Full text: Hamburgische Schulzeitung - 8.1900 (8)

evan 
die zureichenden Beſtimmung3gründe für den ganzen Verlauf 
unſerer Handlung. 
Da3 Problem des Sollen8 beſtimmt ſi<ß alſo: Wo- 
durc< iſt der Endpunkt, der von mir geſeßte Zweck, be- 
ſtimmt, aus dem meine Handlung anhebt? Was beſtimmt 
meinen Gedanken: da8 und das ſolle ſein, gerade hier, wo 
die bloße Urſachengeſeßlichfeit nicht zuxeicht, ſondern vom 
Willen gebraucht wird als ein Mittel, deſſen Gebrauch und 
Anwendung ſich umgekehrt naß dem vom Willen geſeßten 
Zwe einrichtet ? 
Darauf giebt uns die Ableitung folgende Antwort: 
Cinzig und allein das formale Geſe der notwendigen 
Überjtimmung, der notwendigen Einheit unſerer 
Gedanken unter ſich, je in einem Kreiſe, den wir über- 
jehen oder der unſerer Erwägung vorliegt, beſtimmt dieſen 
Gedanken. Der leßtbeſtimmende, hs < ſte Grund einer jeden 
Zwedcjezung, das Endziel, iſt die Ginheit aller Zwede 
unter ſich. Hiernach beſtimmt ſich jede einzelne empiriſche 
Zweclſezung: daß ſie hinein paſſe in die Einheit und Über- 
einſtimmung aller Zwe&e unter ſich. Dieſe letzte Einheit iſt 
unerreicht und unerreichbar, aber dieſer höchſte Zwe>: Ein- 
beit aller unjerer Handlungen untereinander iſt der Richt- 
punkt, für alle und jede zwedliche Erwägung das oberſte 
Prinzip. 
Dieſe3 oberſte Prinzip, da3, als Jdee de38 Unbedingten, 
alle Zweſezung unter ein höchſtes Prinzip der unbedingten 
Einheit, unter einen leßten, nicht mehr bedingten Zwe ſeßt, 
dieſes vberſte Prinzip hält natürlich den Zuſammenhang mit 
Erfahrung innigſt aufrecht. Denn was3 ſoll, iſt zwar nicht, 
aber joll doch fein, foll wirklich werden. Die Geſeßlichkeit 
aber, nach der allein etwa8 wirklich wird, iſt die urſachliche, 
oder die Geſeklichkeit der Natur. Alſo muß da3 konkret 
Geſollie, auch bloß als geſollt, mit den urſachlichen Geſeten 
des Geſchehens doch überhaupt im Zuſammenhang bleiben. 
Und diejer Zuſammenhang iſt möglich, weil die Erfahrungs8- 
gejeßlichfeit zuleßt dem Urgeſeze der Bewußtſeins einheit 
unterſteht. 
Die Verwirklichung des Geſollten iſt Sache der Technik, 
nach ihrem allgemeinſten Begriffe: al8 Herrſchaft über die 
Natur durc< Kenntnis ihrer Geſeßlichkeit. Was38 könnte 
wohl ein menſ<li<e8 Wollen zum Gegenſtand 
haben, das nicht dieſem Bereiche angehörte! Wie 
boch die Willensbhildung auc< ihre Jdeale ſich ſteen mag, 
mit der Naturgrundlage de8 Menſ<endaſein3 ſieht ſie doch 
immer in feſteſter Verbindung; da3 beginnt man vielleicht 
in unjerer Zeit erſt ganz zu begreifen; und e8 darf ihr 
nod nict voll zu ermeſſende3 Verdienſt nach dieſer Seite, 
auß; um die Erziehung, keine8Sweg8 verkannt werden. 
Allerding38 bleibt dem Range, der logiſchen Ordnung nach 
die Erfahrungserkenntnis dem Reiche der Zwecſehung unter- 
geordnet, die Erfahrung der Jdee. Der Verſtand, die Natur- 
erkenntnis giebt nur Antwort auf die Frage nach den Mitteln 
der Verwirklichung, nachdem der ZwetC feijtſteht. Die 
radikale Frage iſt erſt nag dem Warum des Zwees. 
Es mag nun der nächſte Zwe> unſere8 Wollens wieder nur 
gewollt fein al38 Mittel zu einem ferneren, höheren Zwe, 
jo richter ſich unſere Frage dann auf dieſen und ſo fort, 
und nicht eher kommt ſie zum Stillſtand, al3 man zu einem 
Zwe& kommt, der nicht mehr ein Mittel zu einem andern iſt, 
jondern Endzwes«. DaZ3 iſt dann erſt die ernſte Frage 
nach dem, was jein joll. 
Man hat geglaubt, um der notwendigen Annahme der 
Idee als letzten Zwe alle3 Wollen3 überhaupt auszuweichen, 
daß es einen naturnotwendig gewollten, alle3 überragenden 
Zweäs gebe, es fei nun die Lebens2erhaltung, die Luſt 
oder Befriedigung. Allein der empiriſche Beweis, daß 
wir unter allen Umſtänden mit unſerem Wollen und Thun 
eines diejer Ziele erſtrebten, iſt niht geführt worden und 
kann nicht geführt werden. Vor allem: Niemand will 
thatjächliche Eriſtenz überhaupt, oder Luſt überhaupt, 
jondern allemal eine beſtimmte Exiſtenz oder Luſt. Bei ſehr 
vielen WillenZakten aber iſt uns überhaupt keine Beziehung 
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auf einen dieſer ſogenannten Zwe>&e bewußt. Allerdings 
begleitet Luſt und Unluſt alle unſere Handlungen und zwar 
da3ſelbe Gefühl oft bei entgegengeſeztem Beſtreben. Gewiß 
freut ſich der Forſcher, wie niemand leugnet, wenn es ihm 
gelungen iſt, fein Problem zu löſen; aber hat er mit allem 
heißen Bemühen auch garnichts anderes als dieſe flüchtige 
Freude und nicht etwa die Löſung des Problems, die ſichere 
Klarheit der Sache, die Einſtimmigkeit und alſo Wahrheit 
der Grfenntnis gewollt? Das3 aber mußte gezeigt werden, 
wenn jene ſogenannten Zwe>e alle3 unſeres Handelns die 
lebten Fragen unjerer Menſc<heit8-Arbeit beantworteten. 
I< wenigſtens könnte mich nicht beſtimmen zu glauben, daß 
etwas jo äußerſt Bedingtes, das von den unberechenbarſten 
Umſtänden, vom Barometerſtand, von der Verdauung, von 
den tauſend kleinen Störungen de8 alltäglichen Lebens -- 
fort und fort bedroht iſt, ſo unentrinnbhar den ganzen 
Inhalt meines Beſtrebens aus8machen müßte, beſonders 
nachdem i< erfannt habe, daß Luſt und Unluſt, nur die 
höchſt wetterwendiſchen Begleiter meine3 Beſtrebens, über- 
wiegend von Dingen beſtimmt ſind, die mit meinem Wollen 
und Nichtwollen auch garnicht38 zu ſchaffen haben. Sollte 
ic) mir, bei dieſer Erkenntnis, gleichwohl nicht3 Feſteres 
und Klareres zum Ziel meines Beſtrebens ſezen können 
oder vielmehr müſſen, als immer wieder dieſe ungewiſſen 
Lüſte und Meinungen von Unluſt? 
Ebenſowenig iſt bloße8 Daſein ZweE, bei dem ſich 
ſtehen bleiben ließe. E38 iſt noch nicht einmal eine ſittliche 
Erwägung, daß e8 thöricht iſt, bloß um das Leben zu 
erhalten alle8 daran zu geben, wa8 de38 Leben3 wert iſt 
(propter vitam vitae perdere caugas). 
Es kann eine bloß empiriſche Zwedſezung, ſei es dieſe 
oder dieſe Luſt oder ein ſolc<e8 oder jolc<he3 Leben, garnicht 
den leßten Sinn des Sollens8 enthalten. Abgeſehen ſei davon, 
daß es eine Höhe des Alter3 giebt, auf der die Lüſte ihren 
Stachel und Reiz verloren haben, auf der da3 Leben jeinen 
Sinn als Zwe verliert, das Leben eine Laſt wird und das 
Denken von dieſer Warte aus ficß nac<ß dem Zwede aller 
Freude und alles Schmerzes und na< dem Sinne des 
Leben3 fragt. Hier genügt e8, daß jede empiriſ<e Zwe>- 
beſtimmung nicht zu einem Abſchluß der Zwedſezung, zu 
einem Abj<luß der Frage naß dem Wozu? kommt. Und 
gerade dieſem kann der Wille garnicht entraten. Ohne dieſen 
Abſchluß bleibt nicht eine lezte Neugier ungeſtillt, ſondern es 
würde an dem allererſten Anfang des Wollen3 fehlen. Der 
Abſchluß iſt aber auch eben darum möglich, weil er ein 
bloß gedanklicher iſt und zu ſein brauc<t. Einheit iſt das 
Endziel des Willens. Habe i< im Geſic<ht3punkt meine3 
Denken38, in der bloßen Jdee Einheit unter meinen Zween 
geſtiftet, ſo habe ic<ß den geſuchten Endpunkt erreicht, ſo 
vermag mein Gedanke hierbei ſtehen zu bleiben und zu 
jagen: ſo wäre e38 endlich gut, d. h. in Richtigkeit. 
Durc< dieſe Beſtimmung der ZJZdee al38 formelle 
Einheit, nicht al38 (materielles) hö<ſte8 Gut, iſt die 
Jdee j1<arf unterſchieden von dem Traum eine3 irgend 
einmal zu erreichenden Endzuſtandes allſeitiger Befriedigung 
und Stillung jede8 Verlangen3, wie ihn die philoſophiſchen 
Theodiceen, die religiöſen EG3<hatologien und Jozialiſti]c<hen 
Utopien geträumt haben. 
Die Einheit der Jdee bedeutet kein Traumbild, ſondern 
eine Methode der Betrachtung3weiſe. Die vpraktiſc<e 
Aufgabe, auf der nun die Zdee als EndzweE alles Wollens 
hinweiſt, wird allerding38 immer empiriſch ſein, immer 
in diejer Welt der Erfahrung zu löſen ſein; die Jdee ſc<reibt 
vor, vom Standpunkt unſerer Gegenwart aus auf das 
abſehbar Höchſte empirij<e Ziel unjer Beginnen zu 
richten; aber mit dem Vorbehalt, wenn ein erhöhter Aus3- 
bli wiederum größere Zwe>e über den erſt angenommenen 
erkennen läßt, zu diejem größeren Zwecke uns zu erheben. 
Inſofern kennt der Wille, gerade unter Leitung der Zödee, 
keine lezte empiril <e Aufgabe. Aber jede neue Zwec- 
jedung bekommt Einheit und Richtung: auch dieſer neue 
höhere Zwe> muß geſetzt werden, um unter allen unterge-
	        
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