Full text: Hamburgische Schulzeitung - 8.1900 (8)

emma 
Armenpflege und Wohlthätigkeit eingeſeßte HauSshaltungs- 
Unterricht8-Kommiſſion, indem ſie folgende Anträge annahm : 
Die Kommiſſion bezeichnet als erſtreben8wert für die 
Volksſchule: 
1. einen auf das Praktiſche gerichteten, gut geleiteten 
Handarbeitsunterricht ; 
2. ein geeignetes Leſebuch, das mehr als bis8her den 
künftigen häuslichen Beruf berücſichtigt; 
3. in allen Unterrichtsfächern -- beſonder38 im Rechnen 
und in der Naturkunde --- ſtete Rücſichtnahme auf das 
praktiſche Leben. 
Die Idee, die wirtſchaftliche Unterweiſung al3 beſonderes 
Unterrichtsfach zu betreiben, iſt durchaus nicht neuen Datums, 
indem bereit3 im Jahre 1797 durch Gottlieb Nicolaus 
Stolterfoht in Lübe> eine ZInduſtrieſchule für bedürftige 
Mädchen gegründet wurde. Von beſonderer Bedeutung wurde 
die Oſtern 1889 auf Antrieb de38 Kaſſeler Frauenbildung3- 
verein8 unter Leitung von Fräulein Auguſte Förſter einge- 
führte praktiſche Unterweijung al3 Teil de38 Volksſchullehrplans, 
da nach dem Kaſſeler Vorgang dieſer Unterricht3gegenſtand 
in einer größeren Zahl deutſcher Städte in den Lehrplan 
der Mädchenvolksſ<ule eingefügt wurde. In den meiſten 
Fällen werden die Mädchen der erſten Klaſſen an einem 
Tage der Woche während der Schulzeit in einer beſonderen 
Volksſ<ulfüche theoretij,;<7 und praktiſch unterwieſen; der 
Unterricht umfaßt Bereitung der Speiſen, Ba&en, Einmachen, 
Waſchen, Plätiten und Scheuern, jowie Nahrungsmittellehre, 
Kinderpflege und die erſte Hülfeleiſtung bei Unglü>sfällen. 
Ein in Kaſſel begründetes Haushaltungsſeminar dient dazu, 
die für dieſen Unterricht erforderlichen Lehrperſonen auszu- 
bilden. Die Freunde des neuen Unterricht8faches verſprechen 
ſich von dem Kochunterricht -- denn das iſt das weſentlich 
Neue -- den allergrößten Erfolg. Profeſior Dr. Kamp fagt 
darüber ironiſch: 
„Man ſollte es nicht für möglich halten, welche Fülle 
wertwollen Unterrichtsſtoffes und unerſchöpflich lehrreicher 
Kraft in jol<em Kochunterrichte ſteä&t oder hineingedacht 
werden kann. Dieje Welt im Kleinen, dies Vordenken, Be- 
rechnen und Einkaufen, das Zurechtmachen, Fertigſtellen oder 
Kochen und da3 Auftragen, dann das Nachdenken, Nieder- 
ſ<reiben und Einprägen, alles unter Leitung der ordnungs- 
mäßig au3gebildeten Lehrerin! Jſt nicht eine ſolche Kochſ<ule 
eine Lebensfhule im Kleinen, eine Stätte, wo alles ſonſt 
auf die übrigen Lehrſiunden Verteilte: Rechnen, Schreiben 
und DeutiI<, Naturkunde und Erdkunde, auch der Sinn für 
das Gefällige und Schöne, ſonſt Aufgaben des Zeichenunter- 
richt3, und die Luſt zum Gejange gewet, gelenkt, gelehrt 
werden können 2“ 
Und wahrlich, ähnliche Gedanken müſen einem kommen, 
wenn man erfährt, daß bier dieſer, da jener Unterricht3- 
gegenſtand gekürzt und beſchnitten wurde, um die Zeit für 
das neue Fach zu gewinnen. So wurden in Kaſſel zwei 
Zeichen- und zwei Handarbeitsſtunden geſtrichen ; in Chemnitß 
fiel je eine Stunde Geſ<ichte, Naturkunde, Schreiben und 
Handarbeit aus. Man merkt ſofort, daß nicht praktiſche 
Schulmänner, ſondern böherſtehende, einſlußreiche Laien die 
Umgeſtaltung de8 Lehrplan3 vorgenommen haben. Wie 
haben run wir Lehrer uns8 zu der Frage der Kochſchulen zu 
ſtellen? Wir bedauern gewiß auf das lebhafteſte, daß manche 
Mädchen ohne die erforderliche praktiſ<e Unterweiſung in 
den Eheſtand eintreten; denn wenn auc< dann no< bei gutem 
Willen und klarem Verſtande ſich da3 Verſäumte allmählich 
nachholen läßt, jo bleibt e8 doc< entſchieden wünſchen3wert, 
daß die Ausbildung zur Hausfrau früher erfolgt iſt. Aber 
hat denn die Schule bi3her hierauf gar keine Rüdſicht ge- 
nommen? JIc< meine, doH! Dur die ganze Schulzeit wird 
der Handarbeitsunterricht auf das eifrigſte gepflegt; das 
Mädchen lernt in der Schule ſtri>en, nähen, ſtopfen, flien, 
häkeln u. j. w., doch gewiß Dinge, die ihm nachher als 
Hausfrau außerordentlich nüßli< ſind. Und halten wir nicht 
ſtet die Schülerinnen zur Ordnung und Sauberkeit, zur 
Schonung der Sachen an, gewiß do< auc< wertvolle Eigen- 
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ſchaften für die ſpätere Gefährtin des Manne8. Allein wir 
wollen zugeben, daß die Rüdſichtnahme auf das praktiſche 
Leben und den künftigen häuslichen Beruf mehr als bisher 
zu ihrem Rechte kommen müſſen. Nimmermehr aber können 
wir uns für die obligatoriſche oder ſelbſt falkultative Ein- 
führung des Haushaltungsunterrichts erklären. Und zwar 
wird uns dies in erſter Linie durch die Rüdſicht auf die 
Schule verboten. Die Schule vermittelt die allgemeine 
Bildung, und dieje Aufgabe nimmt ſie dermaßen in An- 
jpruch, daß für da3 neue Fach kein Raum bleibt. Es nimmt 
mich wunder, daß die Damen, welche ſonſt für Gleichbe- 
rechtigung der Geſchlechter kämpfen , die Lehrziele der 
Mädc<henvolksſ<hule durc Beſchneidung der Fächer herab- 
zujezen bemüht ſind. Entweder halten ſie die Kinder der 
Armen nicht für gut genug, an der Frauenemancipation teil- 
zunehmen, oder ſie glauben wirklic<, daß die in der Küche 
gepflogenen theoretiſchen Erörterungen, die doch nach dem 
jeweiligen Gericht wie Kraut und Rüben durcheinander ge- 
worfen werden müſſen, den planmäßigen Unterricht im 
Rechnen, in der Naturkunde uſw. erſezen können. Dann 
täuſchen ſie ſich aber gewaltig, da e3 ſchon ſchwer ſein wird, 
in der allerlei Ablenkungen bietenden Volksküche die ge- 
jpannte Aufmerkſamkeit der Mädchen wachzurufen und feſt- 
zuhalten. 
Aber nicht nur die Rücſicht auf die Schule, ſondern 
auc< die Ac<tung vor den Pflichten und Rechten des Eltern- 
haujes verbietet uns, für die Einführung de8 Schulkochens 
zu ſtimmen. Auch in ärmlichen Verhältniſſen iſt der elter- 
liche Hau3halt die naturgemäße Lehrſtätte für das heran- 
wac<hjende Mädchen. Nur in den Fällen, wo die Mütter 
ihre Pfliht nicht erfüllen können, weil ihnen entweder die 
erforderlichen Eigenſchaften, Fähigkeiten oder Kenntniſſe ab- 
gehen, oder weil ihre Kraft durch das Erwerbsleben zu ſehr 
in Anſpruch genommen iſt, erſcheint ein Eingriff in die Rechte. 
und Pflihten der Mutter geboten. S3 wäre aber in der 
That traurig um da3 deutſc<e Volk beſtellt, wenn die Mehr- 
zahl oder auch nur eine ſehr große Minderheit der in ärmeren 
Verhältniſſen lebenden Mütter ihre Pflicht in dieſer Hinſicht 
verabjäumte; ich glaube vielmehr, daß auc<h noch heute das 
Vaterland ſtolz auf ſeine Frauen ſein kann. Da ich ſeit 
langem in der Armenpflege thätig bin, ſo habe ich Gelegen- 
heit gehabt, einen Einbli> in manchen HausShalt zu thun. 
Wohl habe ich Stätten der Verwahrloſung angetroffen ; allein 
oft bin ich auc< von der peinlichen Ordnung und Sauberkeit, 
die in dem ärmlichſten Haushalte herrichten, überraſcht worden. 
Gar oft mußte ich mich wundern, wie e3 den Leuten über- 
haupt möglicß war, mit den geringen Mitteln au3zukommen. 
Wie gut verſtanden es manche Witwen, troßdem ſie tag3- 
über bei fremden Leuten ſchwer arbeiten mußten, in ihren 
wenigen freien Stunden die Mädchen zur Führung des 
HauZsweſen3 anzuhalten! Dieſe Erfahrungen laſſen mich 
darauf ſ<ließen, daß der Notſtand wenigſtens in Hamburg 
durchau3 nic<t jo groß ijt als er meiſtens geſchildert wird, 
und die Einführung der HauShaltüngskunde in keiner Weiſe 
rehtferügt. In welcher Weije wird nun da38 Mädchen von 
der Mutter zur Führung de38 Haus3wejen3 befähigt? ZIm 
Gegenſaß zu den immerhin doch unnatürlichen Verhältniſſen 
der Volksſ<hulkühen lernt das Mädchen allmählich die 
mannigfachen Verrichtungen, welche die Ordnung de38 Hau8- 
weſen3 erfordert; allerdings während der Schuljahre wird 
e8 in die Geheimniſſe der Kochkunſt und in die Einteilung des 
HauSſtand8gelde3 wohl noch nicht eingeweiht, weil die Mutter 
iich mit Necht ſagt, daß der Tochter hierzu die nötige geiſtige 
Reife und die erforderliche LebenZSerfahrung fehlen. E3 wird 
unzweifelhaft in den beſtehenden Kochſchulen mit dem aller- 
größten Fleiß gearbeitet; aber unmöglich können die Erfolge 
von Dauer ſein, wenn das junge Mädchen nicht nach dem 
Verlaſſen der Schule die Übungen fortjeßt. Und wie oft 
iſt das wohl der Fal? Sind doh gerade die der Schul- 
entlaſjung folgenden Jahre von dem ſchwerwiegendſten Ein- 
fluß, die dem ganzen Denken, Fühlen und Wollen vielfach 
eine ganz andere Richtung geben. Aus dieſem Grunde ſollte
	        
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