hängnisvollen Zwieſpalt zwiſ<en Glauben und Wiſſen.
ein Ende zu machen? Etwa dadurc<, daß die Autorität
der Kirche wieder in ihre vollen Rechte eingejezt wird
und man Lehre und Wiſſenſchaft eindämmt in die
Feſſeln alter Redhtgläubigkeit, daß man Belohnung
und Strafen in Ausſicht fellt, je nachdem der Prediger
oder Lehrer ſich zu den Saßungen der Kirche verhält ?
I<h meine, wir haben in den Regierungsbeſtrebungen
der 40. und 50. Jahre, welc<he für uns die bekannten
Regulative brachten, bereits die Erfahrung gemacht,
daß es vergeblich Bemühen war, den gewaltigen Strom
moderner Bildung zu hemmen. Viel ungeſehenes Herze-
leid auf der einen Seite und Heuchelei und Streber-
tum auf der andern ſind die Früchte jener Beſtrebungen
-
geweſen. Und doch, die Ausſöhnung zwiſchen dieſen
feindlichen Gegenfäßen iſt möglich. Wir müßen uns
zuerſt nur daran erinnern, daß Religion und Theologie,
Chriſtentum und Dogmatik, nicht identiſch ſind. Theologie
und Dogmatik find nur menſ<liche, dem Irrtum unter-
worfene Verſuche des wiſſenſchaftlichen Verſtandes, ſich
jene Har zu machen. Ein Widerſpruch «egen die
Dogmatik iſt alſo no<h kein Kampf gegeu Religion
und Chriſtentum; er kann vielmehr dazu dienen, da3-
ſelbe richtiger, larer, umfahjender einzuſehen, damit es
mehr und m hr zur That werde. Wo nan die Jrx-
tümer des fir<lihen Lehrſyſtems klar zu Tage liegen
und zu einer Gefahr für die Wertſchäzung der Religion
ſelbſt werden, find wir da verpflichtet, für dieje Jrr-
tümer einzutreten, ſie von Generation auf Generation
zu verpflanzen? Aber darüber zu urteilen, wo8 Wahr-
heit und Jrrtum, ſei nicht unjere Sache, wird uns
entgegengehalten, das bleibe Sache der Kirche und
ihrer Organe ; ihren Enticheidungen habe die Schule
willigen und unbedingten Gehorſam zu leiſten. Wer
ſo ſpricht, vergißt wieder, daß Religion und Chrijten-
tum nicht Sache des urteilenden Verſtande8, ſondern
Leben und Erfahrung des Gemütes und eine durch ſie
bedingte Willensrichtung ſind. Freilich, man kann uns
zwingen und man hat es ja gethan, unjern Kindern
einen ganz beſtimmten Lehrgehalt gedächtniSmäßig und
bis zu einem gewiſſen Grade auch verſtandeSmäßig
anzueignen, niemals aber, daß wir bei jolchem Unter-
richt nun auch mit unſerm eigenen Herzen und unſerer
innerſten Überzeugung betheiligt find. Und was iſt
die Folge, wenn wir nur mit halber Liebe uns dieſer
ſhHönſten und größten Aufgabe unſeres Berufs zu-
wenden? Für uns das Gefühl des Unbefriedigtſeins,
für unſere Kinder, daß ſie vielleicht Shaden nehmen
an ihrer Seele, daß ſie mit der Schale den edlen
Kern wegwerfen, weil wir es nicht verſtanden, die
Religion ihnen lieb und wert zu machen. So bleibt
alfo für un8 die Forderung beſtehen, daß
wir um der Religion, um des Heils unſerer Kinder
willen, nicßt lehren, wa8 wir ſelber nicht glauben,
ſondern nur da8, was ſich uns als wahr und frucht-
bringend erwieſen hat.
Wir ſtehen im öffentlihen Dienſte der Wahrheit,
das ſollten wir nie vergeſſen. Aufrichtigkeit und
Wahrheitsliebe ſind die jpeziſiſ<en Tugenden, die von
uns verlangt werden, ſte find die Grunvbedingungen
unſere3 Wirkens, denn au? ihnen beruht das Vertrauen
der Kinder und ihrer Eltern. i
Unſere Aufgabe beſteht niht in der Übermittelung
von Religionskenntniſſen, ſondern in der Pflanzung
und Pflege der Religion ſelbſt. Die Anlage zur
Religioſität iſt dem Menſ<hen angeboren; ſie iſt ſeine
beſte und für die rehte Lebensführung und Lebens-
vollendung die allerwichtigſte Anlage. Es gilt, ſie zu
einem fräftigen Lebensprinzip zu entwi>eln. Können
wir dieſer Forderung nach unſerer Überzeugung mit
den uns von der Kirche dargereichten Formen und
Mitteln ni<t oder nur halb genügen, ſo ſind wir
damit feine8weg3 der Verpflihtung überhoben, demt
wir ſind ja nicht Mietlinge im Amte, um korreite
Anſichten vorzutragen, ſondern Arbeiter im Weinberge
unſeres Gottes und ihm vor unſerm Gewiſſen ver-
antwortlicß für das, was wir in Erfüllung unſerer
Pflicht thun oder nicht thun. Er wird dic Früchte
aus unſerer Hand fordern. Von einem Abfinden in
der Weiſe, daß wir äußerlich den fir<hlichen Forderungen
genügen und innerlih uns do< fagen, IaB wir es
ganz anders hätten macheu müſſen, darf bei ehrlichen
und wahrhaftigen Lehrern nicht die Rede jein. Aljo
müſſen wir das Recht für uns in Anſprucß nehmen
aus Gründen, die in der Natur der Sache ſelbſt liegen,
von dem abzuweichen, was die Kir<he als Saßzung
aufgeſtellt hat. .
Man fürchte niht, daß die Abwendung vom
firhlichen Dogmatismus ein Sprung ins Bodenloſe
ſei, wel<her dem SubjektiviSmus und der Willkür Thür
und Thor öffnet. Uns bleibt als feſter Boden das
Evangelium und der Geiſt Chriſti, der den Aufrichtigen
in alle alle Wahrheit leiten wird. Das Wather pflegt
ni<G<t unreiner zu werden, je näher der Quelle man
e8 ſchöpft =- wohl aber trüben ſich die Fluten, die
hier eine Mühle, dort eine Fabrik getrieben haben.
Und wenn wir bedenken, welche Faktoren bei Feſt-
ſtellung der kirhlihen Dogmen mitgewirkt haben, wie
ſie und mit welcher Abſicht manche derſelben entitanden
ſind, ſo können wir uns des Gedankens nicht erwehren,
daß der Vergleiß mit den getrübten Fluten nicht ganz
unberechtigt ſei. DoH e3 ſei ferne von uns, eine
pietätloſe Kritik an dem üben zu wollen, was Jahr-
hunderte hindurg al8 Gefäß des Heiligtums gedient
hat; auch möchte i< jeden Amts8genotjen warnen, im
Religion3unterrichte gegen die Dogmen der drifilichen
Kirche zu polemiſieren, da3 wäre unrecht und thöricht.
Wir haben, das Ziel unverrückbar im Auge behaltend,
den Weg zu ſuchen, auf dem wir mit unfern Kindern
es zu erreichen vermögen. Zſt das Ziel aller religiöſen
Erziehung eingeſchloſſen und ausgedrüci in dem Wort
„Chriſtum liebgewinnen“, jo müſien wir uns wohl
fragen, ob der Dogmati3mus dazu der rechte Weg ſei.
I< glaube, die meiſten werden darauf mit einem ent-
ſchiedenen „Nein“ antworten. Was die d<riſtliche
Kirhe unter argen Streitigkeiten über die Perſon
Chriſti al8 Lehr- und Glauben8ſäge mit dem Anſpruch
auf ewige Gültigkeit hingeſtellt hat, enthält kaum einen
Zug, der unfere Herzen in Liebe zu ihm hinzieht.
Wenn ſic ſeine Perſon mit den Attributen der Goti-
heit ausſtattet, ihn auf übernatürlihe Weije geboren
werden und unter dem römiſchen Landpfleger leiden
läßt, wenn ſie ihm eine Höllenfahrt zuſchreibt, ihn
dem Fleiſ<e nag auferſtehen und gen Himmel fahren
läßt und zuleßt in ihm den Richter der Lebendigen
und Toten erblit, ſo dürfte dur< Übermittelung diejes
Lehrgehalt8 die Perſon Chriſti ic<hwerliq in Liebes-
gemeinſ<haft mit der Kinderſeele zu bringen jein. Denn
fo ſehr, wie dieſe theologiſ<en Glaubensſätße unſerem
Intellekt widerſprechen, 10 wenig genügen ſie den
Forderungen der religidjen Gemüter. Sie erweijen
ſich nach beiden Seiten hin unfruchtbar. Das Seelen-
heil, d. i. die innere religiöſe Befriedigung von der
Annahme dieſer Sätze abhängig machen zu wollen, iſt