Full text: Hamburgische Schulzeitung - 8.1900 (8)

von ſolchen und Handzeichnungen dedeutender Künttler. 
Von vielen Zeichenpädagogen werden auch menſchliche Köpfe 
und Figuren, Blumen, Tiere und Landſchaften als unſtatthaft 
vom Zeichenunterricht ausgeſchloſſen.“ Ganz auf denſelben 
Forderungen beſteht die Broſchüre „Zur Reform des Zeichen- 
unterricht8“; ſie fordert, daß der Zeichenunterricht den 
Schüler in die farbenreiche Natur führe. „Der Zeichenſtofſf 
iſt der Umgebung des Kindes zu entnehmen, der Schüler iſt 
zu befähigen, das Geſehene einfach, flar und ſauber wieder- 
zugeben. Er iſt zu befähigen, des Zeichnens als einer 
Sprache fich zu bedienen.“ 
Wenn wir mit vieler Wühe und Sorgfalt durch unſeren 
Lehrgang im Zeichnen erreicht haben, daß unjere Schüler 
einfache Gegenſtände ohne grobe Fehler im Umriß darſtellen 
können, ſo glauben wir „Viel“ erreicht zu haben. Die 
fünſtleriſche Erziehung aber verlangt, daß ſie das alles im 
erſten Zeichenunterricht jofort können, ſich an alles wagen. 
Dabei ſpricht Hirth immer von begabten Schülern, ſoviele 
unbegabte werden wohl nicht da jein, ganz unbegabte über- 
haupt nicht. So groß auch meine Hochj<häßung vor dem 
Kunſtphyſiologen Hirth iſt, hierin muß ich meine Erfahrungen 
ihm entgegenhalten: Es giebt unter unjeren Volksſchülern 
eine große Reihe unbegabter Schüler, denen die einfachſte 
Darſtellung große Schwierigkeiten macht. Welche Arbeit 
allein koſtet es, ihnen die wenigen Formen der Schrift bei- 
zubringen! Wieviel Zeit müßte man nun haben, um ihnen 
die viel mannigfaltigeren und zahlreicheren Naturformen 
beizubringen, ſie zu befähigen, das Zeichnen al3 eine Sprache 
zu benußen. Ein Kind, das Sprechen lernt, fängt nicht mit 
der Darſtellung von ganzen Säßen an; es probiert erſt 
Laute, ſezt daraus Worte, ſchließlich, wenn ſeine Kraft 
geſtärkt iſt, Säße zujammen. Nun verlangt man, ohne die 
Elemente gelehrt zu haben, Darſtellung alles Geſehenen, 
ſelbſt der Bewegungen. In den Skizzierübungen der Volks8- 
ſchüler kann man doc< nur eine fehr ſtümperhafte Sprache 
ſehen. Ein Schüler von 8--10 Jahren iſt geiſtig doc< viel 
weiter entwidelt, als ſeine Karikaturen zeigen. Wieviel 
Volksſchullehrer getrauen ſich, den von Hirth und Lange 
vorgeſchlagenen Stoff zu bewältigen? E3 läßt ſich wohl 
von einem einfachen Skizzieren, einem flüchtigen Entwerfen 
al38 Vorarbeit zu einer größeren Ausführung reden; aber 
das verlangte Sc<hnellſkizzieren macht manchem Künſtler noc: 
zu ſ<hafſſen. Wenn wir die3 Ziel der künſtleriſchen Erziehung 
erreichten, dann ſind alle Kunjtgewerbeſchulen, alle Kunjt- 
akademien vollſtändig überflüſſig, dann jind alle Schüler 
eben Künſtler. -- Aber die Darſtellung braucht ja gar nicht 
vollfommen zu ſein. Bezeichnend in diejer Beziehung heißt 
es in der Broſ<hüre „Zur Reform des Zeichenunterricht3“: 
„Weil die Unbeholfenheit der Hand nicht immer zu überwinden 
jein wird, werden die Leiſtungen der Schüler oft unbeholfen 
und unvollfommen jein. Das Fehlerhafte wird zunächſt 
überwiegen. Der Zeichenunterric<ht iſt darin den übrigen 
UnterrichtSfächern glei. Begnügen wir un3 hier wie dort 
zuerſt mit minder vollkommenen Leiſtungen und freuen uns, 
wenn am Ende der Unterricht3bahn ein annähernd Tüchtige3 
geleiſtet wird.“ -- Eine herrli<here Sanktionierung der 
flüchtigen Arbeit iſt wohl noc< nie von Pädagogen feſtgelegt 
worden al3 dieſe! Alſo nur friſch darauflos8 gemalt, es 
wird j<on endlich zufällig etwas werden! Wenn es nur 
einigermaßen ausSſieht, al3 ob e3 der vorgeſtellte Gegenſtand 
ſei; es iſt ja nur eine Skizze; e8 ſoll ja nur eine Studie 
ſein. Jſt e3 auch noh nicht gelungen, weg damit, etwas 
Neues her! Im Gegenteil, dies ſaubere, gele>te, geſc<niegelte 
Ausführen langweilt den Schüler, ödet ihn aun!! Zn jedem 
Unterricht8fache verlangen wir vom Schüler, daß er die ihm 
aufgetragene Arbeit ſeinen Anlagen entſprechend 1orgfältigſt, 
jauber, korrekt anfertige. Wir laſſen flüchtig angefertigte, 
inhaltlich fehlerhafte Arbeiten kopieren. Nur im Zeichnen 
jollen wir keine ſorgfältige Arbeit verlangen dürfen?! Da 
fann jeder ſchmieren, ſo viel er will! nichts gründlich, 
nichts korrekt zu Ende führen. Wo bleibt hier die verlangte 
gründliche Anſchauung aller Zeichenobjekte und die ſorgfältige 
 
 
 
Verbindung der gewonnenen Bilder mit den reproduzierenden 
Organen? Nun, am Ende des Unterriht8 werden wir 
ſ<on unſere Künſtler malen ſehen, daß es eine Luſt iſt. 
Wenn alſo Hirth verlangt, der begabte Schüler jollie, wie 
er in der wohlgeſezten Mutterſprache ſeine Gedanken aus- 
drüct, hier ſeine bildlichen Phantaſieen und Eindrü>e wieder- 
geben, das Zeichnen ſollte ihm zu müheloſer Formenſc<rift 
werden, ſo müſſen wir ſagen: Das iſt eine vollkommene 
Verkennung der Anlagen und Kräfte ves Volksſchüler3. 
Da3 Skizzieren als Sprache iſt Sache des fertigen Künſtler3, 
nicht de8 Volksſchülers. 
Daß eine richtige Beurteilung einer Sache gegründet 
iſt auf die Kenntnis ihrer Herſtellung, iſt ſelbſtverſtändlich. 
Ein Meiſter in feinem Fache kann eine Arbeit aus demſelben 
beſſer beurteilen, als ein Nichtfachmann. Wollten wir nun 
unſere Volksſchüler zu dem oben feſtgelegten Kunſtgenuß be- 
fähigen, 10 müßten wir ſie nicht nur zeichnen und malen, 
ſondern auch modeliieren und bilden lehren in Ton, Stein 
und Erz 2c. Welche verſchiedenen Arten von Techniken 
giebt e3 nun wieder in einer Darſtelungsart!? Bleiben 
wir bei der graphiſchen Darſtellung! Selbſt hier iſt es 
nicht möglich, alle Techniken derſelben in der Volks]chule zu 
lehren! Wir müſſen zufrieden fein, wenn unſere Volksſchüier 
mit dem einfachſten, leichteſten Material einigermaßen ge!<iut 
arbeiten lernen. Hirth verwirft den Bleiſtift. Er ſieht den 
Pinſel und die Farbe allein als das Mittel zu breiter, 
koloriſtiſch-effektvoller Darſtellung an. „Ihm zunächſt kommen 
Kohle und Kreideſtifte nebſt den Wiſchern, auch die Anwendung 
verſchiedenfarbiger Stiſte jollte geübt werden. Es iſt auch 
rätlich, dem Tonpapier den Vorzug vor dem weißen 
Papier zu geben, auf erſterem ſind mit weißer und j<warzer 
Kreide ſehr gute Lichtwirkungen zu erzielen. Hierher gehört 
auch das Rauchbild und die Übung mit der Radiernadel, 
die leichtfolorierte Federzeichnung, poly<hrome Aquarell- und 
Paſtelzeichnungen.“ 
Mir ſ<windelt vor dieſen Forderungen. J< weiß 
nicht, woher mit der Zeit in der Volksſ<ule zur Erfüllung 
diejer Forderungen, woher mit den Materialen! Die muß 
der Staat --! Nehmen wir es an, es geſchähe. Nun 
denke man jich 50 Schüler in einer Klaſje mit je einem 
Farbtopf, einem Pinſel, einem Zeichenbrett mit aufge]panntem 
Bogen. Nun geht da3 Malen lo38! Ein Schlachten wär 3 
zu nennen! Nicht allein da3 Papier wird vollgeklext, die 
Hände, die Kleidung, das Taſchentuch; der Boden, die 
Subſellien. Sin künſileriſche38 Chao3, ein Bild zum Schnell- 
ſfizzieren. Die Durchführung dieſer Technik iſt in der 
Volksſchule nicht möglich. Auch bei der bunten Kreide und 
der Kohle finden wir dieſelbe Unſauberkeit. Bei fort: 
geſchrittenen Schülern könnte vielleicht eimmal jhwarze und 
weiße Kreide auf Tonpapier benutzt werden. Von den übrigen 
oben angegebenen Techniken will ich nicht reden. Sie ge: 
hören nicht in die Volk3ſ<ule. Bei der Anwendung der 
Farbe in der Volksſchule kommt ſchlieslih wenig mehr als 
ein Antönen von Flächen heraus. Wenn man ſonſt uns 
allzu große Betonung der Technik vorgehalten bat, fo iſt der 
künſtleriſchen Erziehung allzu große Betonung von Techniken 
vorzuwerfen. 
Nun zar eine Beurteilung von Kunſtwerken durch Volks8- 
ſchüler vom techniſchen Standpunkt aus zu verlangen, gebt 
über das Ziel der Volks|<hule weit hinaus. So muß auch 
die vierte Frage unbedingt verneint werden, weil die Forde- 
rungen den Anlagen und Kräften eines VolkZih<üler3 nicht 
entſprechen, die Schulzeit keinen Raum dazu bietet und ie 
zur Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit anleiten. 
Das Ziel der fo markierten künſtleriſchen Erziehung 
nach Hirth und Lange iſt für die Volk8ſ<ule zu verwerfen, 
denn die Forderungen dieſer Erziehung entſprechen nicht dem 
geiſtigen Standpunkt des Schülers, nicht dem ſittlichen Stand- 
punkt desfelben, nicht jeinen techniſchen Fähigkeiten. Sie 
enthält eine große Gefahr für ſeine Charakterbildung ; ſie 
bildet nicht allgemein, jondern nur „künſtlerijc<“.
	        
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