Full text: Hamburgische Schulzeitung - 8.1900 (8)

Schule und ein offenes Auge iſt. Wie's einem in der 
Schule zu Mute war, wohl und wehe, das wiſſen alle 
aus Erfahrung; und wer etwa in Beſcheidenheit zurück- 
ſtehen will, weil er nur eine einklaſſige Dorfſchule beſucht 
habe, gerade der iſt uns doppelt willfommen, weil er für 
unſere Sache das Beſte mitbringt, nämlich die Gewöhnung 
an eine einheitlich geführte Gemeinſchaft und den Glauben 
an ſie. Auch das Urteil Kinderloſer und Alleinſtehender, 
wenn ſie anders Volksfreunde ſind, ſoll uns lieb und 
wert fein, weil fie weniger leicht in die Verſuchung 
fommen, einſeitig vom einzelnen Falle aus zu urteilen. 
Wenn man nur von der Meinung laſſen wollte, als hätte 
der Volks8freund exſt dann und nur fo lange mit der 
Schule ſich zu befaſſen, ſolange ex ſchulpflichtige Kinder habe! 
Die Anzeichen einer erfreulichen An- 
näherung zwiſchen Leben und Schule mehren 
ſich. Selbſt die Tageszeitungen bringen in wachſender 
Menge allerlei Schuljachen; leider, wie es die Preſſe zu 
thun pflegt, ohne Namennennung, jo daß eine perſönliche 
Verſtändigung durchweg ausgeſchloſſen iſt. Bei den 
Wahlen zu unſerer Bürgerſchaft iſt eine Schulfrage, 
nämlich die der Einheitsſchule, in den Vordergrund ge- 
zogen, eine Frage, die allerdings für die Volk8gemein- 
ſchaft und das Gemeinwohl von höchſter Bedeutung iſt. 
Ginge nur immer das Verſtändnis neben dem Schlag- 
wort einher! Aber auch die Schule ihrerſeits beginnt 
mehr und mehr dahin einzulenfen, daß fie nicht mehr 
eine entlegene Welt für ſich fein, ſondern den beſten und 
berechtigtſten Forderungen des Lebens genügen will. Sie 
würde fich noch mehr und raſcher dazu entwickeln, wenn 
die Freunde der Schule ihre Teilnahme lebhafter bezeugten 
als bisher. 
Wir | <<häßen nämlich die Bedeutung Der 
Schule unter Mitwirkung der Laien ſehr hoc< 
ein für unjere ſoziale Gntwiklung. Höher als 
alle anderen Stücke unſeres Volksleben38, die der Familie 
ferner ſtehen. Liegt das Bemühen um eine vertiefte 
Bildung für Arm und Reich an ſich ſchon im Herzpunkt 
de3 ſozialen Wohlergehens, ſo hoffen wir von der vechten 
Schule außerdem wichtige Beiträge zur Nusgleichung der 
Klaſſengegenſäze, zur Fürſorge für die wirtſchaftlich 
Schwachen, zur Klärung der Frauenfrage und vieles 
mehr. Es fommt nur darauf an, daß das vielfach vor- 
handene, aber zerſtreute und dadurch oft verfümmerte 
Intereſſes der Wohlmeinenden in ein glücklicheres, gemein- 
ſames Geleiſe gelenkt werde. Denn nicht als Lehranſtalt, 
auch nicht als obrigkeitlih verfügte Einrichtung, am 
wenigſten als bloße Maſſenveranſtaltung wird die Schule 
jene Bedeutung erringen, fondern lediglich foweit ſie 
Gemeinſchaft iſt und von einer Gemeinſchaft getragen 
wird, de8wegen auch zunächſt in ihrer lokalen Beſonderheit 
und im nächſten und kleinſten Bezirk. Hier läßt ſich, 
unter freiwilligem Verzicht der Bevorzugten und durch 
zufriedene38 Vertrauen der ninder günſtig Geſtellten, die 
Fühlung gewinnen, die uns fehlt; hier findet jeder Freund 
der Schule, der für fie Frieden und Freiheit ſucht, ein 
gemeinnüßiges, ihm zuſtändiges Arbeitsfeld. 
Und ſelbſt aus Kreiſen, die diefen Ueber- 
zeugungen nodh fern ſtehen, hoffen wir Ge- 
noſjen zu gewinnen. Nicht jelbſtjüchtig in8gemein 
wollen wir diejenigen ſchelten, die für Erhaltung Der 
Standesſ<hulen, wie ſie heute ſind, eintreten und jede 
Aenderung des Beſtehenden mit Angit verfolgen. Aber 
eins dürfen wir mit allem Ernſt von ihnen verlangen : 
daß fie die Gründe, welche ſie im Intereſſe des Volks- 
wohls und der Sqcule für ihre Anſicht zu haben ver- 
meinen, offen und ausführlich darlegen; dann joll aud) 
ihre gegnerijhe Teilnahme zum Wohl der Schule uns 
willkommen fein, weil ſie die Geſamtauſffaſſung klären 
wird. Desgleichen wollen wir nicht ohne weiteres die- 
jenigen der Bequemlichkeit zeihen, die ſich auf die ſtaat- 
lichen Ordnungen und Prämien verlaſſen und der Mode 
 
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folgend ihre beſondere Pflicht gethan zu haben glauben, 
wenn ſie bei ihren Kindern für obligate Itachhülfe mit 
Geld oder eigener Mühe ſorgen; aber fie mögen denn 
doch bedenfen, ob fie mit jenem läſſigen Vertrauen das 
jelbſtändige Glüd ihrer Kinder anbahnen. Am wenigſten 
aber wollen wir denen grollen, die einen Ueberdruß an 
allem, was Schule heißt, mit ſich ſHhleppen und unſern 
Gruß vorläufig kalt aufnehmen. Wir glauben, ja ſind 
gewiß, daß einen großen Teil der Schuld an dieſer 
Stimmung die Schule ſelbſt hat, wie ſie war und iſt, 
und hoffen unſerfeit8, daß mancher unter jenen EGnt- 
täuſchten und Gleichgiltigen, die gar wie Feinde der 
Schule ausſehen, doch den Wunſch hegt, ſeinen Kindern 
und Kindeskindern eine beſſer? Schul-Zukunft bereiten 
zu helfen, und fich deSwegen troß allem mit uns ans 
Werk macht. 
Mitarbei freilich müſſen wir von den 
Freunden beanſpruchen. E83 geht nicht enders8, 
als daß man einen Blik in das innere Leben der Schule 
thut und fic zu ruhig intereſſiertem Nachdenken ent- 
Ichließt, troß der Haſt des alltäglihen Lebens. Vor 
fünfzig Jahren ſtand es noch anders damit als heute, 
da hatte die Schule noc< viele rege Mitarbeiter aus 
Laienkreiſen. Auch die amtliche Mitwirfung der Bürger, 
die bei uns in Hamburg geſfezlich feſtgelegt iſt, hat inan 
dieſen biSher vorenthalten, und erſt ein neueſter Antrag 
unferer Schulſynode, betreffend Familienvertretung im 
Schulvorſtande, verſucht jene Gedanken wieder zu beleben. 
So müſſen wir denn vorläufig uns begnügen, ander- 
weitige Fühlung zwiſchen Bürgerſtand und Schule her- 
zuſtellen. Neben den in der Großſtadt äußerſt beichränkien 
perſönlichen Beziehungen, neben den Elternabenden, die, 
wo ſie überhaupt Sitte find, nicht allzuhäufig ſtattfinden 
fönnen, bietet fich unjere wöchentlich erſcheinende „Schul: 
zeitung“ zu dieſem Dienſt an, und ſie wird dazu immer 
tüchtiger werden können, wenn recht viele Laien den Grnſt 
Diejer Aufgabe würdigen lernen. Freilich liefert fie nichts 
Pikantes oder auch nur Schöngeiſtiges, was Zugkraft hat, 
ſondern allermeiſt recht Alltägliches und Bekanntes, aber 
doch immer Neues und Wertvolles, weil von erziehlicher 
Liebe und Verſtändnis Getragenes. Und wenn eine 
Familie fich mit Journalen, Kirhenzeitungen, litterariſchen 
und politiſchen Blättern und dgl. beſchäftigt, jollte ſich 
da nicht auch Muße finden für die Beſtrebungen derer, 
die es mit dem heranwachſenden Geſchlecht gut meinen ? 
Die meiſten Aufſäße der „Schulzeitung“ find für denkende 
Laien verſtändlich und von Intereſſe; die Ginladungen 
zu Lehrerverſammlungen, wo man Gäſte gern ſieht, ſind 
Eltern gewiß willfommenz die Beſprechung guter Bücher, 
die freilich noch vervollfommnet werden könnte, iſt jedes- 
mal wertvoll -- und die Haltegebühr gering. Und vor 
allem: es würde doch lehrreich und erſprießlich zugleich 
fein, wenn man fich umjehen wollte, welcherlei Fragen 
denn diejenigen Leute beſchäftigen, denen man ſein Liebſtes, 
ſeine Kinder, auf viele Jahre hin anvertraut. Aber nicht 
bloß halten follten die Freunde ein ſolches Blatt, ſondern 
auch mitarbeiten: Fragen und Bemerkungen zum Beſten 
geben, ja ſich nicht ſcheuen, in längeren Artikeln aus 
ihrem eigenen Schatze Altes und Neues beizutragen, iwie 
denn 3. B. insgemein die Aerzte, die Juriſten und die 
Prediger über eine Menge von Beobachtungen und Uceber- 
legungen verfügen, welche von der größten Vichtigleit für 
die Schule und für die Belehrung von uns Lehrern ſein 
fönnten. Doppelt willkommen aber wird uns jede Er- 
ürterung aus Der Feder nachdenfender Laien ſein, die, 
ohne in den Rahmen eines einzelnen Berufs zu fallen, 
die Volkserziehung im allgemeinen, die Entwieklung des 
Kindes und des Menſchen, der Familie und des Vater- 
landes betrifft. Die Hamburgiſche Schulzeitung hat ja frei- 
lich jon einen Stamm von etwa hundert „Beförderern“, 
denen fie zu Dank verpflichtet iſt. Aber bisSher war doch 
dies Verhältnis noch nicht von der Innigkeit des Inter-
	        
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