nicht ebenfalls in hohem Maße da3 Bedürfnis, das niedere
Volk ganz zu verſtehen? Zſt nicht der Unterſchied zwiſchen
der Denkweiſe eine8 Arbeiter8 und eine8 Großkaufmannes
viel größer als zwiſchen der ihrer Kinder? Was uns recht
iſt, iſt andern billig. Überdie3 ſtreben wir ja der allgemeinen
Volks8ſchule zu, die die Kinder aller Volkskreiſe zum Elemen-
tarunterricht vereinigen foll, und da wären doc<h auch Leute
ganz angebracht, die den beſſer geſtellten Volksſchichten
entſtammen. Alſo freie Bahn für die fähigen Köpfe aus
den ärmeren Ständen, frei die Bahn nac< allen Seiten hin!
Ausbildung der Befähigten auf Staatskoſten, dieſe Forderung
liegt im Intereſſe des Gemeinwohl3; wir freuen un3, daß
ſie in Bezug auf die Volksſchullehrerbildung zum großen
Teil erfüllt wird, aber ſie muß allgemein erfüllt werden,
wenn man geſunde Zuſtände ſchaffen will.
Der Ausſc<hußbericht weiſt ferner darauf hin, daß die
Hälfte der hieſigen Volks8ſc<hullehrer auf Koſten anderer
Staaten ausgebildet werde. Werden nicht alle akademiſch
gebildeten Lehrer, alle Arzte und alle Prediger Hamburg3
auf Koſten anderer Staaten ausgebildet ? Sind denn anderer-
ſeit3 preußiſche und medlenburgiſc<e Schüler von Hamburg3
Schulen, von ſeinen Werkſtätten und Kontoren ausgeſchloſſen ?
Deutſ<land iſt do<; nicht mehr Ausland, mit dem man
Zug um Zug rechtet, dem man jeden Pfennig ankreidet !
Wir wollen den biöher genannten Gründen nicht jede Be-
rechtigung abſprechen ; für uns aber kann nicht die Rüdſicht
auf einige junge Leute, die gern Lehrer werden mödten,
entſcheidend ſein, auch nicht die auf den Geldbeutel anderer
deutſchen Staaten, ſondern einzig allein die auf die ham-
burgiſ<e Volk3ſc<hule. Und da weiſt der Au3ſchuß ganz
richtig darauf hin, daß durch die von aus8wärts8 herbei-
gezogenen Lehrkräfte die Vielſeitigkeit der Bildung und des
Erfahrungskreiſe3 der Lehrerſchaft günſtig beeinflußt wird.
Denken wir uns alle hamburgiſchen Lehrer hierort3 au3-
gebildet: Alle haben die achtſtufige Volkſchule bejucht und
das ſec<sſtufige Seminar; alle haben während der für ihre
Entwi&lung maßgebenden Jahre zu Füßen derſelben Lehrer
geſeſſen, die fie um ſo ſtärker und nachhaltiger beeinflußt
haben, je tüchtiger ſie (die Seminarlehrer nämlich) ſind, und
alle ſind Großſtädter, und zwar Hamburger. Liegt da nicht
die Gefahr ſehr nahe, daß die Bildung einſeitig wird, daß
bald Fauſt's Wort nachgelebt wird: Am beſten iſt's, wenn
ihr nur einen hört und auf de3 Meiſters Worte ſchwört.
Wie ſollen neue pädagogiſc<e Gedanken ander3 als durc<
Zufall Einlaß finden, fal38 ſie abjeit3 von dem Wege
liegen, den der Meiſter den jungen Leuten gewieſen hat;
und wie ſchnel würden ſie in der überwältigenden Flut der
vielen in gleichem Sinne Gebildeten untergehen müſſen! Wo
bleibt der anregende Meinung3austauj?;; der nach ver-
ſchiedenen Methoden Unterrichteten, in verſchiedenem Geiſt
Erzogenen! Was einem nie beſtritten wird, hält man für
unbedingt richtig ; ein Zuſtand der Erſtarrung und der Er-
ſchlaffung in der Lehrerſchaft würde die Folge einer ſolchen
ſtreng einheitlichen Ausbildung ſein. Auch der Erfahrungskreis
der Lehrerſchaft würde ſich in bedauerlicher Weiſe verengen.
Welcher geborene Hamburger hat denn einen richtigen Be-
griff vom Kleinſtadt=-, vom Landleben ? Wer kennt das Leben
de3 Gebirg8lande3, der Bergwerk3gegend, der Marſch und
der Heide? Auf Ferienreiſen ſieht man Berge und Denl-
mäler und verkehrt mit Kellnern und Scaſſnern, und
erwirbt ſich, wollte man nach dem urteilen, was man ſo an
der Oberfläche findet, grundfaliche Begriſſe vom Leben des
Volkes. Will man da8 kennen, ſo muß man es eben mit-
gelebt haben. Und auf ſ<ultehniſ<em Gebiete: Welcher
hamburgiſche Lehrer kennt denn no<; aus Erfahrung die
Vorteile und Nachteile einer einklaſſigen oder andern wenig
gegliederten Schule? Wem von ihnen liefern fremde Sc<ul-
verhältniſte einen Maßſtab, um daran die heimiſchen zu
meſſen? Wer kann aus eigener Erfahrung über den gemein-
ſchaftlichen Unterricht beider Geſchlechter urteilen? Wo in
aller Welt wäre dann ein Lehrerkollegium zu finden
wie in Hamburg? Nirgends. Keine Kleinſtadt hat nur
Lehrer, die im Drte geboren ſind, von der Großſtadt ganz
zu ſ<weigen. Nein, im Jntereſſe der Lehrerſchaft und der
Volksſchule iſt die Beibehaltung des bisherigen Zuſtandes zu
wünſchen. - |
Hamburg braucht Lehrkräfte von auswärt8, wie
ihm andererſeit8 auc< die geborenen Hamburger unentbehrlich
ſind. In jedem Kollegium ſollten ſie vertreten ſein, die
ehemals Hamburger Jungen waren, die das Leben und
Treiben der Großſtadtjugend aus dem ff kennen, die ſich in
die Denkweiſe de8 Hamburger Arbeiter3, des Hamburger
Bürgers hineinverſezen können. Auch noc aus einem
anderen Grunde ſind die Hamburger ein notwendiger Beſtand=
teil der Lehrerſchaft; dem hieſigen Seminar arbeitet eine
achtſtufige Volksſchule vor; das Seminar ſteät ſich weitere
Ziele, al3 die andern deutſchen es thun können; die Groß-
ſtadt bietet viele Fortbildungsgelegenheiten , die ander3wo
fehlen ; der junge Hamburger Lehrer wird aljo, gleiche Fähig-
keit und gleichen Fleiß vorausgeſeßt, dem von auswärts
Kommenden in wiſſenſchaftlicher Beziehung meiſt überlegen
ſein, und wird ſo anregend und fördernd auf ihn einwirken können,
während er von jenem vielleicht in Bezug auf Methode und
DiSsziplin lernen kann; denn eine Schulung, wie ſie die ein-
tlaſſige Dorfſchule in dieſer Hinſicht jo manchem geboten,
giebt'3 nur einmal. Jm Intereſſe der Schule aljo müjſen
wir uns gegen die Errichtung eines 2. Lehrerfeminar3 aus-
ſprechen, das den Zwe> hat, die Volksſ<hullehrerſchaft allein
aus Hamburgern beſtehen zu laſſen. Daß dies zweite Semi-
nar dieſen Zwe hat, geht deutlich genug aus der Begründung
des Ausſchuſſe3 hervor; daß es alle AuSjicht hat, jeinen
Zwe zu erfüllen, beweiſen die dem Ausſchußberichte bei-
gegebenen Zahlen; darnac<ßg ſind in den 11 Jahren von
1888---1898 außer 344 hamburgiſchen Seminariſten 386
auswärtige angeſtellt; 35 Seminariſten p. 3. zu liefern iſt
ein zweites Seminar leicht imſtande. Außer den 730
männlichen Lehrkräften ſind in dieſem elfjährigen Zeitraum
allerding8 612 weibliche angeſtellt. Selbſt wenn man mit
dieſer unverhältniSmäßigen Bevorzugung des weiblichen Ge-
ſchle<t38 aufhören ſollte, ſo würde der Bedarf an Lehrern
von auswärts bald ein ſo geringer werden, daß „die Viel-
ſeitigkeit der Bildung und de3 Erfahrungskreiſes der Lehrer-
kollegien“ dur< ſie kaum no< beeinflußt werden könnte.
Der Antrag Beit auf Errichtung einer ſtaatlichen höheren
Mädchenſchule iſt von der Bürgerſchaft abgelehnt. Wer
unſere hamburgiſchen Verhältniſſe kennt, wird daraus nicht
den Schluß ziehen, daß die Sache damit endgültig erledigt
iſt. Der Antrag wird ſicherlich wiederkommen ; denn die
Veranlaſſung zu demſelben iſt geblieben. Der Ausgang3=
vunkt war bekanntlicß der Umſtand, daß einige Privatſchul-
vorſteherinnen jüdiſG<e Mädchen zurüFgewieſen haben, nur
aus dem Grunde, weil ſie eben Züdinnen waren; die
Eltern der deutſchen, evangeliſ<en Schülerinnen hatten das
verlangt. Zweifellos waren die Eltern und Schulvorſteherinnen
in ihrem Rechte; denn Privatſchulen aründet man ja doh,
um private Wünſche erfüllt zu fehen; ebenſo zweiſſello3 iſt
das Recht jüdiſ<er Eltern, ſich über die ZurüFweiſung zu
beklagen, jo lange das in angemeſſener Form geſchieht, wie
da3 in Hamburg thatjächlich der Fall war. (In der Berliner
Stadtverordnetenverſammlung führten entſprechende Fälle zu
einer wütenden Hetze gegen die Schulvorſteherinnen, denen
u. a. mit Konzeſſion3entziehung gedroht wurde.) Dieſe den
Antrag Beit veranlaſſende Sachlage genügte allein natürlich
nicht, die Forderung einer ſtaatlichen höheren Mädchenſchule
zu ſtüßen, da e3 den Juden ja nirgend8 verwehrt iſt, jich
eigene höhere Töchterſchulen zu gründen und da den Unbe-
mittelten die Volk8<hulen offen ſtehen. Dieſer Anin<<t haben
ſiß auß die Befürworter der Anträge ni<t ver-
Ihließen können, wie unſere Leſer aus den Worten
des Dr. Wolfſon (No. 10 der Hamb. Sulz.
1899) in der Bürgerſchaft erjehen können. JZImmer-
hin iſt es nicht ohne Wert, bei Behandlung dieſer
Frage ihrer Herkunft eingedenk zu bleiben, dem Beiſpiel
des Erzbiſchofs Willegis von Mainz folgend, der,