Eine Wochenſchrift für die Ungelegenheiten des Unterrichts,
der Erziehung und des Lehrerſtandes,.
.Zerausgegeben
von Lehrern und Lehrerinnen.
Kommiſſionär HB. Reßler, Leipzig, Seeburgſtr. 46.
Schriftleitung:
U. Struve, Hamburg-Eilbe,
Jungmannſtr. 21, p.
Verlag:
Shröder & Jeve, Hamburg,
Kl. Reichenſtr. 9-11. Fſpr. 2080.
Die Hamburgiſche Schulzeitung erſcheint jeden Mittwoch in einem Bogen Großquartformat zum Preiſe von 1 Mark 50 Pfg. für das Vierteljahr.
Beilage: Die monatlich erſcheinende Jugendſchriften-Warte, Scriftleiter 5. Wolgaſt. -- Beſtellungen nehmen außer den Derlegern, alle
Buchhandlungen, Zeitungsgeſchäfte und Poſtämter an. -- Beiträge ſind an die Schriftleitung, Bücher zur Beſprecqung an Herrn Hauptlehrer Martens,
Hamburg-St. Georg, Baumeiſterſtr. 8, zu ſenden. Unzeigen werden für die Petitzeile von 63 mm Breite mit 20 Pfg., Beilagen nach Übereinkunft
berechnet. -- Poſt- Liſte Ur. 3188. -- Klagen über unpünktliche Zuſtellung ſind gefl. ſofort dem Derlage mitzuteilen.
8. Jahrgang.
Mittwoch, den 8. Auguſt 1900.
Sr. 32.
Inhalt: Der Entwurf des neuen hamburgiſchen Geſetzes betr. die
Zwangserziehung Minderjähriger. Von R. Muntsfen. -- Eine Wahl:
reiſe. Von Rudolf Eugen. -- Pädagogiſ<he Rundſ<au. --- Verein3-
Anzeiger. = Familien-Anzeiger.
Der Entwurf
des neuen hamburgiſchen Geſetze3 betr.
öte Zwangserziehung Minderjähriger.
Durc< die Einführung des Bürgerlichen Geſeßbuches
jind die meiſten Staaten Deutſchlands zu einer Neugeſtaltung
der Beſtimmungen über die Zwangserziehung Minderjähriger
veranlaßt worden. Auch in Hamburg hat man infolge der
neuen reichö8geſeßlichen Beſtimmungen eine Änderung des
biSher in Kraft ſtehenden Zwangs5erziehungs8geſee38 vom
6. April 1887 vorgenommen. JInsSbeſondere find es drei
Punkte, in denen man eine folc<he Änderung al38 notwendig
erfannt hat:
1. Während bi8her von der Behörde für Zwang3-
erziehung ohne Entſcheidung der Vormundſchaftsbehörde
Zwangserziehung angeordnet werden konnte, wenn Eltern,
Großeltern oder Vormünder dieſelbe beantragten, iſt nach
Artikel 135? des Einführung3geſezes zum Bürgerlichen
Geſetzbuch, unbeſchadet der 88 35, 56* des Strafgeſetzbuches,
Zwangserziehung nur zuläſſig, wenn ſie vom Vormundſchafts-
gericht angeordnet wird.
2. Als Vormundſchaft8geriht war in Sachen der
Zwangserziehung bi3her auf hamburgiſchem Gebiet aus-
Ihließlic<h die Vormundſchaftsbehörde zuſtändig; nac< 8 70
des Geſetzes betr. Ausführung de8 B. G.-B. umfaßt die
Zuſtändigkeit der künftigen Vormundſchaftsbehörde als Vor-
mundſc<aft3gericht nicht die Landherrenſchaft Ritzebüttel und
Bergedorf.
3. Mit dem 1. Januar 1900 ijt die bis8herige Vor-
mundſchaft3ordnung außer Kraft getreten ; die vormundſchaft-
lichen Rechte der Behörde für ZwangSserziehung werden
künftig durch die Beſtimmungen des B. G.-B. begrenzt ſein.
! Artikel 135. Unberührt beiben die landes8geſeßlichen Vorſchriften
über die Zwangserziehung Minderjähriger. Die Zwangserziehung iſt
jedoH, unbeſchadet der Vorſchriften der 88 55, 56 des Strafgeſetbuches,
nur zuläſſig, wenn ſie von dem Vormund] <afts8gericht angeordnet wird.
Die Anordnung kann außer den Fällen der 28 1666, 1838 des Bürger-
lichen Geſetbuches nur erfolgen, wenn die Zwangserziehung zur Ver-
hütung des völligen ſittlichen Verderbens8 notwendig iſt. Die Landes-
geſete können die Entſ<eidung darüber, ob der Minderjährige, deſſen
ZwangsSerziehang angeordnet iſt, in einer Familie oder in einer Erziehungs:
oder Beſſerungs8anſtalt unterzubringen ſei, einer Verwaitungsbehörde
übertragen, wenn die Unterbringung auf öffentliche Koſten zu erfolgen hat.
? An die Stelle des 8 55 ſind folgende Vorſchriften getreten : Wer
bet Begehung der Handlung das zwölfte Lebensjahr nicht vollendet hat,
kann wegen derjelben nicht ſtrafrechtlich verfolgt werden. Gegen den:
1
,
Aus dieſen und anderen Gründen hat der Senat eine
völlige Neugeſtaltung des Geſetzes betr. die Zwangserziehung
für geboten erachtet und der Bürgerſ<aft einen Gejeßentwurf
zugehen laſſen, den dieſe zur weiteren Beratung einer Koms-
miſſion übergeben hat.
Den Ausdru>s „Zwangserziehung“ hat man iroß jeines
unſchönen Klanges beibehalten. „Zwangserziehung“ wird
definiert als „zwangsweiſe durchgeführte Unterbringung
Minderjähriger in einer fremden Familie oder in einer Er-
ziehungs= oder Beſſerungsanſtalt zum Zwede einer durch
obrigkeitliche Organe geleiteten oder deaufjichtigten Srziehung.“
Es iſt nicht zu leugnen, daß der juriſtiſch Ungebildete bei
dem Ausdrus „ZwangSserziehung“ eine beſtimmte Erziehung2-=
methode, bei welcher Zwang3mittel unverhältniSmäßig
häufig angewandt werden, fich vorzuſtellen geneigt iit. Man
hat daher in Preußen für „Zwangserziehung“ den terminus
„Fürſorgeerziehung“ eingeſeßt, ein AusdruC, der freilich für
den Laien das Weſentliche, das dieje Erziehung von jeder
anderen unterſcheidet, kaum hinreichend kennzeichnen dürſte.
Wir werden in folgendem zuerſt von den Inſianzen zu
reden haben, von denen nach dem neuen Geſetze Anordnung
und Durchführung der Zwangserziehung abhängt. Sodann
haben wir die Gruppen der Minderjährigen zujammenzu-
ſtellen, die nach den Beſtimmungen für Zwangserziehung auf-
genommen werden müſen oder können. Hierauf haben wir
die Beſtimmungen über das AnordnungZverſahren, 1owie
die Durchführung und das Ende der Zwangserziehung
zu erörtern. Schließlich wird von denjenigen Minder-
jährigen zu reden Jein, die nach dem Geſetzentwurf obne
Anordnung der Zwangserziehung in die Erziehungs- und
Beſſerungsanſtalt „Obl3dorf“ auſgenommen werden können.
1. Die Inſtanzen, von denen Anordnung und
Durc<führung der ZwangSserziehung abhängt.
In den drei erſten Paragraphen läßt der Geſeßentwur|
die früheren Beſtimmungen unverändert. Die Behörde für
Zwangserziehung in ihrer biSherigen Zufammenjetung (8 2)
ſelben können jedoG na<& Maßgabe der landes8geſetlihen Vorſchriften
die zur Beſſerung und Beaufſichtigung geeigneten Maßregeln getroffen
werden. Die Unterbringung in eine Familie, Erziehungsanſtalt oder
Beſſerungsanſtalt kann nur erfolgen, nac<dem durc< Beſchluß des Vor:
mundſchaft8gerichtes die Begehung der Handlung feſtgeſtellt und die
Unterbringung für zuläſſig erklärt iſt.
S 536. Ein Angeſchuldigter, welHer zu einer Zeit, als er das
zwölfte, aber nicht das acdtzehnte Lebensjahr vollendet batte, eine ſtraſ-
bare Handlung begangen hat, iſt freizutprehen, wenn er bet Begehung
derſelben die zur Kenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Cinſiht nicht
beſaß. In dem Urteile iſt zu beſtimmen, ob der Angeſc<uldigte ſeiner
Familie überwieſen oder in eine Erziehungs: oder Beſſerungsanſtalt ge-
bracht werden ſoll. In der Anſtalt iſt er fo lange zu behalten, als die
der Anſtalt vorgeſeßte Verwaltung8behörde jolches für erforderlich ex:
achtet, jedo<) nicht über das vollendete zwanzigſte Lebensjahr.