Full text: Hamburgische Schulzeitung - 8.1900 (8)

anwen 
anzuführen, würde zu weit führen. Wir haben no< mit 
mancherlei Vorurteilen zu kämpfen. I< will aber nicht 
unterlaſſen, hier . auf ein Bedenken hinzuweiſen, das mir 
häufig entgegengehalten worden iſt. Man ſagt, daß die 
allgemeine Volksſ<hule bei den Mädchen weit ſc<werer 
durchzuführen ſei, als bei den Knaben. Einen Knaben 
könne man weit eher der Volksſchule anvertrauen, wenn 
man mit dem Bildungsziele ſich begnügen wolle; bei 
Mädchen komme es aber weit mehr auf den Umgang 
an. Dieſer bilde für die Kinder aus den beſſeren 
Familien eine nicht zu unterſchäßende Gefahr. Dieſer Grund 
iſt nach meiner Anſicht ſo wenig ſtüchhaltig, wie die zahl- 
reichen anderen Gründe, aus denen man immer nur das 
„Nein“ heraushört. Vergegenwärtigen wir uns doch einmal, 
daß zur Zeit gegen 80%/0 der gejamten Schuljugend die 
Volksſchule beſuchen. Man wird doh nicht behaupten wollen, 
daß dieſe ſämtlich eine Gefahr für die übrigen 20/0 bilden 
würden? Soweit geht denn auch in der That keiner. Aber 
man weiſt darauf. hin, daß doch manche Elemente in der 
Volksſchule ſind, deren Umgang für ein wohlerzogenes Kind 
bedenklich ſein könnte. Die Richtigkeit diejer Behauptung 
will ich nicht beſtreiten, obwohl manche, die die Volksſc<hule 
nicht kennen, die Sache entſchieden übertreiben. JH will 
auch nicht weiter unterſuchen, wieviel %/o wohl in den Privat- 
ſchulen und den höheren Staatsſ<ulen ſein mögen, die eben- 
fall3 für die Erziehung anderer Kinder eine Gefahr bilden. 
Ic<h will vielmehr annehmen, daß unter 80%/0 ungefähr 5%/9 
vorhanden ſind, die in erziehlicher Hinſicht zu Bedenken Ver- 
anlaſſung geben können, während die 20/0 tadelios jein 
ſollen. Da muß man ſich doch die Frage vorlegen, ob wir 
nicht bei unſern Schuleinrichtungen an die 75%/6 der Schüler 
denfen müſſen, die von dieſen gefährlichen Kameraden nicht 
abgeſondert werden können, nur aus dem Grunde, weil der 
Vater nur wenig oder kein Schulgeld bezahlen kann. Zit 
e8 vom Standpunkt des Staat3 und von dem der Humani- 
tät. nicht in gleichem Grade verkehrt, dieje 75/0 der Kinder 
der Gefahr der Anſte>ung zu überlaſſen und nur für 20/0 
unſerer Schüler koſtſpielige Schulanſtalten zu errichten und 
das gerade für Kinder aus ſolchen Familien, wo man nach 
der gewöhnlichen Annahme beſſere Sitten und bejjere Er- 
ziehung vorfindet? „Die Starken bedürfen de8 Arztes nicht, 
ſondern die Kranken.“ Mir will |<einen, daß es weit ver- 
ſtändiger wäre, no< mehr als bi8her dafür zu ſorgen, daß 
diejenigen Kinder, welche eine ſittliche Geſahr für die übrigen 
werden können, auch aus der Volkſchule entfernt und be- 
ſonderen Erziehung3anſtalten Üüberwiejen werden könnten. 
Dies iſt in der That eine Forderung, die wir im Intereſſe 
unſerer Kinder immer wiederholen müſen. Zur Fürſorge 
für die Schwachbegabten haben wir die Hülfs|<hulen; 
für die Verwahrloſten haben wir eine Beſſerungsanſtalt. 
Wenn wir erſt in der Lage ſind, nac< beiden Seiten hin 
no< etwas ſchärfer auszuſcheiden, als biSher üblich iſt, 10 
werden wir unſere Volksſchule bald auf einen ſolchen Stand 
bringen, daß auc< der Wohlhabende die letzten Bedenken 
aufgeben kann. Wer aber troßdem aus Eitelkeit oder anderen 
Gründen ſeine Kinder der Volksſchule nicht übergeben will, 
der muß es ſich überlegen, ob er auch die Mittel bat, für 
die Befriedigung ſeiner Eitelkeit jelbſt zu zahlen. Die Staats- 
mittel ſollen dem Gemeinwohl, dem Intereſſe aller dienen, 
nicht einer beſonderen Gruppe ohnehin Bevorzugter. Darum 
iſt auch die höhere Mädchenſ<ule, wie ie jett 
beſfonder3 laut gefordert wird, zu verwerſen. 
Damit ſoll nicht geſagt werden, daß für eine höhere Mädchen- 
bildung überhaupt nicht geſorgt werden ſoll; aber alle 
Schulen, welche derſelben dienen jollen, müßen als eine Fort- 
ſezung und AuSgeſtaltung der Volks]<hule organiſiert werden. 
Ein treffliches Beiſpiel dieſer Art ſind unſere Lehrerſjemi- 
narien, die mit ihrem Unterrichte dort einjezen, wo die 
Selekta der Volksſchule abſchließt. Ebenſo können die Fo rt- 
bildungsſc<ulen hier unmittelbar fich anſchließen. Unſere 
Mädchengewerbeſchule nimmt ſchon jet gute Schülerinnen 
aus den Selekten und erſten Klaſen auf. Nur ſchade, daß 
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ſie al8 Privatanſtalt dieſelben nicht für dasſelbe Schulgeld. 
aufnehmen kann. Hier kann nur der Staat mit ſeinen 
Mitteln aushelfen. Wenn man höhere Mäd<henſ<ulen 
mit dem Lehrziel unſerer Realj<ulen gründen 
will, ſo könnten dieſe ähnlich der . Volkſchule angegliedert 
werden. Vorausſetzung iſt aber dabei, daß auch die Mädchen- 
volfsſchule eine fremde Sprache in ihren Lehrplan auſnimmt. 
In einem vierjährigen Kurſus. würde das Ziel der Real- 
ſc<ulen ſehr gut zu erreichen ſein ; denn es iſt nicht zu über- 
ſehen, daß die Volksſchule nur begabte Sc<hülerinnen an dieje 
Anſtalt abgeben würde. Vielleicht würde ein dreijähriger 
Kurſu38 ausSreichend ſein; denn wenn die Schülerinnen nach 
einer zweifährigen praktiſchen Ausbildung in der Hauswirt- 
ſchaft erſt mit dem 16. Lebensjahre eintreten, ſo bringen ſie, 
wenn ſie von Natur gut befähigt ſind, eine geiſtige Reiſe 
mit, wie ſie unſere Realſchüler in den drei erſten Klaſſen nicht 
beſipen. Ob ein Bedürfnis vorliegt für andere höhere 
Mädchenſchulen mit dem Ziel der Gymnaſien, will ich 
unerörtert laſſen. Es kann aber wohl keinem Zweifel unter- 
liegen, daß auc< dieſe ſich der Volksſchule ſehr wohl an- 
gliedern laſſen. Zwar würden die jungen Mädchen nicht jo 
früh dieſe Anſtalten verlaſſen können, wie ihre männlichen 
Studiengenofſen. Aber ein Nachteil wäre es ni<t. I< 
möchte vielmehr das bekannte Gejez der Mechanik hier an- 
wenden und behaupten, wa38 an Zeit und Weg verloren geht, 
wird an Kraft gewonnen. Der weibliche Orgam8mus ver- 
trägt nun einmal in den Jahren der Entwilung die unaus- 
geſezte geiſtige Arbeit nicht. Die zwei Jahre geittiger Rube, 
die der hauswirtſc<haftlichen Ausbildung gewidmet werden 
ſollen, halte ich unbedingt für notwendig, jowohl zur Ver- 
vollſtändigung der allgemein weiblichen Bildung als auch 
im Intereſſe der Geſundheit der jungen Mädchen. I< will 
e8 unterlaſſen, für dieSmal eine Verteilung der Unterricht3- 
fächer nach Jahren und Stundenzahl hier vorzunehmen. Das 
iſt eine Arbeit, die gewiß nicht leicht iſt, wenn jte eimiger- 
maßen Anſpruch auf Genauigkeit machen joll. Eine jolc<he 
Arbeit kann vielmehr nur da3 Ergebnis eingehender Beratung 
jein, an welcher ſich Männer und Frauen von allen genannten 
Anſtalten beteiligen, jo daß keine der ein) hlägigen Fragen 
unberüdſichtigt bleibt. Daß aber eine jolc<e Arbeit mdglich 
iſt, bezweifle ic niht. Es kam mir vor allem darauf an, 
die grundlegenden Gedanken hier zuſammenzujtellen. Zum 
Schluß will ich noh die jetzt ſo viel erörterte Frage berühren, 
ob auch der HausSwirtic<hait5unterricht in die 
Volksſc<hule gehört. JI<4 antworte mit einem ent- 
ſchiedenen Nein. Man muß fich wundern, daß eine 10 eifrige 
Verfechterin der höberen Frauenbildung, wie Helene Bontort, 
dieſe Forderung ſtellen kann. No<G mehr muß die Bez 
gründung dieſer Anſicht befremden. Im Sculwinſenſchaft- 
lichen Bildungsverein meinte dieie Dame, daß es für ein 
Mädchen notwendiger ſei, in der Hauswirtſc<haft ausgebildet 
zu werden, als Flüſſe und Gebirge in fremden Erdteilen 
zu kennen oder Zahlen und Daten au3 der römij<en und 
griechiſchen Geſchichte zu lernen. Man könnte den Lebrſtoſ 
auf anderen Gebieten leicht einſchränken, um für die HauUZ3= 
haltungSkunde Raum zu gewinnen. Dieſe etwa3 drajtijhe 
Beweisführung mag bei oberflächlicher Beurteilung etwas 
Beſtechendes8 baben ; denn es iſt wohl nicht zu leugnen, daß 
eine Frau, welche im Hausweſen gut zu wirtſchaften verſteht, 
ihrer Familie beſſer dient, al8 wenn fie fich mit allerlei 
halb verſtandenen gelehrten Sachen den Kopf vollpſropft und 
dabei ihr Hausweſen vernachläſſigt. Man muß 1ich aber 
doch jehr wundern, daß eine Dame, die in der Frauen- 
bewegung oft und recht laut ihre Stimme erhebt, mit jolchen 
Gründen hervorzutreten wagt. Mit Recht betonen viele 
Freunde der Frauenbewegung, daß das Bildungsniveau der 
Frauen ein höheres werden ſolle, daß ihr Bli> etwas weiter 
reichen müſſe, als in alle E>en und Winkel von Küche, 
Keller und Kinderſtube. Der Menſch lebt niht von Brot 
allen. Je mehr die Bildung de8 Mannes erweitert und 
vertieft wird, deſto notwendiger iſt es, daß die allgemeine 
Bildung des weiblichen Geſ<lechtes- eine gründlichere werde.
	        
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