Sein Purpur gleitet, gleitet, gleitet,
Und der erſte Bettler ſteht bekleidet.
Auch das „Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!“ kann ich troß
der richtigen Anmerkung, daß hier „Gia“ nicht etwa „Eia
popeia !“ bedeutet, nicht für ein beſonders glückliches poetiſches
Requiſit erachten. =- Das „fallende Laub“ bei Mühler ſtört
mich weniger als meinen Herrn Gegner, wenngleich ohne
Frage feine Bäume im Dom wachſen. Wir haben es hier
mit einer ſprichwörtlichen Redensart zu thun, die e8 dbe-
fkanntlih mit der Örtlichkeit niht allzu genau nimmt.
Übrigen3 finde ich den betreffenden Vers:
Man hätte mögen hören jet wohl ein fallend Laub
nicht ungelenk, ſondern im Gegenteil äußerſt geſchi>t gebildet,
da derſelbe das Zögernde, gewiſſermaßen das Stillſtehen der
Zeit in diejem bedeutungsvollen Augenbli> ſymboliſiert.
Auch das Bild von den „ſich beugenden Herzen“ iſt viel
weniger bedenklich als Meyers:
Heute, da die Himmel niederſchweben,
Wird dem Elend und der Blöße
Mäntel er und warme Röce geben.
Da fällt do<; die himmliſche Poeſie zum Schluß in recht
bhausbacene Proſa hinein, ſozuſagen in ein veritables Kleider-
Magazin.
Jett zur Hauptſache. Die weſentlichjten Einwürfe des
Herrn Dr. B. jIc<einen mir folgende zu ſein.
1. Meyers Gedicht iſt konzentriercer und
Mühler enthält mehr Beiwerk, mehr Überflüſſiges.
2. Meyer <aratkteriſiert die Weihnacht3zeit beſſer.
3. Meyer wirkt weit mehr durch reinmenſ<li<he Mittel,
während Mühler ein ganzes Regquiſitorium kirchlichen Hand-
werk3zeuges gebraucht.
Ad 1. behaupte ich zunächſt: Meyer3 Gedicht iſt
freilich kürzer, dagegegen bietet Mühler einen reicheren JIn-
halt. -- I< will verſuchen, den Inhalt beider Gedichte in
möglichſt knappen Worten wiederzugeben; dadurch wird die
Sache anjc<haulicher.
1. Mühler: Kaiſer Otto, aus ſiegreichem Feldzuge gegen
jeinen Bruder heimnkehrend, begeht mit ſeinen Getreuen im
Dome zu Quedlinburg die heilige Weihnacht. Es iſt Mitter-
na<t. Da3 Meßopfer wird dargebracht; alle beugen betend
die Kniee. Da erſcheint Heinrich, Otto8 Bruder, im Büßer-
gewande. Er wirft ſich vor dem Bruder nieder, bekennt
ſeine Schuld und bittet um Verzeihung. Strenge verweigert
ſie der Kaiſer, nnd keiner aus ſeiner Umgebung wagt es,
den ſchwer Gereizten verſöhnlich zu ſtimmen. Da naht ſich
ihm der Abt, die Bibel in der Hand. Er mahnt den Kaijer
an da8 Gebot Jeſu, dem Bruder ohne Maß zu verzethen.
Tief ergriffen, leiſtet Otto dieſer Mahnung Folge, und alle
werden jubelnd Zeugen feiner Sinnes8änderung.
U. Meyer: Kaijer Otto feiert Weihnacht im Dom.
Er teilt unter die zahlreich erſchienenen Bettler Kleidungsſtü>e
aus. Einer ergreift ſeinen Purpurmantel. ODtto wehrt den
Zudringlichen ab; dieſer giebt ſich als ſeinen Bruder Heinrich
zu erkennen. Er mahnt ihn an die gemeinſame Abſtammung
und Kindheit, bekennt ſeine Schuld und rührt de3 Bruder3
Herz, indem er auf die im Kerker erlittene Kälte hinweiſt.
Wieder ertönt das Flehen der Bettler. Otto bekleidet feinen
Bruder mit dem Purpur.
Der Leſer möge nun Jfelbſt urteilen. Weiter behaupte
iM, daß Meyers Gedicht, troß feiner kürzeren Faſſung, mehr
Überflüſſiges enthält als das Mühleriche. Die vielen
Strophen (ca. 7 von 13), in welchen Heinrich feinen Bruder
anfleht, bilden eine viel zu langg Rede. Nac<h meinem Ge-
fühl wiegt die eine Strophe bei Mühler ſie alleſamt auf.
Vergegenwärtigen wir uns die Situation: Reuevoll, tief er-
j<üttert, den Tod vor Augen, fleht der knieende Bruder an
geweihter Stätte um Erbarmen. Zn ſfolc<er Lage werden
Ichwerlich längliche Reden gehalten, noh dazu mit allerlei
rhetoriſ<em Schmu verbrämt, wie:
ſtraffer ;
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Da du dich krönteſt,
Hai des Neide3 Natter mich gebiſſen !
Mit dem Lügengeiſt im Bunde
Hab ich dieſe3 deutſche Reich zerriſſen !
Überflüſſig, ja unnatürlich finde ich ferner das nach Heinrichs
Rede ertönende Geſchrei der Bettler: „Gieb uns Mäntel!
Gieb uns Röcke!“ Das erlauben ſich dieſe Herrſchaften,
nachdem ſie die erſchütternde Szene ſoeben miterlebt haben!
Wieviel beſſer iſt die Wirkung auf die Umgebung der Brüder
von Mühler gezeichnet :
Ein lauter Ruf der Freude iſt jubelnd ring8 erwacht, --
Nie ſchöner ward begangen die heil*ge Weihenacht.
Ad 2. Das Mühlerſche Gedicht joll weniger als das
andere den Charakter der Weihnachtszeit widerſpiegeln. Jc<h
ſollte aber meinen, daß Mühler ſie ſehr deutlich als die
gnadenbringende erſcheinen läßt, als eine Zeit, die den
Menſchen mehr al3 jede andere weich und verſöhnlich ſtimmt.
Dieſe, aus der Vergegenwärtigung der göttlichen Barmherzig-
keit heraus8geborene Weihnachtsſtimmung kommt bei Mühler
ſehr wohl zum AusdruFs. Darin, daß auch der ſtrenge
Kaiſer ſich vor dem Allerbarmer beugt, liegt ein wohl zu
beachtende8 Moment. Sein Herz wird durc< dieje Demütigung
in der Chriſtmacht milder, den der Verjöhnung entgegen-
Fommenden Regungen zugänglicher. Jſt das nicht auch
Weihnachtsſtimmung ? --
Ad 3. Herr Dr. B. bemängelt die „Kirchen-StimmungSs3-
zugaben“ bei Mühler, die Meyer gänzlich (?) ver) <mäht.
Demgegenüber iſt erſten8 darauf hinzuweijen, daß bei beiden
Dichtern der ganze Vorgang ſich im Gotte3hauſe während
de3 Gotte3sdienſte3 abipielt. Kirchenſtimmung muß alſo not-
wendig in dem Leſer erzeugt werden, und daß dazu von
beiden Dichtern Chorgejang und Andacht, von Mühler außer-
dem noc< Glod&enklang, Orgel, Geiſtliher und Bibel ver-
wendet werden, kann ich nicht als fehlerhaft erkennen; denn
das alle3 gehört nun einmal zur Kirche. --- Bei Mühler iſt
übrigens die Hauptfache nicht, daß der Abt aus der Bibel
lieſt, jondern was er lieſt. Meine38 Erachtens iſt es ein
beſonders glüdlicher Griff de8 Dichters, daß er den Prieſter
die Stelle von der 1<rankenlo8 vergebenden Bruderliebe
wählen läßt. Dieſe Bibelſtelle Matth. 18 hat mit der Kirche
garnichts zu thun. Sie bietet einen jo |<önen, reinmenſc<-
lichen Inhalt wie nur möglich. Alſo iſt im leßten Grunde
bei Mühler nicht weniger al8 bei Meyer das Reinmen/<-
liche -- oder, was auf das1telbe hinausläuft, das Allgemein=
<hriſtliche -- die Macht, welche auc< das trozige Menſc<en-
herz überwältigt und bezwingt.
Und ſomit hat auch der Dichter Heinrich Mübler das
Rechte getroffen. Chr. Hamann.
Aus der Begründung des Entwurf3 eines
Unterrichtsgeſetze3.“)
Über ein bisSher beſtehende Vorrecht der Geiſt-
lihen und Kandidaten beißt e3 in der Begründung zu
8 21 und 22: Durch die Beſtimmung des 8 22 Ahbſ. 3,
im Zuſammenhange mit 8 21 Abſ. 1, wird da3 biber für
die hieſigen Geiſtlihen und Predigtamtskandidaten Übliche
Privilegium, ohne beſonderen Nachweis ihrer Befähigung
auch anderen Unterricht al3 den in der Religion3lehre er-
teilen zu dürfen, nicht weiter in Kraft gelaſſen. Dieſelben
werden künftig nur unter den gleichen Bedingungen zur
Unterrichtserteilung zugelaſſen werden können, wie andere
Lehrer (vergl. 2 24).
Über die Entwi>lung der Schulſynode ziebt die
Begründung einen kurzen geſchichtlichen Rüsbli> und fährt
dann fort: „Es läßt ſich gewiß nicht verkennen, daß die
Synode nicht in allen Beziehungen den Erwartungen ent-
*) VergleiHhe in Nr. 6 den Geſetzentwurf ſelbſt und in Nr. 7 die
Schularzt und Schulgeld betreffenden Abſchnitte der Begründung.