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chulzeitung.
Eine Wochenſchrift für die Angelegenheiten des Unterrichts, .
der Erziehung und des Lehrerſtandes. .
Redaktion :
Chr. Hamann, Hamburg,
5. Ulſterſtraße 21, I.
BZerausgegeben
von hamburdgiſchen LSebrern.
Verlag:
Otto Meißner, Hamburg.
Sermannſtraße 44.
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Nachdruck aus dieſer Zeitung iſt, falls nicht ausdrückl
5 Jahrgang.
auta tenen
2. Januar 1895.
Lo. 1.
Was iſt die Aufgabe des Religions-
unterrichts in der Gegenwart?
Von Julius Sc<hmarſe.
Von allen großen Fragen, wel<he die Gemüter
bewegen, iſt die religiöſe Frage die wichtigſte und
größte; in ihrer Löſung liegt die Löſung anderer
wichtiger Fragen -- 3. B. der ſozialen wie der politiſ<en
-- zum großen Teil eingeſchloſſen. Bei der Durch-
arbeitung deſjen, was ic<h hier zum Ausdrus bringen
möchte, wie bei Feſtſtelung meine8 Themas bin ich
von zwei Vorausſezungen ausgegangen, deren jede
eine Antwort iſt auf die religiöſe Frage. Die erſte
iſt die, daß wir bei unſerm Erziehungs8werk an der
uns anvertrauten Jugend der Sonne nicht entbehren
wollen. Nah wie vor ſoll der Religion3unterricht im
Mittelpunkt unſerer und unſerer Schüler geſammten
Arbeit ſtehen; zu dieſem ſoll alle Lehre und Exr-
kenntni8 in Beziehung geſegt und von ihm erleuchtet
und dur<drungen werden. „Die Religion muß dem
Volke erhalten werden“ lautet unſeres großen Kaiſers
Wort, und in ſeiner landesväterlihen, <riſtlihen
Geſinnung drü>t e8 die Überzeugung aus, daß die
Religion an jich ein Segen, daß ſie das Eine ſei, was
not thut.
„Der Menj<< lebt niht vom Brot allein, ſondern
von einem jeglihen Wort, das durch den Mund
Gottes gehet.“
Für un3 bedeutet die Frage: ob wir nach Maß-
gabe der uns verliehenen Gaben helfen wollen, daß
Religion im Leben unſeres Volke8 wieder die ſtärkſte
Triebkraft und das köſtli<ſte Gut werde, oder ob wir
die Hand dazu bieten, ſie als den alten Reſt ab-
geſtandener Meinungen früherer Jahrhunderte abzuthun
und durch andere, nüßlichere Dinge zu erfeßen.
Die zweite VorausSfezung, die meinem Thema zu
Grunde liegt, befagt, daß die Gegenwart der Religion8-
lehre beſondere Aufgaben ſtellt, von deren Erfüllung
es abhängt, ob der Zwe& des Religionsunterrichts
überhaupt erreicht wird.
Daß er bei 19 vielen nicht erreicht wird, iſt leider
Thatja<he, die wohl keiner ableugnen wird. Zſt der
Sqcüler daran j<uld, der Zeitgeiſt oder wir Neligions-
lehrer? Che wir der Beantwortung dieſer Frage
näher treten, haben wir das Ziel des Religions-
unterri<t8 aufzuſtellen. I< bekenne mich zu dem
Worte Moriz Carriere's: „Eine gottinnige Humanität,
eine in Natur und Geſchichte das Weſen und Walten
des Ewigen und die Verwirklichung jeiner Jdeen an-
ſc<hauende Weisheit ſei das Ziel unjeres Erkennens und
Lebens in der Gegenwart.“ Aber no< haben die
Extreme des religionsloſen Denkens und des geiſtlojen
Buchſtabenglauben8 den lauten Beifall des Tages, fo
daß derjenige, der zwiſ<en beiden hindur< ſeinem Ziele
zuſtrebt, von den Einen für einen Dummkopf, von den
Andern für einen Ketzer oder Ungläubigen gehalten
wird. Die beiden Vorausjezungen, von wel<en iH
vorhin ſprach, ſind nicht bloß iheoretij<e Erwägungen,
ſondern Poſitionen, die wir in hartem Kampfe gegen
unfere Gegner verteidigen müſſen. Lernen wir ſie
näher kennen!
Cs giebt im tiefſten Grunde zwei einander ent-
gegengejeßte Weltanſ<hauungen. Der idealiſtiſMen oder
theiſtifJhen, welH<e nah PBlatos3 Sprachgebrau< die
Welt in der Idee des Guten gegründet fein läßt unv
an Gott glaubt, ſteht die materialiſtiſ<e oder atheiſtiſc<e
gegenüber. Für die Materialiſten giebt e3 keinen Gott.
Zur Erklärung der Welt genügen ihnen materielle
Atome, die durch zufällige Bewegungen in die mannich-
fachſten Verbindungen kommen, darunter auch die,
welche wir Menſ<en und Tiere nennen. In dieſen
fFommen außer anderen Ereigniſſen auc< die Gefühle
von Luſt und S<hmerz vor, und hiernac; nennen ſie
die Dinge angenehm und unangenehm = gut und
böſe. Mit der Löſung der Aiome aus ihren Ver-
bindungen j<winden dann natürlich auc< Luſt und
Schmerz, das Gute und das Böſe mit einander dahin.
Wir würden |<werlic< Veranlaſſung haben, uns
mit dieſer an ſich rohen Weltanſ<auung zu befaſſen,
wenn ſte uns nicht bei manchen unſerer Schüler ſhon
in der Religionsſtunde entgegenträte wenn ſie miht
bloß in Barbierſtuben, ſondern auG von Kathedern
herab mit dem Anſpruch auf wiſſen]<haftlihe Begrün-
dung gelehrt würde. Die Materialiſten ſpre<en von
Empirie und exakter Wiſſenſhaft und behaupten laut,
daß der Fortſhritt ihrer wiſſenſ<haftlihen Erkenntnis
Glauben und Religion als eitel erwieſen vätte. Dems
gegenüber iſt doch die erſte Aufgabe des Religions-
lehrers, ſich und jeinen Schülern Klarheit zu ver-
ſchaffen über die Stichhaltigkeit dieſer Weltweisheit. =-