Eine Wochenſchrift für die Angelegenheiten des Unterrichts,
der Erziehung und des LTehrerſtandes.
Schriftleitung:
UA. Struve, Hamburg-Eilbe,
Jungmannſtr. 21, p.
Berausgegeben
von Lehrern und Lehrerinnen.
- . Rommiſſionär H. Keßler, Leipzig, Seeburgſtr. 40.
Verlag:
Sdqhröder & Jeve, Hamburg,
Kl. Reichenſtr. 9-11. Fſpr. 2080.
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8. Jahrgang.
Stittwoch, den 25. Upril 1900.
Sr. 17.
Heute Wahlverſammlung
der Schulſynode.
Inhalt des Hauptblattes: Natorp3 Sozialpädagogik. Vortrag
von Dr. A. Görland. (Sc<luß). =-- Aus Hamburg. -- Verein3-Anzeiger.
=- Familien-Anzeige. -- Briefkaſten.
Beilage: Aus Hamburg. -- PBädagogiſhe Rundſ<au. -- Büchermarkt.
Jatorp3 Sozialpädogogik.
Ein Referat,
gehalten am 9. November 1899 in der Geſelſ<aft für Ethiſche Kultur.
Dr. A. Görland.
(Schluß.)
Nicht der kleinſte Gewinn unſerer Unterſuchung iſt
daß nac< ihrem Ergebnis zwiſchen Verſtand und Willen
keine Kluft mehr beſteht, während doch die begriffliche Grenze
zwiſ<en beiden feſt und unverrü>t bleibt. Sie ſind zwei
notwendig zuſammen gehörende Richtungen unſeres Be-
wußtſeins. Der Menſc< verſteht nur, indem er will und
will nur, indem er verſteht. So ſchließt ſich im Beweis-
gange der kritij<en Philoſophie an die Logik die Ethik
und auf dieſe allein hat ſich die Pädagogik des Willen3
zu ſtüßen, ſo wie die Pädagogik des Verſtande38 keiner
anderen weſentlichen Grundlage bedarf als der Logik in dem
weiten Sinne der theoretiſchen Erkenntnis der geſeßlichen
Grundlagen, au3 denen Erfahrung zuſtande kommt; und die
Rädagogik der künſtleriſchen Phantaſie bedarf keiner anderen
Grundlage al3 der Äſthetik. Die pſy<ologiſc<he Erwägung iſt
dann ſekundär; ſie begründet nicht8, ſondern ſett vielmehr
den obiektiven Erweis der logiſchen, der ethiſchen und der
äſthetiſchen Geſetze zu ihrer eigenen Begründung voraus.
Als die geſeßliche Form, die für den Aufbau der
Willenswelt maßgebend iſt, kennen wir die Zdee als die
Einheit aller Zwedſezung unter einander, als die konſtante
Richtung des Sollen3 im unendlichen Fortſchritt aller menſch-
lichen Handlungen. Den Stoff ſoll die Erfahrung bieten.
m Aufbau der Erfahrung ſelbſt war ein Element ent-
halten, das ſie zum Stoff einer Willen8welt tauglich macht:
Wir lernten Erfahrung als Prozeß verſtehen. Sie zeigt
ſich auf keiner Stufe fertig, ſie iſt immer im Werden begriffen.
Da aber dieſer Prozeß ein einheitlicher Fortgang
von Erkenntnis zu Erkenntni8, ein geſetzlicher Fortgang iſt
von dem, was ſchon im ſicheren Beſitz des Bewußtſeins iſt,
zu dem, was erſt in die Erfahrung, d. h. in die Erkenntnis
einbezogen werden ſoll, ſo muß ein Verhältnis zwiſchen beiden
ſtattfinden ; e8 giebt, jo wunderbar es iſt, in jedem Momente
des Erfahren3, eine Art Bewußtſein des no< nicht, oder
auch de3 nicht mehr uns gegenwärtig Bewußten. Dieſe Art
de3 Bewußtjeins läßt fich bezeichnen als Strebung, als
Tendenz und iſt am bekannteſten in der deutlichen Geſtalt
de3 gewöhnlichen Triebe38 nach ſinnlihen Genühen oder
auch motori]<er Bethätigung (Beſchäftigung), und damit von
ganz allgemeiner Bedeutung im bewußten Leben. ES3 verrät
jich in der Wahrnehmung ; als Richtung des Intereſje3, gleich-
jam Fixierung des geiſtigen Blies auf das die Aufmerkjam-
Feit feſelnde Objekt; im Wiederaufſpüren des Vergeſenen in
der Erinnerung; im taſtenden Vorgriſſ der geſpannten Er-
wartung; in dem oft fühlbar angeſtrengten Suchen der
Phantaſie ; vollend38 in allem höheren Bewußtjein: die Kon-
zentration de3 Gedanken3 auf einen beſtimmten Inhalt; die
Möglichkeit, z. B. eine ins Unendliche gehende Reihe in
Raum, Zeit und Zahl zu denken; e3 zeigt ſich im Zweiſel,
im Erklärungsbedürfni3, im Entwerſen von Hypotheſen u1w.
Bei alledem zeigt ſich deutlich der Charakter einer energiſ<en
Anſpannung der Aktivität des Bewußtſeins.
Dieſem [ſo weitreichenden Momente der Tendenz, der
Aktivität liegt nicht3 andere3 al3 jene dem Willens3dbe-
bewußtſein urſprünglich eigene Richtung auf einen leßten
im Unendlichen liegenden Vereinigung3spunkt alles Mannig-
faltigen der Erfahrung zu Grunde.
Wir dürfen behaupten, daß Tendenz, Strebung allent-
halben ſtattfindet, im ganzen Aufbau der Erfahrung.
Nach dem Grade, indem ſie bewußt wird, unterſcheidet
ſic deutlich eine Folge von Stufen der Aktivität, deren
unterſte, dem Empiriſchen alſo nächſtſtehende wir Trieb nennen.
Die3 Wort eignet ſic beſonders, weil dadur< die
Willen3loſiakeit, die dieſe erſte Stufe der Aktivität kenn-
zeichnet, das paſſive Getriebenwerden, in ſteter Erinnerung
bleibt. Der Charakter und die weitreichende Bedeutung des
Triebes wird beſonder3 klar am Begriff der Arbeit. Keine
menſ<li<he Arbeit, auc< nicht die edelſte geiſtige, läßt ſich
verrichten, ohne daß man ſich für die Zeit der Arbeit dem
Gegenſtande hingiebt, d. Hh. ohne Trieb. Der Trieb iſt
alſo etwas rein Sinnliche3, d. h. nicht unfittlic<h no< ſittlich;
dieſen beiden Begriſſen gegenüber iſt der Trieb an ſich
gleihgültig. Darum kann es aber niemals ſittliche Aufgabe
jein, das Triebleben zu entwurzeln, ſondern nur: es zu
reinigen und zu heiligen. Dieſe ſittliche Stärke und ſinnliche
Kraft des Empfindens und Handelns ſtehen im geraden Ver-
hältniſſe: Der ſittlich Schlafe geht, ſo ausſchließlich er mit
ſeinem ſinnlichſten Triebleben beſchäftigt jein mag, denno<
gerade der geſundeſten Gnergie der Sinnlichkeit verluſtig.
Hier ſtellt ſich alſo die ethiſc<e Wichtigkeit der phvſiſchen