Full text: Hamburgische Schulzeitung - 8.1900 (8)

eſſes, das wir für unſere Schule wünſchten; und welche 
Wirkung wäre zu erwarten, wenn das Eis gebrochen 
würde und wir eine Schulzeitung3 - Genoſſenſchaft von 
taujend Freunden neben uns hätten, die nicht nur der 
„Sculzeitung“, ſondern unſerer lieben Schule ſelbſt näher 
zu treten und mit uns zu dienen willens wären ? 
Gin Wort von Auberon Herbert lautet: 
„Wenn wir alle Wünſche von außen her durch eine große 
Staat8maſchinerie beſriedigt bekommen, wenn wir von 
großen Beamtenheeren beſorgt und bewacht werden, welche 
ihrerſeits wieder Sklaven des Syſtems ſind, dem ſie 
dienen, ſo kann uns das nicht höher heben, am leßten 
Ende nicht wirklich fördern. Die rechte Kindererziehung, 
die rechte Fürſorge für das Alter, die rechte Bekämpfung 
unſerer krankhaften Neigungen und Laſter, die rechte 
Befriedigung unſerer Bedürfniſſe, das alles kann erſt in 
dem Maße erreicht werden, wie wir lernen eine Geſell- 
ſhaft freier Menſchen zu werden, die einzeln und in 
freien Vereinigungen nach den beſten Mitteln ſuchen, die 
großen Fragen des Lebens zu löſen.“ 
Dr. 8 Bornemann. 
enerenmeeenher nnen nenen enen 
Sozialpadagogiſche Gedanken. 
Von Har m3-Hummels3büttel. *) 
1. 
Das allgemeine Bildungsziel der Volksſchule. 
Zu einer Zeit, in der der Ruf erſchallt: „Völker Euro- 
pas, wahret eure heiligſten Güter !“ kann es keine dringendere 
Mahnung geben als die, mit Ernſt den Spuren der Wahr- 
heit nachzuforichen in Wiſſenſchaft und Moral, um in <hrijt- 
licher Liebe alle Lebens8gebiete zu geſtalten und 10 auch die 
Erziehung ihrem Jdeale, Chriſtus, immer näher zu führen 
durc< kulturgemäße Erziehung der Jugend. Als die Griechen 
voranſhritten in der Kulturentwidelung, fand nichts eine 
ausgedehntere Pflege als ihr Erziehung8wejen. Soll auch 
hei uns Ordnung, Sitte und Recht ein friedliches Arbeiten 
und ruhigen Genuß aller kulturellen Güter ermöglichen, 19 
muß ſchon die Jugend kennen lernen, was ein rechter Bürger 
zu thun hat, was er ſich und dem Gemeinweſen ſchuldig iſt, 
nämlich vor allem Arbeit. Darum jollte j1<on die 
Jugend dur< Arbeit zur Arbeit erzogen werden 
und Sitte, Ordnung und Re<t aus einer geord- 
neten Verwaltung kennen lernen. Beides kann am 
beſten durch eine geregelte Schulerziehnng geſchehen. Diete 
möglichſt vollfommen auszugeſtalten liegt ja von Berus 
wegen den Lehrern ob im Intereſſe der Veredlung der ihnen 
anvertrauten Jugend. „Der Menſ<heit Würde iſt in eure 
Hand gegeben, bewahret ſie!“ Dies Wort, das Schiller den 
Frauen zuruft, gilt in gleichem Maße auc< uns Lehrern. 
Ja, es iſt gerade wie für uns geſchaffen als Leitſtern, da 
unſere Aufgabe, zumal in der Volksſchule, doc< keine ge- 
vingere iſt als die, die im Vaterhauſe meiſt durch die Mutter 
begonnene und gepflegte Erziehung weiter zu führen und ſie, 
ſoweit e8 durch den Unterricht geſ<ehen kann, womöglich 
zum Abſchluß zu bringen. Schon bei individueller Erziehung 
iſt e8 als Ausfluß des elterlichen Intereſſes und der Eltern- 
liebe ein Yelbſtverſtändliches Ziel, das Kind dahin zu bringen, 
daß es an dem Genuß möglichſt aller Segnungen der Kultur 
Anteil nehmen kaun. Daher hat die Volks] <ule 
durch möglichſt rationelle Einführung in die 
Kultur der Gegenwart allgemeine Men)]<enbil: 
dung zu erſtreben. Dieſe kann freilich keineSwegs eine 
gleichmäßige fein; denn die Abhängigkeit des einen vom 
andern iſt nicht gleichmäßig, heute no; nicht und früher 
noc< weniger. Doch iſt die Anforderung des Staates an 
*) Die Anregung zu den nachfolgenden Ausführungen gab das im 
Verlage von E. Wunderlich in Leipzig erſchienene Buch von A. Lüer 
„Volksſchulerziehung im Zeitalter der Sozialreform“ ; das Buch jei den 
Lejern der Hamburgiſ<en Sdulzeitung beſtens empfohlen. 
Der Verfaſſer. 
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die Erziehung des Arbeiterſtandes eine größere, nicht bloß 
zur Vaterlandsverteidigung, jondern vor allem, um das. zu 
leiſten, was der Fortſchritt der Technik erfordert, 
dann auch, um der moraliſchen und intellektuellen 
Hebung möglichſt zu entſprechen, die in der Beru- 
fung zur teilweiſen Mitverwaltung der nationalen 
Angelegenheiten liegt. Hier erhöht und vermehrt fich 
das Bildungsziel mit den Anforderungen der Gegenwart an 
die einzelnen Stände. Eine gemeinſame Elementarſc<hule 
könnte die Klaſſenunterſchiede nicht beſeitigen, kaum mildern.*) 
Damit iſt freilich nicht die Einrichtung der ſog. Vorſchulen 
gerechtfertigt; aber in verſchiedenen Abſtufungen wird ſich das 
allgemeine Bildungsziel , ſelbſ;t der Volksſchule, künftighin 
ebenſowohl wie gegenwärtig auszugeſtalten juchen, troß der 
Ginheitlichkeit der Grundlage: allgemeine Menſ<enbil- 
dung durc<4 rationelle Einführung in die Kultur 
der Gegenwart. Dieſes Bildung3ziel möglich!t volkommen 
auszuführen, liegt im Intereſſe des Staates, der bei ratio- 
neller Vildung möglicht aller ſeiner Bürger mehr Glü> und 
Wohlergehen für den einzelnen gewährleiſten kann, als dann, 
wenn die Erziehung nicht imſtande iſt, ſie zu wirtſchaftlich 
tüchtigen und moraliſc<h reifen Kulturmenichen zu machen. 
Denn Glüdſeligkeit, darin hat der Philoſoph Froh)<ammer 
recht, iſt von jeher das Ziel des Lebens gewejen, nur kann 
ſie nicht Erziehungsziel ſein, am allerwenigſten der Volks- 
ſchule, da jede, auch die individuelle Erziehung zunächſt dem 
Zwede des Staates gerecht werden muß, durch den allein 
erſt Glücfeligkeit ermöglicht werden kann. Dadber kann für 
die Schulerziehung zunächſt nur das Ziel der ſozialen 
Kultur in Betracht kommen. Je mehr jeder einzelne um 
ſeine Griſtenz kämpfen muß, deſto ſchwerer jind für ihn die 
Segnungen der Kultur zugänglich. Dat aber dem „kleinen 
Manne“ das Beſtehen dieſes Kampfes am ſc<werſten wird, 
iſt ſelbſtverſtändlich. Die Fähigkeit dazu muß er ſich um 
jeden Preis zu erwerben ſuchen, und die Grundlage dafür 
muß ihm durch gute Schulbildung angeeignet werden. Diete 
muß demnaD die allgemeinen Vorbedingungen 
iI<affen, daß der Menſch im Leben die Stelle aus- 
zufüllen vermag, zu welcher ihn nicht bloß Neigung 
treibt, jondern die für ihn auc< dur< Fähigleit und 
äußere Mittel bedingt iſt. Kann er ſich infolge einer 
Schulbildung Anteil verſchaffen an den ihm dur<* ijeine Le- 
bensftellung zugänglichen Kultur-Errungenſ<aften, jo iſt jei- 
nem Bedürfnis Genüge geſchehen, und die von ihm dereint!t 
beſuchte VolkSſchule hat ipr Bildungsziel im aügemeinen als 
erreicht anzuſehen. 
H. 
Der Religionsunterricht. 
Prüfen wir nun die Lehrgegenſtände der Volksſchule 
und ſuchen wir, ob ihr Lehrinhalt und namentliH ihr 
Betrieb dem gefundenen Volksſchulziele auch ent)pricht. 
Beſteht dieſes in Förderung der allgemeinen Menſc<enbildung 
dur< rationelle Einführung in die Kultur der Gegenwart, 
ſo fragt es ſich jezt, was kann und foll für die 
Erziehung diee3 Zieles der ReligionsSunterricht 
wirken? =- Die Religion oder der Kultus iſt eine Ein-= 
richtung aus uralter Zeit. Wie die Geſchichte zeigt, war 
im KindeZalter der Kulturvölker das ganze Leben ein relt- 
giöſes Leben. Die Religion war alle8; fie umfaßte das 
Leben in Sitte, Ordnung und Re<ht, alfo die ganze Ver- 
waltung. Auch die Kunſt, weil es nur eine religiöe Kunſt 
gab, wie auch das wirtſchaftliche Leben bewegte ſi) im 
Rahmen der Religion. Aber ſeit den Tagen von Leſſing, 
Siller und Goethe, von Kant und Fichte hat der Zeitgeiſt 
der Religion eine Stelle angewieſen, die der im Altertum 
völlig entgegengeſeßt iſt. War der antike Kultus Selbſtzwe& 
des Lebens, dem ſowohl das wirtſchaftliche wie das mora 
liſche und das äſthetiſche Leben untergeordnet war, 1o 
ſoll heute die Religion dem ganzen Kulturleben 
amts atntageetee 
*. Da ſind wir anderer Anſicht. Die Scriftleitung.
	        
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