-Konferenzen bis 
jeßt für eine unſchuldige Beſchäftigung gilt. Umtzer 
Jocus iſt heute geweſen: „Schicet Cuch in die Zeit, 
denn es iſt eine höfe Zeit.“ Das iteht in der Bibel, 
darauf verlaß Dich und ſag mir gelegentlich einmal 
wo? Der Goethe foll übrigens zu dieter Stelle eine 
Gloſie geſchrieben haben, ungefähr 19: 
Es mag ſich Feindliches ereignen : 
Du bleibe ruhig, bleibe ſtumm: 
Und wenn ve Dir Bewegung leugnen, 
Geh ihnen vor der %aſ' herum. 
Ich weiß das aber met aewiß; deit meines 
Wiſſens hat er memals in Schullehrer-Konferenzen 
eregetiſche Vorleſungen gehalten. Dieſe Unwinenheit 
wird mir indes niemand verdenfen ; was haben wir 
nat Goethe zu ſ<aen ? 
Im nächſten Briefe werde ich mich eines andern 
Stils befleißigen und „mir die Freiheit nehmen“, Dir 
„meine wunmaßgeblichen Anjichten“ darüber mitzuteilen, 
was die Volksiule ſelbſt in unferer geſegneten Zeit 
etwa thun könnte, um = nicht „ihnen vor der Na?" 
hermmzugehen,“ das itt ein ſchlechter, arroganter Stil, 
ſondern =- ſich felb't mehr unnd mehr ähnlich zu werden, 
oder nod) beſier: ihre Bilicht und Schuldigkeit ftets 
mehr zu erfüllen. 
Mit dem ſc<hließlichen Wunſche, daß Du dieſen 
Brief bei guter Geſundheit mögeſt empfangen, und ohne 
Unwohlſein zu Ende geleſen haben, grüßt Dich 
Dein Freund A. 
X, d. 6. Zum 1853. 
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Was follen wir der Jugend zur 
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Qeftüre bieten ? 
Von H. Scherer. 
Es iſt eine alte Forderung, daß an jeder Shulc 
eine Bibliothek für die Jugend und die Crwachtenen 
beſtehen foll, damit dieſelben ihren Bildungstrieb it 
der rechten Weiſe befriedigen können. Bezüglich der 
Jugend haben wir zunächſt und in erſter Linie die 
Scüler der Oberklaſſen (7. u. 8. Schalj.) im Auge; 
dem das „Leſen“ will erſt gelernt jein, und Kinder 
vor diefem Alter find noch nicht dur<gängig reif, eine 
größere zuſammenhängende Darſtellung vollſtändig felbiſtt 
ſtändig zu erfaſſen; daher foll man den Kindern nich-
	        
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