Full text: Hamburgische Schulzeitung - 8.1900 (8)

 
 
Eine Wochenſchrift für die Angelegenheiten des Unterrichts, 
 
der Erziehung und des LTehrerſtandes. 
Schriftleitung: 
UA. Struve, Hamburg-Eilbe, 
Jungmannſtr. 21, p. 
Berausgegeben 
von Lehrern und Lehrerinnen. 
- . Rommiſſionär H. Keßler, Leipzig, Seeburgſtr. 40. 
Verlag: 
Sdqhröder & Jeve, Hamburg, 
Kl. Reichenſtr. 9-11. Fſpr. 2080. 
 
Die Hamburgiſche Schulzeitung erſcheint jeden Mittwoch in einem Bogen Großquartformat zum Preiſe von 1 Mark 50 Pfg. für das Vierteljahr. 
Beilage: Die monatlich erſcheinende Jugendſchriften-Warte, Schriftleiter H. Wolgaſt. -- Beſtellungen nehmen außer den Verlegern, alle 
Buchhandlungen, Zeitungsgeſchäfte und Poſtämter an. -- Beiträge ſind an die Schriftleitung, Bücher zur Beſprechung an Herrn Hauptlehrer Martens, 
Hamburg-St. Georg, Baumeiſterſtr. 8, zu ſenden. Unzeigen werden für die Petitzeile von 63 mm Breite mit 20 Pfg., Beilagen nach Übereinkunft 
berechnet. -- Poſt- Liſte Ur. 3188. -- Klagen über unpünktliche Zuſtellung ſind gefl. ſofort dem Verlage mitzuteilen. 
 
 
8. Jahrgang. 
Stittwoch, den 25. Upril 1900. 
Sr. 17. 
 
 
Heute Wahlverſammlung 
der Schulſynode. 
Inhalt des Hauptblattes: Natorp3 Sozialpädagogik. Vortrag 
von Dr. A. Görland. (Sc<luß). =-- Aus Hamburg. -- Verein3-Anzeiger. 
=- Familien-Anzeige. -- Briefkaſten. 
Beilage: Aus Hamburg. -- PBädagogiſhe Rundſ<au. -- Büchermarkt. 
 
 
Jatorp3 Sozialpädogogik. 
Ein Referat, 
gehalten am 9. November 1899 in der Geſelſ<aft für Ethiſche Kultur. 
Dr. A. Görland. 
(Schluß.) 
Nicht der kleinſte Gewinn unſerer Unterſuchung iſt 
daß nac< ihrem Ergebnis zwiſchen Verſtand und Willen 
keine Kluft mehr beſteht, während doch die begriffliche Grenze 
zwiſ<en beiden feſt und unverrü>t bleibt. Sie ſind zwei 
notwendig zuſammen gehörende Richtungen unſeres Be- 
wußtſeins. Der Menſc< verſteht nur, indem er will und 
will nur, indem er verſteht. So ſchließt ſich im Beweis- 
gange der kritij<en Philoſophie an die Logik die Ethik 
und auf dieſe allein hat ſich die Pädagogik des Willen3 
zu ſtüßen, ſo wie die Pädagogik des Verſtande38 keiner 
anderen weſentlichen Grundlage bedarf als der Logik in dem 
weiten Sinne der theoretiſchen Erkenntnis der geſeßlichen 
Grundlagen, au3 denen Erfahrung zuſtande kommt; und die 
Rädagogik der künſtleriſchen Phantaſie bedarf keiner anderen 
Grundlage al3 der Äſthetik. Die pſy<ologiſc<he Erwägung iſt 
dann ſekundär; ſie begründet nicht8, ſondern ſett vielmehr 
den obiektiven Erweis der logiſchen, der ethiſchen und der 
äſthetiſchen Geſetze zu ihrer eigenen Begründung voraus. 
Als die geſeßliche Form, die für den Aufbau der 
Willenswelt maßgebend iſt, kennen wir die Zdee als die 
Einheit aller Zwedſezung unter einander, als die konſtante 
Richtung des Sollen3 im unendlichen Fortſchritt aller menſch- 
lichen Handlungen. Den Stoff ſoll die Erfahrung bieten. 
m Aufbau der Erfahrung ſelbſt war ein Element ent- 
halten, das ſie zum Stoff einer Willen8welt tauglich macht: 
Wir lernten Erfahrung als Prozeß verſtehen. Sie zeigt 
ſich auf keiner Stufe fertig, ſie iſt immer im Werden begriffen. 
Da aber dieſer Prozeß ein einheitlicher Fortgang 
von Erkenntnis zu Erkenntni8, ein geſetzlicher Fortgang iſt 
von dem, was ſchon im ſicheren Beſitz des Bewußtſeins iſt, 
zu dem, was erſt in die Erfahrung, d. h. in die Erkenntnis 
einbezogen werden ſoll, ſo muß ein Verhältnis zwiſchen beiden 
 
 
 
 
ſtattfinden ; e8 giebt, jo wunderbar es iſt, in jedem Momente 
des Erfahren3, eine Art Bewußtſein des no< nicht, oder 
auch de3 nicht mehr uns gegenwärtig Bewußten. Dieſe Art 
de3 Bewußtjeins läßt fich bezeichnen als Strebung, als 
Tendenz und iſt am bekannteſten in der deutlichen Geſtalt 
de3 gewöhnlichen Triebe38 nach ſinnlihen Genühen oder 
auch motori]<er Bethätigung (Beſchäftigung), und damit von 
ganz allgemeiner Bedeutung im bewußten Leben. ES3 verrät 
jich in der Wahrnehmung ; als Richtung des Intereſje3, gleich- 
jam Fixierung des geiſtigen Blies auf das die Aufmerkjam- 
Feit feſelnde Objekt; im Wiederaufſpüren des Vergeſenen in 
der Erinnerung; im taſtenden Vorgriſſ der geſpannten Er- 
wartung; in dem oft fühlbar angeſtrengten Suchen der 
Phantaſie ; vollend38 in allem höheren Bewußtjein: die Kon- 
zentration de3 Gedanken3 auf einen beſtimmten Inhalt; die 
Möglichkeit, z. B. eine ins Unendliche gehende Reihe in 
Raum, Zeit und Zahl zu denken; e3 zeigt ſich im Zweiſel, 
im Erklärungsbedürfni3, im Entwerſen von Hypotheſen u1w. 
Bei alledem zeigt ſich deutlich der Charakter einer energiſ<en 
Anſpannung der Aktivität des Bewußtſeins. 
Dieſem [ſo weitreichenden Momente der Tendenz, der 
Aktivität liegt nicht3 andere3 al3 jene dem Willens3dbe- 
bewußtſein urſprünglich eigene Richtung auf einen leßten 
im Unendlichen liegenden Vereinigung3spunkt alles Mannig- 
faltigen der Erfahrung zu Grunde. 
Wir dürfen behaupten, daß Tendenz, Strebung allent- 
halben ſtattfindet, im ganzen Aufbau der Erfahrung. 
Nach dem Grade, indem ſie bewußt wird, unterſcheidet 
ſic deutlich eine Folge von Stufen der Aktivität, deren 
unterſte, dem Empiriſchen alſo nächſtſtehende wir Trieb nennen. 
Die3 Wort eignet ſic beſonders, weil dadur< die 
Willen3loſiakeit, die dieſe erſte Stufe der Aktivität kenn- 
zeichnet, das paſſive Getriebenwerden, in ſteter Erinnerung 
bleibt. Der Charakter und die weitreichende Bedeutung des 
Triebes wird beſonder3 klar am Begriff der Arbeit. Keine 
menſ<li<he Arbeit, auc< nicht die edelſte geiſtige, läßt ſich 
verrichten, ohne daß man ſich für die Zeit der Arbeit dem 
Gegenſtande hingiebt, d. Hh. ohne Trieb. Der Trieb iſt 
alſo etwas rein Sinnliche3, d. h. nicht unfittlic<h no< ſittlich; 
dieſen beiden Begriſſen gegenüber iſt der Trieb an ſich 
gleihgültig. Darum kann es aber niemals ſittliche Aufgabe 
jein, das Triebleben zu entwurzeln, ſondern nur: es zu 
reinigen und zu heiligen. Dieſe ſittliche Stärke und ſinnliche 
Kraft des Empfindens und Handelns ſtehen im geraden Ver- 
hältniſſe: Der ſittlich Schlafe geht, ſo ausſchließlich er mit 
ſeinem ſinnlichſten Triebleben beſchäftigt jein mag, denno< 
gerade der geſundeſten Gnergie der Sinnlichkeit verluſtig. 
Hier ſtellt ſich alſo die ethiſc<e Wichtigkeit der phvſiſchen
	        
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