Vereinigung ſichern ihr den Ruhm, der Frage der äſthetiſchen
Erziehung Bahn gebrochen zu haben. Es wäre nur zu
wünſchen, daß durch eine zuſammenfaſſende Darſtellung über
das Geleiſtete wie über das Gewollte und Grſtrebte die Rn-
gelegenheit dem Intereſſe der geſamten deutſchen Lehrerſchaft
und allen anderen Schulintereſſenten nahe gebracht würde.
Neben die genannten Beſtrebungen tritt die um die Jugend-
ſc<rift. E38 war ſelbſtverſtändlih und unbedingt geboten,
hier fritiſch vorzugehen. Troß des oft gebrauchten Wortes :
Für die Jugend ift das Beſte gerade gut genug! hat ſich doch
eine Unzahl von Leuten für befähigt gehalten, al8 „Jugend-
ſchriftſteller“ auftreten zu können. Aber der gute Wille
qualifiziert nicht. Dazu kommt, daß alle, die von einer be-
jtimmten Se begeiſtert ſind, ihre Hoffnung auf die Jugend
jezen; ſo wurde denn von Sozialdemokraten und andern die
Jugend] 'hrift mißbraucht zur Propaganda. Die Lehrerſchaft
mußte aljo dieſem Gebiete ihre Aufmerkſamkeit zuwenden und
hat e8 mit Eifer und Fleiß gethan. Wolgaſt und dem
Hamburger Prüfungs5ausſchuß gebührt das Verdienſt, für die
Beurteilung dem äſthetiſchen Geſicht8punkt zu ſeinem Rechte
verholfen zu haben, der bis dahin unberücſichtigt geblieben
war. Die dichteriſche Jugend] <rift joll und muß als Kunſt:
werk gewertet werden. Iſt es deswegen nötig, die „ſpezifiſche
Jugendſchrift“ zu verwerfen und die Tendenz mit dem Berdikt
zu belegen ? von Boritel gab jelbſt zu, daß die Frage, 90
die Tendenz mit dem Weſen des Kunſtwerks vereinbar ſei,
ſtrittig iſt. „Die Tendenz wird erſt der Kunſt gefährlich,
wenn der Künſtler fich aus]<ließlich in den Dienſt jener
idealen Mächte (Moral, Religion, PatriotiSmus8) oder gar
no< weit niedriger ſtellt oder auch wohl auf Grund recht
vorteilhafter Bedingungen unterordnet.“ Wie leicht auch tas
Kunſtwerk zum Tendenzwerk? geſtempelt werden fann, ewe
die Charakteriſierung des Erkmann-Chatrian]chen Buches iü
dem Vorwort des Überſeters, was übrigens auch durch vas
Vorwort mit Liliencron8 Krieg3novellen zeſchieht. Denn
wenn dasjelbe zur Erklärung, daß das Verzeichnis nicht viel
Kriegserzählungen enthält, jagt: „Die meiſten ſchildern den
Krieg nur mit halber Wahrhaftigkeit Sie ſchildern nur die
Freude der Sieger und nicht die Leiden der Gefallenen, nur
die erfreulichen und nicht die bedauer lichen Folgen der Kriege“
und dann fortfährt: „Iſt der Kriegsſchilderer nur der
Mahnung und nicht auch der Warnung (Schillers im Tel)
eingedent, jo lügt und fälſcht er; denn die Aufgabe der
Kunſt iſt nicht da38 Verſchweigen und Vervüllen, jondern
das Darſtellen, das Ausmalen“, 1o kann man aus dieſer
Steigerung auch den Kriegsnovellen eine Tendenz unter-
Ichieben.
Daß die Tendenz mit dem Kunſtwerk vereinbar jei,
haben wir bei Viſcher veſtätigt geſunden. Dazu kommt noch
ein5. Gewiß iſt es wahr, „daß irgendweiche eindringliche
Wirkung auf die Menichennatur nur dur< das Medium der
Perſönlichkeit geſchehen kann.“ Das gilt von der Perſönlichkeit,
die uns des Dichters Genius vor die Seele „aubert, aber
auc<ß von dem hinter und in dem Werke ſich offenbarenden
Künſtler. Wohl jagt Schiller: „Der große Künſtler zeigt uns
den Gegenſtand (ſeine Darſtellung hat reine Objektivität) ; der
mittelmäßige zeigt ſich jelbjt (feine Darſtellung hat Sud-
jektivität) ; der ſchlechte ſeinen Stoff (die Darſtellung wird
durch die Natur des Mittel38 und durch die Schranken des
Küntjtler3 beſtimmt)“ ; wir werden aber vom Werke immer
zu dem Künſtler gezogen werden und jedes jeiner Werke
wird uns zu einer Äußerung einer Individualität. Wenn
Un jene idealen Mächte in einer Perſönlichkeit lebendig
wirkſam jind, joll ſie darum är die Kunſt verloren ein?
von Borjtel fragt, um die 2 Wirkung der Tendenzpoeſie zu
Harakteriſieren : „Wo iſt dige Wirkung der YMoralpoeten
des 18. Jahrhunderts, wo die umerer hertfönmlichen
Gejangbuchverſe mit ihrem vernüzierten Dogma oder der
Preußenverhimmler derer um Nikolai?“ An anderer
Stelle wird den „herkömmlichen GejangbuchSreimichmieden“
gegenüber „die werbende Kraft eines Lutheriſchen Liedes“
anerkannt und dadurch in etwas der Eindruck verwiſcht. als
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ſei ihm die geſamte geiſtliche Liederdichtung nur „verſifiziertes
Dogma“. Allerding38 enthält unjer Geſangbuch manches
wertloje, und noc< mehr, manche38 verdorbene Lied ; darüber
herrijcht in kirchlichen Kreijen nur eine Meinung, wie die
bezüglichen Aufſäße von D. Grimm, Senior D. Behrmann
in der kirchlichen Zeitſchrift beweiſen; dabei darf doch nicht
vergeſſen werden, daß auch im geiſtlichen Liede ſich der
Charakter der Zeit geltend macht, daß es wie alle Einzel-
ericheinungen nur in einer hiſtoriſchen Bedingtheit gerecht
beurteilt werden kann. Andererfeit3 hängt die Wirkung
gerade beim geiſilichen Liede nicht bloß von dem Dichter ab,
jondern auch von der Stimmung, in der es aufgenommen
wird und von der Intenſität der Vorſtellungen, die ihm
entgegenfommen. Und daß troß „Preußenverhimmlung“
poetiſche Wirkung möglich iſt, ſc<einen mir unſere Freiheits-
Dichter, mehr noch Geibel u. a. zu veweijen. I< kann des-
wegen nicht zugeben, daß da38 Weſen de8 Kunſtwerkes die
Zurückdrängung jeder Tendenz fordert und kann dem Scleik-
jerichen Worte gegenüber ein anderes anführen. In einem
Aufſaße über die Aufgaben der äſthetiſchen Tageskritik in
der „Zeit“ Jagt derſelbe: „Wie hat ſich der Rezenjent zu den
verſchiedenen religiöſen und politiſchen Parteijtrömungen zu
ſtellen? Er hat jich meines Erachtens gar nicht zu jtellen.
Er wäre ein GEE wenn er ſich um eine mißliebige
Tendenz herumdrücte; er wäre aber noch etwas viel
Schlimmeres al8 ein "Feigling, nämlich ein intoleranter
Menſc<, wenn er ein Drama um ſeiner mißliebigen Tendenz
willen verwerfen wollte. Er hat es mit dem künſtlerij<en
Gebilde und mit nichts anderem zu thun.“
Iſt denn die Tendenz mit dem Weſen des Kunſtwerkes
vereinbar, dann zwingt uns fein aus der Atthetik her-
genommener Grund, die o9en von mir aus pädagogiſchen
Gründen geforderte Poſition auſzugeben, aljo auch die äſthe-
iſche Erziehung in das Ganze des Erziehungs/y jtems ein-
zugiledern, nicht al5 gleichwertig der intellektuellen und fitt-
lichen Erziehung, aber auch nicht jo unterwertig, daß die
biSherige Mißachtung gerechtfertigt eriheint. Damit will
ich in Bezug auf die Jugendſchrift nicht den Zuſtand recht:
fertigen, daß der Schulmeiſter ſich als Künſtler gab, indem
er feine Belehrung zur Abwechsl ung mal in ein fünſtleri] Hes
Gewand einzubüllen verſuchte. Der Künſtler ſchafft nicht,
um zu belehren; die in ihm lebenden Geſtalten wollen frei
geboren fein. (Vergl. Viſcher: Das Schöne und die Kuni
S 3). Darum gilt für den Künſtler das Wort: Wer für
die Jugend ſchreibt, darf nicht für die Jugend ſchreiben '
Für den Lehrer aber gilt es zu prüfen, ob die Jugend]c<rift
vei künftleriſ<er Qualität auch den Anforderungen genügt,
die er um ſeiner Aufgabe willen ſtellen muß. So wenig
der Lehrer de n Künſtler zu erjfeten vermag, 10
wenig der Künſtler den Lehrer. Von hier aus ge-
jehen, giebt es eine „ſpezifiſche Jugendſchrift“ ; von hier aus
it es gleiherweite übertrieben, wenn von Berttel Jagt:
„Man kann nicht Schulmei?ter fein und ein bißchen Künttler
davei jein wollen, wenigſtens wird der letztere dabei erdrüct,
wenn er überhaupt jemals lebte“, oder wenn Prok. Sittard
Ul einer Veſpreehbung des Lorenzjchen Buches die als „littera-
riſche Hatelſtauden“ abthut, „die die alte Leier immer wieder
nachbeten, daß die Kunſt nur dazu da ſei, um ſich zu exr-
heben und zu erbauen.“ BPBPolemiſch ſind jol<e Wendungen
wie „Scellenbaum, litterariſche Hafelſtaude“ 2c. reHt wirkſam,
und Hr. Prof. Sittard hat ſicher die Lacher auf ſeiner Seite
gehadt ; das darf uns aber über die Thatjache nicht hinweg-
täuſchen, daß er ſich hier zu einer Autorität über eine
vädagogyſc<e Frage aufwirſt, und dagegen wird jeder Lehrer
Proteſt erheben. Für die Mitglieder der Jugend] <riften-
fommiſſionen ergiebt ſich alſo die doppelte Aufgabe : einmal
ſich ein wohlbegründetes äſthetit<es Urteil anzueignen, dann
aber die äſthetiſche Beurteilung ins rec<hte Einvernehmen zu
jeden mit der pädagogiſchen, wie dies aum der neue Statuten-
entwurf der Geſellichaft thut. Dann iſt e8 aber au< un-
möglich, den Kunſtgenuß als „die edelſte Lebensfreude“ hin-
zuſteJon: für Lehrer iſt diefer Superlativ eine unhaltbare,