Full text: Hamburgische Schulzeitung - 8.1900 (8)

venen 
Allein es liegt mir ſern, alle Schuld auf die heutige 
Familie zu wälzen. Die Schule ſelber hat ſich der 
Familie entfremdet, unjer Staatsbetrieb hat die Familie 
entmündigt, er hat ſie in läſſige Bequemlichkeit verſenkt. 
Zu feierlichen Aufzügen lädt man ſie ein, für Nachhülfe 
wird ſie mißbraucht, bei geknicten Hoffnungen drängt ſie 
fich heran. E83 iſt wirklich nicht ihre Schuld, wenn ſie 
nur noch bei beſtimmten Ginwirkungen zuckt wie ber ge- 
föpfte Froſh. Auch hält das Gezänk der politiſchen 
Parteien. den geſunden Volksverſtand in Bandeu, und 
Bureaukraten aller Art haben da8 bepormundete Volk 
in Schulfachen lernunluſtig gemacht. 
Im Grunde freilich iſt die Mitwirkung der Familie 
in der Schulverwaltung, wie alle wahrhaftige Fürſorge 
für die Kinder, einfaeh und leicht. Nicht techniſche 
Schulung thut es, ſondern das warme Herz für die liebe 
Schule, geſunder Menſchenverſtand, offene Augen und 
eine ſittlich-ernſte Geſinnung. Oft ſind einfache Hand- 
werter und Bauern ſachkundiger und ſc<harfſfichtiger al3 
Beamte, Abgeordnete, Kreisſchulinſpektoren und Geiſtliche. 
Wenn nur im Schulauſbau ſelbſt der Zuſammenhang der 
Familie und damit das gemeinjame Intereſſe gewahrt 
bliebe: wenn die Geſchwiſter verſchiedenen Geſchlechtes 
nicht unnatürlich früh voneinander geriſſen, und wenn 
der höherſtrebende Teil der Jugend durch Vermehrung 
einheitlicher Mittelſchulen möglichſt lange dem Eltern- 
hauje erhalten würde! Aber das ſind weitergreifende 
Fragen der Schulverfaſſung; Hauptſache bleibt die thätige 
Mitwirkung der Familie im kleinſten Schulkreiſe und 
die Anſtrengung aller Einſichtigen, ſie zu dieſer Mitwir- 
fung nach Möglichkeit zu befähigen. Beides greift in- 
einander; denn wenn es wahr iſt, daß wir Eltern, unjfere 
Kinder erziehend, durch ſie zum zweiten Mal erzogen 
werden, jo iſt es auch unbeſtreitbar, daß die Mitwirkung 
der Familie am Schulleben fie ſelber fördern und heben 
muß, und fein Angſtgeſ<rei vor ſozialdemokratiſchen 
Vebergriffen joll uns hindern, den ſozialdemokratiſchen 
Vater als Vertreter feiner Kinder zu Wort kommen zu laſſen. 
Der Staat wird nicht ſchlecht dabei fahren. Rechte 
Tamilienvertretung kann das öffentliche Leben und das 
Gemeinweſen nur fördern; denn die Familie ſelber iſt 
nicht auf Vereinzelung, ſondern auf Gemeinſchaft gebaut. 
Genau wie Bi8mar> das möglichſt hohe Maß von Feſtig- 
keit für die Regierung fordert, damit den Einzelnen das 
höchſte Maß der Freiheit eingeräumt werden könne, ge- 
radejo betont Dörpfeld, daß ein Schulregiment, welches 
die Jamilienhaftigkeit der Schule anerkenne, keine8weg8 
laxer zu fein brauche al38 das bisherige; aber e38 müſſe 
naturgemäßer, zarter, - geiſtlicher werden. Der Geiſt der 
Autorität und Pietät, in der Familie genährt, thut 
unſerm Volks8leben not 3; zugleich aber wird aus der frei- 
heitlichen Verſelbſtändigung der Familien und JFamilien= 
verbände ein lebendigerer Sinn für Volksfragen, eine 
geſteigerte Unternehmungsluſt, ein geſchärftes öffentliches 
Gewiſſen hervorgehen. Auch an die Beamten wird das 
Selbſtverwaltung3prinzip andere, höhere Aufgaben ſtellen, 
und neben der dazu erforderlichen höheren Intelligenz 
werden fich eine ganze Reihe von Charaktereigenſchaften 
mit Glüd geltend machen, die, wie Dörpfeld bemerkt, 
freilich im Staat3examen nicht konſtatiert werden können, 
als da ſind Beſonnenzeit, Verträglichkeit, Sanftmut, Demut. 
Die Schule aber, dem politiſchen Wirrwarr ent- 
riſſen, wird dann jene Stille und Wärme wiederfinden, 
„die zur Erziehung ebenſo notwendig ſind wie zum 
Brüten“. Statt des Schubladenſyſtems von Statiſtik 
uud Verwaltuna, nach welchem, wie Riehl fich ausdrüct, 
die mechaniſche: Abminiſtrationsſchulmeiſter unſerer Zeit 
regieren, wird in die Schule der Liebe einziehen, die 
Gliernliebe -- denn die Schule lebt nicht vom Recht 
allein ---3; Friede und Verſtändigung werden ſich an- 
bahnen, wo jeßt Drill und Konkurrenzkampf toben, und 
auc<h die Maßnahmen und Ratſ<läge der regulierenden 
 
 
 
Gina 
Behörden werden das Vertrauen finden, das zu einem 
guten Erfolge nötig iſt. Ferner wird unter dem Gin- 
fluſſe der GElternliebe die Schule mehr Bli> für die 
Schwachen gewinnen; man wird aufhören, nur diejenigen 
hervorzuziehen, die viel Oberfläche zeigen. Indeſſen auch 
die Begabte werden beſſer fahren als heute, wo ſie 
notorijch durch die allgemeinen Reglement3 gehemmt 
ſind; ſollte nicht in denſelben Kreiten, wo man für die 
Schwachen den Bli geſchärft hat, auc<ß beſſeres Ver- 
ſtändnis ſein für die dankbarere Aufgabe, den* Begabten 
beizuſpringen? Aber nicht mehr wird das Wiſſensziel 
im Vordergrunde ſtehen, ſondern der ganze Menſch, die 
Perſönlichkeit des Kindes, die von der Familie mit ganzer, 
einheitlicher Liebe umfaßt wird; und mit beſonderem 
Ingrimm wird man von einer pädagogiſchen Großwirt- 
ſchaft vergangener Tage erzählen, welche ein oder zwei 
Dutzend Klaſfen zu einem Schulſyſtem vereinigte und 
dann den Leuten weis machen wollte, daß in ſolchen 
Schulkajernen der pädagogiſche Fortſchritt zuhaufe ſei, 
als würde die Grziehung gleich der Induſtrie mit Ma- 
ſchinen getrieben. Summa: die Familienſchule wird auf=- 
hören ein Mechanismus zu fein, denn die Familie ſelbſt 
iſt feine Drehorgel. 
Auch die PRädagogif wird dann nicht mehr als Hand- 
wert der Wiſſen8vermittlung gelten, ſondern wirklich als 
die Kunſt unmittelbaren und freien Wirkens auf Junge 
Menjſjc<henherzen. GEGinfacher ſfreilih und leichter wird 
ihre Arbeit fich nicht geſtalten, troß größerer Freiheit. 
Mit der Teilnahme weiterer Kreiſe wird der Lehrſtand 
erſt recht an die Oeffentlichkeit treten und unter eine 
vielfeitigere, aljo ſtrengere Kritik kommen. Man wird 
höhere Anforderungen an feinen techniſchen Umbli> und 
vor allem an ſeine ſittliche Haltung ſtellen. Indem die 
Lebens8gemeinſ<haft der Familie, aliv das wirkliche Leben 
und die elterliche Liebe zu Worte fommt, wird, was 
unter dem Regiment der ſtaatsürchlichen Scholarchie 
unmöglich war, ein <Harakterfeiter Schulftand auffommen, 
der jich -- wir wagen das hohe Wort -- feiner pro-= 
phetiſchen Aufgabe bewußt iſt. Damit wird fich dann 
auch die volle Würdigung der pädagogiſchen Arbeit ex- 
geben. Man wird verſtehen lernen, wie es möglich war, 
daß manchem bedeutenden deutjhen Manne al3 Leben8- 
ideal vorſchweben konnte die Arbeit am heranwachjenden 
Geſchlecht, aber in kleinem, freiem Kreiſe; und es wird 
dann ſicherlich oſt vorkommen, ja die Regel ſein, was 
Dörpfeld in jeinem langen Leben ein einziges Mal er- 
lebt hat, daß Männer, die in Handel5kfkammern, Pro- 
vinzialſynoden, Kirchentagen und ſogar im Landtage 
ſaßen, freiwillig erklären, ſie erinnerten ſich nicht, je einer 
Verſammlung beigewohnt zu haben, die ihnen mehr 
Intereſſe und Befriedigung geboten hätte als eine aus 
Laien und Fachleuten berufene Shulverſammlung. Zit 
doc< die dem Lehrer mit der Familie gemeinfame Auf- 
gabe das menſchlichſte Geſchäft, die königliche Kunſt. 
Aus Hamburg. 
Zur Anrechnung der Dienſtzeit. In gegebener 
Veranlaſſung erlauben wir un3, den beteitigten Kollegen und 
Kolleginnen Nachſtehende3 zu unterbreiten : 
Die Kommijjion der „Auswärtigen“ hat bi3 heute 
die Intereyen aller, die an der Anrechnung der nicht an 
hiejigen Volks5ſchulen erworbenen Dienſtzeit beteiligt ſind, 
vertreten, und ſie wird ihrem Mandate gemä3 -- auch ferner 
in dieſer Nichtung zu wirken bemüht jein. Sobald das 
Gehaltsgeſets vorliegt, wird ſie eine allgemeine Verſammlung 
der „Auzwärtigen“ -=- d. b. der von auswärts, vom Hauz 
burger Landgebiet und von hieſigen nicht öffentlichen Schulen 
übergetretenen Lehrkräfte -- einberufen, in der ſie auf Grund 
authentiſcher Mitteilungen Vorſchläge über den weiteren 
Verfolg diefer Ungelegenbeit zu machen gedenkt.
	        
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