Full text: Hamburgische Schulzeitung - 8.1900 (8)

 
 
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Eine Wochenſchrift für die Angelegenheiten des Unterrichts, 
der Erziehung und des LCehrerſtandes. 
Schriftleitung: 
U. Struve, Hamburg-Eilbec, 
Jungmannſtr. 21, p. 
BerauSsagegeben 
von Lehrern und Lehrerinnen. 
Kommiſſionär HB. Keßler, Leipzig, Seeburagjſtr. 40. 
Verlag: 
Schröder & Jeve, Hamburg, 
kl. Reichenſtr. 9-11. Fſpr. 2080. 
 
Die Hamburgiſche Schulzeitung erſcheint jeden Mittwoch in einem Bogen Großquartformat zum Preiſe von 1 Mark 50 Pfg. für das Vierteljahr. 
Beilage: Die monatlich erſcheinende Jugendſchriften-Warte, Schriftleiter H. Wolgaſt. Beſtellungen nehmen außer den Verlegern, alle 
Buchhandlungen, Zeitungsgeſchäfte und Poſtämter an. -- Beiträge ſind an die Shrifileitung, Bücher zur Beſprechung an Herrn Hauptlehrer Martens, 
Hamburg-St. Georg, Baumeiſterſtr. 8, zu ſenden. Unzeigen werden für die Petitzeile von 65 mm Breite mit 20 Pfg., Beilagen nach Übereinkunft 
berechnet. -- Poſt- Liſte Ur. 3188. = Klagen über unpünktliche Zuſtellung ſind gefl. ſofort dem Derlage mitzuteilen. 
 
 
 
8. Jahrgang. 
Sitittwoch, den 21. Februar 1900. 
Lr. 8. 
 
 
Inhalt: Auswahl und Verknüpfung der kulturgeſchichtlichen Stoffe 
im Geſchichtsunterricht. Vortrag von A. Böe. -- Aus Hamburg. =- 
Pädagogiſche Rundſc<au. -- Verein8-Anzeiger. '-- Briefkaſten. 
 
AusSwahl und Verknüpfung 
der fulturgeſchichtlichen Stoſſe im 
Geſchichtöunterricht. 
Vortrag von A. Böe, gehalten im Shulwiſſen|<haftlichen BildungSverein 
am 2. Dezember 1899. 
Auf dem Gebiete der Methodik de3 Geſchicht3unterrichts 
hat ſich in den letzten Jahrzehnten eine bedeutjame Wand- 
lung vollzogen. Durch die Erweiterung der Zwecbeſtimmung 
dieſes UnterrichtSfaches ſind für Auswahl und Behandlung 
des Stoſſe3 neue Normen gegeben. Während früher bei der 
Aufſtellung methodiſcher Grundſäße ausſchließli<h der ethij<e 
Zwe> der Geſchichte maßgebend war, iſt in jüngſter Zeit der 
praktiſche Zwe> mehr in Betracht gezogen worden. 
Beide Zwede ſind im Weſen der Ge]<hichte begründet. 
Die ideale Seite der Geſchicht8wiſſenic<aft iſt geeignet, eine 
Reihe ethiſcher Aufgaben von individueller und 1ozialer 
Bedeutung zu löſen. Die Thaten einzelner hiſtoriſcher Per- 
ſönlichfeiten wie des ganzen Volke3, die treibenden Charakter- 
eigenichaften und die au8 ihnen entſpringenden Tugenden 
ſpornen zur Nacheiferung an. Die Geſchichte bietet alſo das 
vorbildliche Material zur We>ung und Pflege des Mutes, 
der Thatkraft, der Treue, der Selbſtverleugnung ; ſie erzeugt 
Begeiſterung für Großes und Gutes und ſc<affſt dadurch die- 
jenige Stimmung der Seele, aus welcher fittliches Wollen 
und Handeln hervorgeht. Dieſe ethiſche Seite der Gej<ichte 
darf der Geſchicht3unterricht nicht unbenutzt laſſen, wenn er 
die Berechtigung ſeiner Stellung innerhalb de3 Lehrplans der 
Erziehungsſchule behalten ſol. Freilich iſt der ethiſche Zwe 
de3 Geſchicht3Zunterri<hts8 damit nicht erſchöpft. Neben der 
perſönlichen Charakterbildung ſol in dem Schüler der ge- 
Ihi<tliche Sinn erzeugt werden, der die Grundlage der 
Liebe zur Heimat und zum Vaterlande iſt. Zn dieſer Auſf- 
gabe gipfelt nach dem Lehrplan für die hamburgiſchen Volk3- 
ſchulen das geſamte formale Lehrziel des Geſchicht3unterrichts. 
Aber bei der Bemühung, dieſen Zwe> zu erreichen, wurde 
früher der Geſicht8punkt zu wenig beachtet, daß die wurzel- 
echte Vaterlandsliebe nicht bloß dur< perſönliche Vorbild- 
lichkeit zu weden iſt, ſondern in ihrer Tiefe und Kraft ge- 
fördert werden muß dur<; das anzubahnende Verſtändnis der 
geſchichtlich gewordenen Erſc<einungen und Einrichtungen des 
Vaterlandes. Nur auf Grund der Kenntnis von der hiſto- 
 
riſchen Entwiälung unſerer heutigen Zuſtände, die mehr oder 
weniger mit ihren Wurzelfaſern bis in die Vergangenheit 
hineinreichen, kann in dem heranwachſenden Geſc<lecht jenes 
unauslö] <liche Gefühl der Pietät für das von den Vätern 
Ererbte und durc< die Arbeit der Jahrhunderte Gewordene 
entſtehen, das einer der weſentlichſten Beſtandteile der Vater- 
landsliebe iſt. Sobald dieſer Geſichtöpunkt im Ge)<icht3- 
unterricht in erhöhtem Maße zur Geltung gelangte, mußte 
auch jein praktiſcher Zwes> mehr zu jeinem Rechte kommen, 
der eben darin beruht, daß der Schüler beſähigt wird, die 
wichtigſten Verhältniſſe im gegenwärtigen Staat38- und Volk3- 
leben zu verſtehen. Wenn nämlich der Geſchichtzunterricht 
dem Schüler zeigt, wie aas der Vergangenheit dic Gegenwart 
geworden ijt; wenn er ihm an den Erſ<einungsformen von 
der Vorzeit bis zur Gegenwart den gewaltigen Fortſchritt 
veranſchaulicht, der auf allen Gebieten de3 VolkSslebens ſich 
vollzogen hat: dann wird nicht allein die patriotiſche Ge- 
ſinnung gepflegt, ſondern der Schüler wird zugleich nach 
Maßgabe ſeiner Kraft darauf vorbereitet, ſeine zukünftige 
Stellung als Staats8bürger mit der nötigen Einſcht ausfüllen 
und der WeiterentwiFslung feines Vaterlandes in bewußter 
Weiſe dienen zu können. 
Dieſe doppelte Aufgabe kann der Geſchichtzunterricht 
nicht erreichen, wenn er jich bloß darauf beſchränkt, Lebenz- 
bilder geſchichtlicher Perſönlichkeiten vorzuführen, oder wenn 
er ſich ausſchließlih mit den äußeren Schidjalen des 
Volkes beſchäftigt. Soll der Schüler erkennen, daß die Se- 
genwart auf den Schultern der Vorzeit ruht; joll er von 
der Vergangenheit aus die Aufgaben der Zukunft verſtehen 
lernen und mit den Mitteln und Wegen bekannt werden, 
durch welche dieſe Aufgaben gelöſt werden können: dann 
müſen alle Faktoren im Geſchicht3unterricht ihre Berüc- 
ſichtigung finden, welche durc< ihr Zuſammenwirken unſer 
veutiges Kulturleben erzeugt haben; der Schüler muß, wie 
es in dem Lehrplan unſerer Volksſchulen beißt, einen Gin- 
bli> in die Entwiälung unſeres Volkes erhalten. 
Au8 der Würdigung dieſes Grundſat23 ergiebt n1< 
notwendigerweiſe die Folgerung, der Kulturgeſchichte im |&ul- 
mäßigen Geſchicht3unterricht einen hervorragenden Plaß an- 
zuweiſen. Wenn das Werden und Wachſen des Volkes 
gezeigt werden foll, kann es ſich nicht nur um die Entwi- 
lungsreihen handeln, die gemeiniglich als politiſche be- 
zeichnet werden, und die ſich vorzug3weiſe aus der Thätigleit 
der Vertretung des Geſamtwillens ergeben, ſei es in Bezieh- 
ung auf die inneren Verhältniſſe oder das Verhältnis des 
Staates zu feinen Nachbarn. Es kommen vielmehr auch 
diejenigen Entwi>älungsreihen in Betracht, die, wenn auch in 
Wechjelwirkung mit den Geſamtverhältniſjen, aus der privaten 
Thätigkeit des Volkes zuſammenfließen , ſei e8 in bezug auf
	        
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