Full text: Hamburgische Schulzeitung - 8.1900 (8)

Zum Schluß empfiehlt der Redner für den Fall, daß 
die Verſammlung ſich nicht zur Annahme ſeines Antrages 
verſiehen könne, folgenden Eventualantrag: „„Die Schul- 
jynode erjucht die Oberſ<ulbehörde, an einigen 
Volksſ<ulen verſuch8weiſe eine möglichſt weit- 
gehende Ginſj<hränkung der häuslichen Arbeiten zu 
veranlaſfen.“ 
Herr Junge empfiehlt als Berichterſtatter des Aus- 
jhujſes die Ablehnung der Anträge Möller, ohne damit 
die mancherlei Auswüchſe auf dem Gebiete der HauSarbeiten 
rechtfertigen zu wollen. Aber die Hausarbeiten ſind nots- 
wendig als ein Bindeglied zwiſchen Schule und Haus; ſie 
halten das Intereſſe der Eltern für die Schulthätigkeit wach ; 
ſie zeigen dem Hauſe, was in der Schule getrieben wird. 
Ohne HauSarbeiten wird man auf ein ſicheres Einprägen 
religiöſer und realiſtiſcher Stoffe ſowie der Gedichte oft 
verzichten müſſen ; ein ſicheres Wiſſen aber iſt die unbedingt 
notwendige Grundlage für allgemeine Auffaſſungen, für den 
Überbli> über ein Ganzes, alſo am leßten Ende für die 
Weltanſchauung. Der Wegfall der Hausarbeiten muß not- 
wendigerweije zu einer Herabſezung der Schulziele führen ; 
nach außen hin wird dieſe zuerſt in der Form empfunden 
werden, daß die Handſchrift der Schüler ſchlechter wird. 
Herr Bloh weiſt auf die geſundheitlichen Schädigungen 
hin, die kleinen ſowie ſchwächlichen Kindern durch die 
HauSarbeiten zugefügt werden, zumal die Schulzeit in Ham- 
burg j<hon ungebührli<ß lang iſt. In Einzelfällen ſind 
größere Mädchen nachts bis 10, 11, ſogar bi8 12 Uhr mit 
Scularbeiten beſchäftigt geweſen; ihnen ſollte Zeit gelaſſen 
werden, damit fie der Mutter im Hauſe zur Hand gehen 
könnten. Der Redner ſtellt folgenge Anträge: 
1) Die häuslichen Arbeiten ſind in Klaſſe 6 
und 7 abzuſchaffen. 
2) An Scultagen mit jfechsſtündiger Scul- 
zeit, an Sonntagen und in den Ferien dür- 
ſen HauSarbeiten nicht verlangt werden. 
3) Auf die Körperbeſchaffenheit und geiſtige 
Befähigung, ſowie auf die häuslichen Ver- 
hältnijje der Kinder iſt bei der Anforderung 
an den häuslichen Fleiß gebührend Rüd>- 
jicht zu nehmen. 
Herr Prof. Hahn macht darauf aufmerkſam, daß der 
Antrag ſic nur auf die Volksſc<hule beziehen könne; den 
höheren Schülern jind beſtimmte Lehrziele geſte>t, die ſich 
ohne HauZarbeiten nicht erreichen laſſen. Zu bedenken iſt, 
ob der Wegfall aller HauZarbeiten nicht zu einer über- 
mäßigen gewerblichen AuSbeutung der Kinder führe. 
Herr Frie führt aus, daß die Klagen der Herren 
Möller und Bloh ſich zum größten Teile nur gegen die 
Auswüchſe auf dem in Rede ſtehenden Gebiete richten. Der 
Lehrer iſt durc<aus nicht verpflichtet, unverſtändig zu ſtrafen, 
wie er andrerjeits nicht bloß das Recht ſondern auch die 
Pflicht hat, ſchwächliche und kränkliche Kinder zu ſchonen 
und die häuslichen Verhältniſſe zu berückſichtigen bei der 
Beurteilung der HauSarbeiten. Da3 Auswendiglernen iſt 
von Wert für die Sprachgewandtheit ſowie als Gedächtni8- 
übung. Die geſtellten Anträge beſchränken in ganz unnötiger 
Weiſe die Freiheit des Lehrer3 und ſind deShalb abzulehnen. 
Herr Wolgaſt ſieht als Kernpunkt der Beſprechung die 
Frage an: Sind die HauSarbeiten imſtande, die Selbſtthätig- 
keit zu fördern ? Dieſe Frage iſt mit „Nein“ zu beantworten. 
Das Intereſje wird dur&* Zwang ertötet ; jo erdroſſeln die 
HauSarbeiten den Trieb zur Selbſtthätigkeit ; der Unterricht 
iſt 10 zu geſtalten, daß die Kinder die Schularbeit zu Hauſe 
freiwillig fortjeßen. Die Durchführung de8 Antrages Möller 
würde eme Grenze des Schulzwanges ſchaffen, der heute 
thatſächli< deren nicht habe. 
Es folgen das Schlußwort des Antragſteller8, wie das 
des Vertreters des Ausſ<uſſes. Die Abſtimmung ergiebt Ab- 
lehnung de8 Hauptantrages von Möller mit 73 gegen 
44 Stimmen; die Anträge Bioh ſowie der Unterantraz 
Möller werdon angenommen. 
46 
 
 
Herr Hardkop-Langenhorn fordert, daß die nächſte 
Synodalſizung ſo feitgeſezt werde, daß e8 auch den Land- 
ſc<ullehrern möglich ſei ihr beizuwohnen; e3 iſt der großen 
Mehrzahl diesmal thatſächlich unmöglich geweſen, von ihrem 
geſeßlich feſtſtehenden Rechte Gebrauch zu machen. Der 
Vorſißende jagt Berücſichtigung dieſes Wunſche8 zu und 
ſ<ließt die Verſammlung gegen 9 Uhr. 
Scülervorſtellung im Stadttheater. Am letten 
Sonnabend wurden Hebbel3 Nibelungen (1. u. 2. Teil) zum 
erſten Male den Schülern unſerer Volksſchulen vorgeſührt. 
Die Künſtler widmeten ſich ihrer Aufgabe mit voller Hin- 
gabe; die Schüler dankten beſonder3 nach den letzten Akten 
und am Schluß mit rauſchendem Beifall. 
Wir haben uns als Pädagogen die Frage vorzulegen: 
Sind die Nibelungen ein für Schüler paſſendes 
Stü>? Die Vorſtellung bat uns in unſerer beim Leſen des 
Stü>s ſchon gewonnenen Überzeugung beſtärkt, daß die Wahl 
nicht als eine glü>liche bezeichnet werden kann. Der tragiſche 
Konflikt wird den Kindern in der Hauptſache unverſtändlich 
bleiben. Sie werden nicht einſehen, daß Brunhilde tödlich 
beleidigt iſt und ein gejunder pädagogijcher Takt wird den 
Lehrer auch davor bewahren, den Kindern das an Brünhilde 
verübte Unrecht zum Angelpunkt der Behandlung zu machen, 
wie e3s den Abſichten de3 Dichter38 doch entſprechen würde. 
Noc< weniger als zur Vorführung auf der Bühne eignet ſich 
das Stü> zum Lejen für Kinder. Das Stü> enthält eine 
Anzahl von Stellen, bei denen man geradezu wünjc<hen muß, 
daß ſie von den Kindern nicht verſtanden werden ; das kann 
aber nimmermehr einem Leſeſtoff zur Empfehlung gereichen. 
Die den Schulen gelieferte Hendel'tſ<e Ausgabe iſt unverkürzt; 
es dürfte auch ſ<wer ſein, ſie für Kinder zurechtzuſtußen, denn 
nimmt man dem Stü> das erotiſche Element, ſo nimmt man 
ihm ſeinen Kern. Weil aber der Kern de38 Stückes erotiſcher 
Natur iſt, de3halb iſt es keine Speiſe für Kinder.*) Wir möchten 
für die Vorſtellungen des nächſten Jahres an Stelle der 
Nibelungen Uhlands Ernſt v. Schwaben neben dem Tell 
empfehlen. (Vergl. in Nr. 33, Jahrgang 1898 der“ Hamb. 
Schulzeitung den Auſfjat von H. Nibbe: Welche Anforder- 
ungen jind an ein Drama zu ſtellen, das vor Kindern auf- 
geführt werden Jol? | 
Die Verſammlung von Freunden der Jugend- 
ſchrifſtenreform, von der Jugendſchriften-Kommiſſion auf 
den 29. Januar nac< dem Hammonia-Geſellſ<aft3haufe be- 
rufen, war von etwa 30 Perſonen, Herren und Damen, 
beju<t. Der Vorſitzende, Herr v. Borſtel, wies auf die 
Bedeutung hin, die ein Verzeichnis empfehlen3werten Leſe- 
ſtoffes für die ſdhultentlajſjene Jugend haben würde. Die 
Auwahl iſt aus den bekannten Verzeichniſſen von Hendel, 
Reclam und Mever zu treffen, damit die jungen Leute in 
der Lage ſind, die ihnen empfohlenen Bücher auch zu kaufen. 
Auf Anregung des Vorſitzenden findet ein kurzer Meinungs8- 
austau]<> darüber ſtatt, ob Überſezungen und Anthologien 
l(yrſcher Dichtungen bei der Aus8wahl zu berücjichtigen ſind, 
wie weit man in der Cmpfehlung belehrender Shriſten gehen 
jol und wie weit man ſich außer von litterariſchen Rüc>- 
n<ten auch von pädagogiſchen beſtimmen laſſen 104. Der 
Vorſikende ſ<lägt vor, die JFeſtſtelung de3 Verzeichniſſes 
einer Kommiſſion von 153 Mitgliedern zu überlaſſen ; ſieben 
davon joll die Jugend] <riften-Kommiſſion aus ihrer Mitte 
wählen, ac<t die Verſammlung. Der Vorſchlag wurde an- 
genommen und der Vorſitzende forderte auf zu Vorj<lägen 
für die jofort zu wählenden acht Mitglieder, die nicht der 
Jugend) hriften-Kommiſſion angehören ſollen. Herr Wolgaſt, 
der ja unſern Leſern als eins der hervorragendſten Mit- 
gliedern dex Jugendſchrifiten-Kommiüſſion bekannt ſein dürfte, 
Ihlug jofort ac<t Perſonen vor. Es folgten ſodann noch 
Einzelvor|chläge von andern Anweſenden. Gewählt wurden 
die Herren Dr. Bornemann (mit 10 Stimmen), IJ. Ever3 (10), 
*) Aumerkung für Herrn I. S. Dieſe Ausführungen ſint 
kein Scheiterhaufen für Hebbel; Erwägungen wie die vorſtehenden nennt 
nan pädagogiſche; ne ſnd in erſter Linie für Sachverſtändige beſtimmt. 
Die lÜtterariſche Haſfelſtaude 11. 
PAS! Mie 2.25
	        
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