Full text: Hamburgische Schulzeitung - 8.1900 (8)

Da3 Volksſchulweſen Dänemarks. 
Dänemark hat ſeit dem 24. März 1899 ein neues 
Schulgeſeß. Alſo geſeßliche Feſtlegung der mancherlei Schul- 
fragen am Ende des Jahrhunderts, das ſo reich iſt an 
Errungenſchaften, auc< auf dem Gebiete der Pädagogik! 
Da erwartet man wohl, daß dabei die pädagogiſchen 
Forderungen unſerer Zeit gebührende Berüdſichtigung erfahren 
haben. Thatſächlich wird dieſe Erwartung bis zu einem 
gewiſſen Grade erfüllt, wenn auch das uns vorſchwebende 
Ideal eines zeitgemäßen Schulgeſeze8 noch lange nicht erreicht 
iſt. Unter dem Dru der gegebenen Verhältniſje kam eben 
nach ſchwierigen Verhandlungen nur ein Kompromiß zwiſchen 
dem liberalen Folketing und dem konjervativen Landsting 
zuſtande. Das Schulgeſetz in ſeiner heutigen Geſtalt bildet 
den vorläufigen Abſchluß einer allmählichen Entwiklung, 
die beſonders in den letzten Jahrzehnten zeigt, wie beſtimmte 
pädagogiſche Forderungen, die im Sinne der Mehrzahl eines 
Volkes den Fortſchritt auf dem Gebiete der Erziehung und 
des Unterrichts bedeuten, in kleineren Staaten oft viel leichter 
Erfüllung finden als in größeren. Als Beweis möge fol- 
gendes au8 dem heutigen Volksſchulweſen Dänemarks kurz 
mitgeteilt werden. 
1. Den Gemeinden iſt ein ziemlich großer Einfluß ge- 
währt worden, zuerſt in Bezug auf die Wahl der Lehrer. 
Zwar werden die Direktoren und die Oberlehrer der ſtädtijchen 
Schulen allein vom König ernannt und die übrigen Lehrer 
von den ſogenannten Schuldirektionen der einzelnen Lande3- 
bezirke; aber der Gemeinde ſteht das Recht zu, drei Kandidaten 
zur Wahl vorzuſchlagen. Ebenſo hat die Gemeinde das 
Recht der Schulaufſicht, natürlih unter Oberaufſicht der 
ſtaatlichen Schuldirektionen. Sie bedient ſic dazu einer 
Schulkommiſſion, die vom Gemeinderat gewählt wird und 
aus einer beſtimmten Anzahl Steuerzahlern beſteht; auch 
Witwen ſind wählbar. Endlich beſit die Gemeinde Einfluß 
auf die Geſtaltung de35 Lehrplan3 ; denn dieſer wird für jede 
Schule von der Schulkommiſſion vorgeſc<lagen und von dem 
Gemeinderat den übergeordneten Behörden vorgelegt. 
I. Das Geſetz geſtattet für den Lehrplan weitgehende 
Anpaſſung an die thatſächlichen Bedürfniſſe. Für ſtädtiſche 
Schulen ſind folgende Fächer obligatoriſch: Dänijh mit 
wenigſtens 287 Jahresſtunden, Religion, Schreiben, Rechnen, 
Geſchichte, Erdkunde, Singen, Zeichnen, Turnen, (für Knaben) 
und Nähen (für Mädchen). Naturwiſſenſ<haſten und Hand- 
fertigkeitaunterricht jowie für Mädchen Turnen und Hau3= 
haltungskunde ſind fakultativ. Auch können Mathematik 
und moderne Sprachen in den Lehrplan aufgenommen werden, 
wenn die Gemeinde Mittel dazu bewilligt. In den Land- 
ſchulen iſt der Plan je nach den gegebenen Verhältniſen 
weniger reichhaltig, beſonder8 in den dünn bevölkerten 
Gebieten Jütland8. Mindeſtens alle 10 Jahre müſſen die 
Pläne revidiert werden. 
3. Die Schülerzahl der einzelnen Klaſſen ijt gering be- 
meſſen; denn ſie ſol in den Städten höchſtens 35, in den 
Dörfern 37 betragen. Die meiſten Gemeinden haben jedoch 
dieſe Zahl noch herabgeſetzt, fo daß ſchon feit 1893 etwa 
70 Prozent der ſtädtijchen Schulen weniger als 35 Schüler 
in der Klaſſe haben. 
4. Für die Fortbildung nach dem |<ulpflihtigen Mter 
iſt durch Abendunterricht und durc< die ſogenannten Volk3- 
hochſchulen reichlich geſorgt. Erſterer findet an den Winter- 
abenden von ?/-8 bis 2/3210 Uhr ſtatt, beſonders für junge 
Handwerker und Arbeiter im Alter von 17 bis 20 Jahren. 
Er umfaßt Däniſ<, Schreiben und Rechnen oder auch 
Engliſ<, Deutſ<, Mathematik, Phyſik und Buchführung. 
Auch für junge Mädchen giebt es Fortbildungsunterricht, 
beſonders in der Haushaltung8kunde. Die Teilnahme iſt 
überall freiwillig und koſtet für das Semeſter drei Kronen. 
1896 gab es 789 ſolcher Abendkurſe mit gegen 14 000 Schülern, 
in Kopenhagen allein 97 mit etwa 2000 Schülern. Die 
Volk8hoc<ſc<ulen geben beſonders der bäuerlichen Bevölkerung, 
258 
 
und zwar im Winter jungen Männern, im Sommer 
jungen Mädchen, für 30 Kronen den Monat Penſion Und 
Unterricht. Dieſer betrifft beſonders die Elementarfächer, 
ſowie Engliſch und Deutſc<; doch werden auch Vorträge 
über däniſche Litteratur, Hygieine, Soziologie u. a. Gebiete 
gehalten. Augenblilich giebt es 74 Volksho<hſ<ulen mit 
jährlich 6000 Schülern. Sie können ſich bei dem niederen 
Schulgeld natürlich nicht ſelbſt erhalten, ſondern der Staat 
unterſtüßt ſie mit etwa 300 000 Kronen. 
5. Die Lehrerbildung bewegt ſich troß mancher noch 
vorhandenen Mängel offenbar auf rechten Bahnen und iſt 
durc< Geſez vom 30. März 1894 geregelt. IJhr dienen 
16 Seminare. Davon werden vier vom Staat unterhalten 
und geleitet ; die übrigen ſind Privatanſtalten mit ſtaatlicher 
Unterſtüßung. Die Schüler können als Penſionäre oder als 
Externe in das Seminar eintreten. Wer aufgenommen 
werden will, muß wenigſtens 18 Jahre alt ein und eine 
Vorbereitungszeit (tage 8colaire) von einem Jahr hinter ſich 
haben; er hat ein Zeugnis über gute Geſundheit und Führung 
beizubringen und in einer Prüfung die elementaren Kenntniſſe 
 
nachzuweiſen. Der Seminarkurſus iſt dreijährig. Die Zahl 
der Lehrfächer und Unterricht5ſtunden ergiebt ſich aus folgender 
Überſicht : 
1. Jahr 2. Jahr 3. Jahr 
Turnen . . . 4 4 4 
Muſik und Singen 2 2 2 
Zeichnen . . 2 3 -- 
Schreiben 2 1 --- 
Rechnen . 3 3 -- 
Mathematik . 5 5 -- 
Pyr... 2 3 - 
Naturgeſchichte . 3 3 -- 
Geographie . 2 2 -- 
Geſchichte 3 2 3 
Dänilch . 5 4 5 
Religion . 3 3 5 
Pädagogik . -- 1 5 
UnterrichtSpraxris . == -- 12 
36 36 36 
Außerdem ſchreibt das Geſe al3 wahlfreie Unterricht3- 
fächer vier moderne Sprachen vor: Deutſch, Engliſch, 
Franzöſiſc und Schwediſ<, und zwar deshalb, weil die 
Seminare ihre Zöglinge auch befähigen jollen, ſpäter in 
Realſchulen zu unterrichten. Die leßte Lehrerverjammlung 
in Kopenhagen wünſchte dazu no& Phonetik und Sten0- 
graphie, au< wahlfrei. =- Die Seminarbildung wird durch 
eine Prüfung abgeſchloſſen, deren Beſtehen ein Anrecht auf 
definitive Anſtellung als Lehrer giebt. Dieſe kann aber nach 
dem neuen Schulgeſetz erſt dann erfolgen, wenn der Kandidat 
mindeſtens ein Alter von 25 Jahren hat und vier Jahre als 
Hilfslehrer thätig geweſen iſt. Für untergeordnete Stellungen, 
z. B. als Lehrerin der Kleinen. iſt eine kürzere Vorbereitungs- 
zeit nachgelaſſen. =- Für die im Amt ſtehenden Lehrer jind 
Ic<on ſeit 1856 in der Lande3hauptſtadt Fortbildungskurje 
eingerichtet worden, die ſich inmer erfreulicher entwidelt 
haben. Sie dauern entweder einen Monat der Sommer- 
ferien oder ein ganzes Jahr und beziehen jich 3. B. auf 
Zeichnen, Orgelſpiel, moderne Sprachen, Naturwiſſenic<aften, 
Pädagogik und Handfertigkeit. Der Unterricht iſt unent- 
geltlich ; ja der Staat zahlt außer den Unterricht8koſten den 
Teilnehmern noh Beihilfen für Wohnung und Unterhalt, 
im lehten Jahre zuſammen etwa 200000 Kronen. DesShalb 
iſt der Andrang ſeitens der Lehrer außerordentlich groß und 
wächſt von Jahr zu Jahr. -- (Als Grundlage zu vor- 
ſtehenden Ausführungen diente ein intereſſanter Bericht von 
Profeſſor Carl Michelſen in Kopenhagen in der Revue 
pedagogique 1900 S. 282 bis 395, Aprilheft, Paris, 
CH. Delagrave. . 
?. Detagrave (Päd. Ztg.)
	        
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