ordneten höheren Zweden die Einheit zu ſtiften, die durch
unſeren früheren Willen nicht geleiſtet worden iſt.
Es droht alſo keine8wegs die Gefahr, daß wir durch
die Erhebung zur Jdee die Erfahrung etwa ganz überfliegen
und in jenen luftleeren Raum, von dem Kant einmal ſpricht,
UnNZ verſteigen würden; jenſeit8 der Erfahrung liegt nicht der
Richtpunkt irgend eines redlichen Beſtreben3 für den Menſchen;
ſein Wille und ſein Verſtand kann nur in der Lebensluft
der Grfahrung atmen und ſich fortbewegen. I< will vom
Zeitlihen aus8 das Ewige: heißt richtiger: ich will
vom Ewigen aus da3 Zeitliche, das Zeitliche ſchaffen vom
Standpunkt des ewigen Geſees der Jdee aus (als der
Aufgabe: Ginheit unter allen Zwe>en des menſc<-
lichen Handeln3 zu ſtiften).
Alle Tendenz des Willen3 iſt Tendenz zur Einheit;
ohne das läßt ſich überhaupt nicht8 von Tendenz verſtehen,
denn Tendenz heißt Richtung, und Richtung geht immer
auf Eines und ſchließlich auf ein Unendliche3.
Hieraus erklärt ſich, was man mit der Freiheit des
Willen3 Richtiges im Sinn hat. Es8 iſt zunächſt die
Freiheit des Bewußtſein3, die Erhebung des geiſtigen
Blies, des Geſicht3punkte3 de38 praktiſchen Urteil3 über
den vermeinten Zwang des Naturgeſeze8, das do< nie
unbedingt zu zwingen vermag; denn es iſt ſelbſt nicht un-
bedingt; e8 läßt thatſächliß< das Urteil des Willens frei;
denn die8 wird durch einen unbedingten Zwe> beſtimmt.
Das Gejeß der JZödee iſt eben dann für ihn richtend,
im Doppeljinn der Richtung gebenden und des richterlich
Ent) Heidenden. (Schluß folgt.)
Die ungariſche Bürgerſchule.
Von jeher haben die politiſchen Vorgänge im Magyaren-
ſtaate die Aufmerkſamkeit der europäiſchen Völker erregt.
Selbſt von allerhöc<hſter Stelle de8 Deutſ<en Reiche3 iſt
bekanntlich dem Ungarnvolke gelegentlich der Centenarfeier
zu feinen freiheitlichen Inſtitutionen Beifall gezollt worden.
Uns Lehrer intereſſiert in erſter Linie das Schulweſen dieſer
ate welches ebenfalls im Geiſte de3 Fort]<ritt8 organi-
tert iſt.
Wie in Bayern, ſo muß au< in Ungarn jedes Kind
mindeſten38 4 Jahre, nämlich vom ſechſten bis zehnten Leben3-
jahre, die jogenannte allgemeine Volks8ſchule beſu<en. In
diejer jißen die Kinder der Armen und Reichen friedlich
nebeneinander. Privatſchulen beſtehen faſt ausſchließlich aus
fkonfeſſionellen oder nationalen Gründen, ſelten aus Stande8-
rüdjichten. Auch ſtaatliche Vorſ<ulen giebt e8 in Ungarn
mMht. Die Gymnaſien und Realgymnaſien entnehmen ihre
Schüler aus den Volksſ<hulen. Nur die tüchtigſten Knaben,
die mindeſten3 da3 zehnte Leben3jahr über)<ritten haben,
gelangen in die höheren Schulen, in denen ſie ſich die
Studienreiſe erwerben können. Talentvolle Knaben, welche
jedoc<h nicht beabſichtigen, ſpäter die Univerſität zu beſuchen,
treten nach vierjährigem erfolgreichem Volköſchulbeſuch in die
Bürgerſ<ule; denn au< dieſe Anſialt iſt mit Berechti-
gungen fo ausgeſtattet und derartig organiſiert, daß der
Bejuch dieſer Schule inbezug auf das praktiſc<e Leben
gleichwertig dem Beſuche des Gymnaſiums erſ<eint.
Die ungariſc<e Bürgerſchule iſt vierſtufig, ſodaß die
tüchtigſten Schüler derſelben geradezu mit dem Austritte
aus der Schule ihrer Schulpflicht genügt haben. Die Mehr-
zahl derjelben abſolviert jedo< die Bürgerſchule erſt mit
dem vollendeten fünfzehnten oder ſechzehnten LebenS3jahre.
Die Lehrfächer dieſer Schule ſind außer denjenigen der
VolkR<ule no< fremde Sprachen (mindeſtens Deutſch),
Mathematik (Geometrie, Algebra, kaufmänniſches Rechnen,
Buchführung), Realien, Phyſik, Chemie, geometriſches Zeichnen.
Die Abſolvierung der vierſtufigen Bürgerſchule berechtigt
zum Eintritte in 1. die mittleren Fachſchulen, 2. die im 1.
Artikel des Geſees von 1883 angeführten Manipulation3-
ämter, 3. die entſprechenden Klaſſen des Gymnaſiums und
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der Realſchule. Im letzteren Falle muß der Schüler eine
Prüfung mit Erfolg ablegen, die ſich aber bloß auf die
Abweichung der Stundenpläne von einander erſtrect.
Ganz entſprechend vrganiſiert iſt die vierſtufige Mädchen-
Bürgerſchule. Sie nimmt die tüchtigen Volksſchülerinnen
auf, die mindeſtens das zehnte, in der Regel jedo< das
elfte LebenöSjahr überſchritten haben und gewährt dieſen in
ihren vier aufeinander folgenden Jahreskurfen eine weiter-
gehende Bildung, welche den fortſchreitenden Anforderungen des
praktiſchen Lebens entſpricht. Eine Reihe von Fachſchulen öfſnen
den Abiturientinnen der Mädchenbürgerſchule ihre Pforten.
Auch das Mädchengymnaſium nimmt diejenigen von ihnen
auf, die ſich zum Univerſitätsbeſuche vorbereiten wollen.
Aljio der Weg zu den akademiſc<en Ämtern und Würden
iſt auch den intelligenten Mädchen der breiten Volk3j <ichten
erreichbar.
Eine no< höhere Bedeutung erhält die ungarijc<e
Knaben-Bürgerſchule dadurch, daß ſie vielfach durch Auſbau
einer dreiſtufigen Oberhürgerſ<hule zu einer ſiebenſtufigen
Bildungsanſtalt ausgeſtaltet wird. Dieſe dreiſtufige Ober-
bürgerf<ule wird von 15--18jährigen jungen Leuten
beſucht, die in der Regel 4-5 Jahre in der Volkſchule
waren und darauf die Unterbürgerj<hule mit ihren vier
Jahreskurſen abſolviert haben. Die Lehrpläne der Ober-
bürgerſ<hule ſind denen unſerer Oberrealſ<ule ähnlih. Von
den fremden Sprachen werden außer Deutjch no< Franzöjiy<
und Engliſch gelehrt. Latein iſt fakultativ. Für Religion
und Sittenlehre iſt wöchentlih eine Stunde beſtimmt.
Mathematik und Naturwiſſen] <haſten werden bejonder3 von
prattiſchen Geſichtöpunkten aus beirieben, indem diejenigen
Wiſſenſchaften mit beſonderer Gründlichkeit behandelt werden,
die der Schüler in ſeinem ſpäteren Berufe voraus3ſichtlich
auc< wirklicg verwenden kann.
Das Abgang8zeugni8 der Oberbürger]c<ule berechtigt
nicht nur zum einjährigen Militärdienſi, ſondern gewährleiſtet
den Inhabern auch die Berechtigung zum Antritte jämtlicher
Verwaltung38ämter, für welche Hochſ<ulſiudien nicht vor-
geſchrieben ſind. Abiturienten der Oberbürger|<ule werden
angeſtellt al8: 1. Gemeinde- und Bezirkönotare, 2. Geometer
und Gefäl3beamte, 3. Kuratoren, Rechnung3- und Kontroll
beamte, 4. Eiſenbahn-, Poſt» und Telegraphenbeaimte
(mittlere und höhere Laufbahn), 5. Staats3kaſſierer, Steuer-
beamte. Ferner jind ſü berechtigt zum Eintritt in die:
1. Berg-, Forſt-, Handel8- und landwirt]<aktlic<he Akademie,
9. Militärakademie, Tierarzneiſ<ule, nautijhe Sdule,
3. Anſtalt zur Heranbildung von Profeſſoren für das Zeichnen,
4. Kurſe zur Ausbildung der Apotheker.
Au3 dieſer Zuſammenſtellung der Berechtigungen, welche
der erfolgreiche Beſuch der ungariſchen Bürgerſchule gewährt,
geht hervor, daß dieſes Unterrichtöinſtitut eine hervorragende
Stelle im GeſamtorganiSmu38 des ungariſchen Schulweſen3
einnimmt, und in den leßten Jahrzehnten hat dasjelbe
fortwährend an Bedeutung gewonnen. Schon jeßt er-
werben die Schüler der Bürgerſchule faſt diejelben Rechte,
die den Gymnaſiaſten erreichbar ſind. Naß der Statijt:k
hat Ungarn 3 0351 586 Volksſchüler, 34 164 Bürgerſc<üler
und 33 586 Gymnaniaſten. Die Bürgerſchule wirkt
gleichzeitig entlaittend auf das GÖymnaſtum. Während in
Preußen 2,2 % aller Schüler die neunſtufige böhere Schule
bejuchen, beträgt die Zahl der ungariſG<en Gymnaſiaſten
nur 1,6 % der Geſamtjc<ülerzahl.
Für Städte mit mindeſiens 5000 Einwohnern, in denen
Feine Bürgerſchule beſteht, ſchreibt das Gees wenigſtens die
Errichtung einer höheren Volk3ſchule vor, welche das ſiebente,
achßte und neunte Schuljahr der gutbegabten Volksſ<üler ums
faßt und dieſen eine Bildung verſ<afft, die ſich der Bürger-
ſchulbildung nähert. An dieie höhere Volk3ſhule können je
nac< dem vorberrſ<enden Erwerbszweige der Landſchaft noch
landwirt]<aftliche, gewerbliche oder kaufmänniſche Fachklayyen
angegliedert werden. Die Statiſtik zählt in Ungarn 16564
Volksſchulen, 54 höhere Volks8ſchulen, 174 Bürgeri<ulen,
147 Gymnatnien bezw. Realgymnaſien und nur 23 Realichulen.