Eine Wochenſchrift für die Nngelegenheiten des Unterrichts,
.*
Schulzeitung
der Erziehung und des LCehrerſtandes.
Schriftleitung:
4. Struve, Hamburg-Eilbes,
Jungmannſtr. 21, p.
Herausgegeben
von Lehrern und Lehrerinnen.
Kommiſſionär SB. Reßler, Leipzig, Seepurgſtr. 40.
Verlag:
Shröder & Jeve, Hamburg,
el. Reichenſtr. 9-11. Fſpr. 2080.
Die Hamburgiſche Schulzeitung erſcheint jeden Mittwoch in einem Bogen Großquartformat zum Preiſe von 1 Mark 50 Pfg. für das Vierteljahr.
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8. Jahrgang.
Inhalt: Die Grundlagen der künſtleriſchen Erziehung. Von F. Hone-
brinker. -- Aus Hamburg. -- Aus Altona. -- Verein3 - Anzeiger.
--“ Familien - Anzeige.
Die Grundlagen
der künſtleriſchen Erziehung.
Die hieſige „Lehrervereinigung zur Pflege der künſtleriſchen
Bildung“ vertritt den Sa3: „Die Erziehung zum Kunſt-
genuß muß gleichberechtigt neben der intellektuellen und
moraliſc<en Erziehung ſtehen.“
Um bei der Beurteilung der Beſtrebungen der „Lehrer-
vereinigung zur Pflege der künſtleriſchen Bildung“ und der
hieſigen „Jugendichriften-Kommiſſion“, ſoweit le3tere dasfelbe
Ziel verfolgt, auf einigermaßen feſten Boden zu gelangen,
wird es unbedingt nötig ſein, der hier gebräuchlichen Form
der Verſtändigung, der Sprache, einen feſtumgrenzten Inh alt
beizulegen und das Kunſtwerk der Sprache nicht zu erniedrigen
durch die Auslegung, hier wie überall in der Künſt könne
die Form dieſelbe Wertſ<häßung erfahren wie der Inhalt.
„Das äſthetij<e Intereſſe iſt vornehmlich Freude an der
Form“, jo ſchreibt H. Wolgaſt*). Dagegen meint Goethe :
Nicht die |Ic<hönen Formen waren der Hauptzwe> der (griechiſchen)
Kunſt, ſondern dieſe entwi>elten ſich umgekehrt nur aus dem
Geiſte derſelben al8 notiwwendige3 Mittel zum Ausdruc> ſchöner
Gedanken.“ Die Künſtler können alſo der ſchönen Gedanken,
des Inhalts, bei aller Sorgfalt, ſie in ſc<höne Formen zu
gießen, nicht entraten, und man iſt verſucht, die Kunſt
objektiv verſinnlic<ßte Gedanken, ſubjektiv als das vergebliche
Bemühen, der Natur galeichzukommen, zu <Harakteriſieren.
Das äſthetiſche Intereſſe iſt beim Künſtler während
jeine8 Schaffen3 gepaart mit dem intellektuellen und mehr
als das: die Form iſt abhängig von ſeinem Seeleninhalt,
dieſer iſt das Urſprüngliche, die Form iſt da38 Sekun-
däre. Sollte e3 beim Beſc<hauer des Kunſtwerks anders
jein ? Die Trennung zwiſchen künſtleriſ<er und der übrigen
Anſchauung, welche ſich in dem Saße von H. Wolgaſt au3-
jpri<t: „Der äſthetiſc<e Genuß beginnt erſt da, wo eine
ununterbrochene Erfaſſung des Gedankens ſtattfindet“, ift
jowohl beim Künſtler als beim Beſchauer eine kaum wahr-
nehmbare; die künſtleriſ<e Erziehung kann darum nicht
Yoliert neben der intellektuellen betrieben werden. „Die-
jenigen, welche ſich der Leitung des Gefühls blindlings
anvertrauen, können von der Schönheit keinen Begriff
*) Siehe „Das Elend unſerer Jugendlitteratur.“
Mittwo, den 14. März 1900.
Ur. 11.
erlangen, weil jie in dem Total des ſinnlichen Eindru>äs
nichts Einzelnes unterſcheiden; die andern, welche den
Verſtand ausſc<ließlih zum Führer nehmen, können nie
einen Begriff von der Schönheit erlangen, weil ſie in
dem Total derſelben nie etwa3 andere3 als die Teile fehen
und Geiſt und Materie auch in ihrer vollkfommenjien Einheit
ihnen ewig geſchieden bleiben.“ (Schiller) -- „Der größte
Fehler, den man bei der (künſtleriſchen! Ref.) Erziehung zu be-
geben pflegt, iſt dieſer, daß man die Jugend nicht zum eigenen
Nachdenken gewöhnt.“ (Leſſing.) Leſſing vermag die
künſtleriſche Bildung nicht neben die intellektuelle zu ſellen
oder wohl gar den „Kunſigenuß al3 die edelſte Lebensfreude“
anzupreiſen, wie es die hieſige Jugendſchriften = Kommüiinon
thut. Er ſchreibt: „Der Endzwe> der Künſte ijt das Ver-
gnügen, der Endzwe&s der Wiſſen]<aſt iſt Wahrheit, und das
Vergnügen iſt entbehrlich.“ So iſt die Kunſt eni-
behrlic< ? Und die künſtleriſche Erziehung und anderes mehr
entbehrlich ?
„Wir wollen ein genußfrobe3 Geſchlecht erziehen.“
(S. Wolgaſt.) Schiller ſieht in der Trennung von Arbeit
und Genuß ein Zeichen de8 Verfalle3: „AuSeinander
geriſſen wurden der Staat und die KirG&e (bei den Griecßen),
die Geſetze und die Sitten; der Genuß wurde vonder
Arbeit, das Mittel vom Zwecd, die Anſtrengung von der
Belohnung geſchieden . . . In der That muß es Nachdenken
erregen, daß man beinahe in jeder EpoGe der Geſchichte,
wo die Künſte blühen und der Geſc<hmacC regiert, die
Menſ<<heit geſunken findet und auß niGt ein ein:
ziges Beiſpiel aufweijen kann, daß ein hoher
Grad und eine große Allgemeinheit äſthetij Her
Kultur bei einem Volke mit politiſ<er Freiheit
und bürgerlicher Tugend, daß ſ<öne Sitten mit
guten Sitten und Politur des Betragens mit
Wahrheit de3felben Hand in Hand gegangen wäre.“
Und troß alledem! Wenn die naturgemäße Entwi-
lung der Seelenanlagen auf dieſes Ziel hinausläuft, dann
hat die wirkliche Erziehung, die in der „Pflege“ vorhandener
Anlagen und nicht in der Abrichtung auf einen Zwe hin
ihre Aufgabe erbli&t, an dem tragiſG;en Ausgang der
Volk3entwiälung keine Schuld. Doh darüber, ob das Ziel
der Natur in der Entwilung der Seelenanlagen mit dem
vom Menſchen geſeßten Ziel übereinſtimmt, iſt die Wiſſen-
Ichaft mit ſich ſelber uneins. Die Grenze zwij<en Bildung
und Dreſſur iſt no< nicht gezogen. Nur eine künſtleriſche
Anlage der Seele ermögäüiht eine wahrhaft künſtleriſche
Ausbildung, wie die intellektuelle und moraliſche Seelenkraft
die Grundlagen zur intellektuellen und moralij<hen Erziehung
bilden muß. Drei gleichwertige, felbſtändige
Erziehungs8ziele ſeßen drei glec<hwertige, felbſt-