Full text: Hamburgische Schulzeitung - 23.1915 (23)

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was zwiſchen 20 und 45 eine Flinte tragen kann, ge- 
dienter und ungedienter Landſturm, ja ſelbſt diejenigen, die 
früher einmal untauglich waren. Dabei wandte - ſich jeder 
nachfolgende Einziehungstag an immet ältere Jahrgänge 
und nahm ſo immer mehr ſelbſtändige Geſchäftstreibende, 
Handwerker, Händler, Fabrikanten, Kaufleute uſw. fort. 
Es leuchtet ohne weiteres ein, daß es zu Oſtern 1916 
ziemlich an Lehrherren fehlen muß. Darin ſind die beiden 
Zeitpunkte, Oſtern 1915 und 1916, garnicht miteinander 
zu vergleichen. 
hat ſich die Unterbringung der Schulentlaſſenen Oſtern 
1915 zwar mit einigem Knarren, im weſentlichen aber doch 
ziemlich glatt vollzogen. Wie's 1916 wird, das kann 
man noh garnicht recht vorausſehen. Denn zu dem Mangel 
an Lehrherren kommt hinzu, daß die wirtſchaftlichen 
Berhältniſſe ſich unter dem Einflußdes 
Krieges ſehrſtark gewandelt haben und noch 
alle Tage-wandeln. I< will dabei nicht von der Unge- 
wißheit ſprechen, die über den Ausgang des Krieges herrſcht. 
Denn wenn wir Deutſchen auch ſelbſtverſtändlich felſenfeſt 
wiſſen, daß unſer der endliche Sieg ſein wird, auch daß 
wir zu ſolcher Siegeszuverſicht unendlih mehr Grund 
haben als irgend einer unſerer Gegner, ſo wird doch keiner 
ſo vermeſſen ſein, das Ende des Krieges zu irgend einem 
Zeitpunkt in ſichere Ausſicht zu ſtellen. Wohl aber muß 
ich darauf hinweiſen, daß weite Geſchäftskreiſe durch den 
Krieg zum völligen Stillliegen verurteilt ſind (man denke 
nur als nächſtliegendes Beiſpiel an Hamburgs Ein- und 
Ausfuhrhandel). Sie alle ziehen daher Lehrlinge und 
Arbeitsperſonal nur in ganz geringem Umfang an ſich, 
jedenfalls ganz erheblich weniger als es im Frieden geſchieht. 
Und wenn man nur hervorheben will, daß durch den 
Krieg ganz neue Induſtrien und Geſchäftsbetriebe hervor- 
gerufen ſind oder daß beſtehende ſich in einer einzelnen 
Beziehung ſtark ausgebaut haben, ſo ſteht dem gegenüber, 
daß man ſich es do; mehr als einmal überlegen muß, 
ob man einen Schüler oder eine Schülerin bei der Berufs- 
wahl in eins dieſer Kriegsgeſchäfte hinein empfehlen will 
und kann. Wer bürgt dafür, daß die ſo Beratenen nicht 
am Kriegsende oder bald darnach ohne Stelle und ohne 
Ausſiht auf Fortkommen daſtehen ? Nein, nein die 
Schwierigkeiten für Oſtern 1916 beſtehen für uns und 
unſere Schüler, und es hieße Bogelſtrauß - Politik treiben, 
wenn man ſich darüber nicht klar wäre. Andererſeits iſt 
es ja aber eine alte Lebensweisheit, daß Schwierigkeiten 
nur ſo lange als ſolche gelten können, als man ſie nicht 
entſchloſſen anpackt. Beim feſten Zugreifen verlieren ſie ihren 
Charakter als unlösbare Dinge. So ſoll es auch hier ſein. Wir 
ſtehen jezt im Anfang des Winters, und ich hoffe zuver- 
ſichtlich, daß wir zu Oſtern, wenn unſere Schüler uns 
verlaſſen, ſie alle wieder befriedigend untergebracht und 
verſorgt haben. Und wenn ich im Nachfolgenden wieder 
einige perſönliche Erfahrungen und Anſchauungen zum 
Ausdruck bringe, ſo geſchieht es, um die gute Sache, die 
mir ſehr am Herzen liegt, zu fördern. . 
a. Die Zentrale für Berufsberatung und 
Lehrſtellenvermittlung im Gewerbehaus, 
Holſtenwall 12. 
IH muß geſtehen, daß der erſte Gedanke bei der Nach- 
richt, daß dieſe Zentrale errichtet ſei, ein Kritiſcher war. 
Denn ich dachte und fürchtete, daß von ihr in erſter Linie 
an uns wohl Anforderungen für Schreibarbeit ergehen 
würden. Und wir Rektoren haben von dieſer genug, zeit- 
weilig jedenfalls mehr, als wünſchenswert iſt, insbeſondere 
in dieſen Kriegszeiten. Aber dieſer erſte Eindruck hat einem 
ruhigen Ueberlegen nicht ſtandgehalten. Nach genauem Ab- 
wägen des Fürundwider in dieſer Sache muß ich die Er- 
richtung dieſer Zentrale zuſtimmend begrüßen. Denn ein- 
mal ſcheint mir die Zuſammenſezung des Kreites von 
Perſönlichkeiten, die man in ſie berufen hat, recht glück“ 
lich zu ſein. Es kommen alle Gruppen der Leute, die an 
Soweit meine Schule in Frage kommt, 
der Sache berechtigt teilnehmen können, zu Worte. Ober=- 
ſchulbehörde, Gewerbe, Handel, Induſtrie, Arbeiter, Lehrer- 
ſchaft, Frauen, ſie alle ſind vertreten; unſere geſeßgebenden 
Körperſchaften ſind beteiligt; Theorie und Praxis ſcheinen 
mir ganz glücklich gemiſcht zu ſein. Alſo ſind die Vorbe- 
dingungen gegeben, die eine erſprießliche Arbeit in Ausſicht 
ſtellen. Zum andern fürchte ich nicht, daß die Zentrale die 
Arbeit der einzelnen Schulen und Lehrer irgendwie hindern 
wird. Wer bislang ſich mit allen Kräften für die Unter- 
bringung ſeiner Schulentlaſſenen bemüht hat, der wird das 
aiich in Zukunft tun können, ganz in alter Weiſe, ohne 
daß die Zentrale ihm auch nur im geringſten hindernd in 
den Weg tritt. Es iſt ja auch garnicht die Meinung, daß 
ſie nun etwa für alle Stellenvermittelungen in Anſpruch 
genommen werden müſſe. Sie iſt da für alle, die freiwillig 
zu ihr Kommen, um ſich Rat und Hülfe zu holen, für 
Schüler, Eltern, Lehrer, Geſchäftsleute, Lehrherren u. a. m. 
Ihnen allen will ſie dienen. Deshalb bleiben auch die bis- 
herigen Stellenvermittelungen der verſchiedenen Organiſa- 
tionen, der Innungen, Bereine, Gewerkſchaften uſw. ruhig 
beſtehen. Sie erfüllen ihre Aufgabe wie bisher, nur natür- 
lich in lebendiger Verbindung mit der Zentrale. Und dieſe 
kann vorausſichtlich allen Beteiligten große Dienſte leiſten, 
weil an dieſer einen Stelle alsdann ein klarer Ueberblick 
über Angebot und Nachfrage in Lehrſtellen herrſcht. Dar- 
an hat es bislang bei uns etwas gefehlt. Es mangelte an 
einer Stelle, die zuſammenfaſſend über Anbieten und Suchen 
von Lehrſtellen unterrichtet war. Und wenn auch jeder von 
uns nach beſtem Wiſſen und mit reger Kraft arbeitete, ſo 
konnte do; mancher Schüler nicht mehr im erwählten 
Berufe untergebracht werden, obgleich noch Lehrjtellen da 
waren, weil wir es nicht wußten, und mancher kam in 
ein Geſchäft hinein, das ihm weniger gut lag, obgleich ihm 
noch Lehrſtellen offen geſtanden hätten, die ihm mehr zu- 
geſagt hätten und ſeinem Weſen entſprechender geweſen 
wären. Hierin kann die Zentrale uns alien gut zuhülfe 
kommen, und da wir alien Grund haben, anzunehmen, daß 
ſie ihre Aufgabe nach dieſer Richtung hin zu erfüllen ver- 
ſuchen wird, ſo iſt es gerechtfertigt, wenn ich ihre Errich- 
tung mit Befriedigung begrüße. 
b. Elternabende für Berufsberatung. 
Im allgemeinen, das will ich offen geſtehen, bin ich 
kein Anhänger von Elternabenden für dieſen Zweck. 
Der Nuten, den ſie bringen ſollen, iſt mir nicht klar. Dar» 
um empfehle ich ſie nicht und ſuche mir ohne ſie zu helfen. 
Denn eine genaue Prüfung der vorliegenden Verhältniſſe 
ergibt für mich folgendes: Ich unterſcheide im großen und 
ganzen zwei Gruppen von Eltern, pflichtgetreue und gleich- 
gültige, oder, ausführlicher ausgedrückt, ſolche, denen das 
Wohl ihrer Kinder am Herzen liegt und die deshalb ſich 
dafür redlich mühen, und ſolche, die alles gehen laſjen, wie 
es geht. In eine Unterſuchung, wie es zur Entſtehung 
ſolcher Elterngruppen kommt, will ich hier natürlich nicht 
eintreten. Die pflichtgetreuen Eltern kommen, wenn eins 
ihrer Kinder aus der Schule kommen ſoll, von ſelbſt zur 
Rückſprache mit uns. Sie würden auch zum Elternabend 
kommen, aber um ihrer willen iſt die Einrichtung nicht 
nötig, da ſie ohnehin ſich belehren laſſen und belehren laſjen 
wollen. Die gleichgültigen Eltern kommen nur mit 
Schwierigkeiten, wenn wir ſie in unſere Sprechſtunde laden, 
ſelbſt wenn ſie wiſſen, daß wir mit ihnen die Zukunft ihrer 
Kinder beſprechen wollen. In den Elternabend kommen 
ſie ganz gewiß nicht. Alſo! 
Außerdem iſt das mit dem Elternabend für Berufsbe- 
ratung eine ganz eigene Sache. Allgemeine Themen finden 
ſi ja leicht, 3. B. „Jeder wähle ſich einen beſtimmten 
Beruf“, „Sorge für deine Fortdildung“ uſw. Aber bringt 
ein ſolcher Vortrag, der naturgemäß ſich in allgemeinen 
Bahnen bewegen muß, nun wirklich entſprechenden Nußen? 
Die Eltern kommen doch nicht, um derartige für alle gül- 
tigen Wahrheiten zu hören, ſondern ſie erſcheinen, um für
	        
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