Full text: Hamburgische Schulzeitung - 23.1915 (23)

--. 237 = 
: Kriegsgeſchichtlich hatten ſie inſofern recht, als die Ritter 
tatſächlich Einzelkämpfer waren. .Es gab zu ihrer Zeit 
faſt nichts, was man eine militäriſche Drganiſation nennen 
könnte. Ebenſo kann man in dieſer Zeit kaum von Strategie, 
oder doch nicht von Taktik reden. Im Geſecht ſuchte ſich 
jeder ſeinen Gegner und ſuchte ihn zu beſiegen, ohne ſich 
um rechts und links viel zu bekümmern. Wenn wir aber 
bedenken, daß die Bewaffnung eine viel harmloſere war, 
daß beſonders die ſtarken Schußwaffen manchen Stoß ab- 
hielien, daß die Heere meiſt aus wenigen Tauſend, oft 
nur aus Hunderten beſtanden, daß die Behandlung der 
Gefangenen im ganzen milde war, ſo ſchwindet von dem 
Glanz dieſes Heldentums im Licht der Geſchichte ein 
gutes Stück. Jedenfalls erforderte es viel weniger an 
Nervenkraft als die Kriege der Gegenwart. Das iſt aller- 
- dings richtig, eine Disziplin in unſerem Sinne beengte 
die Ritter nicht, abgeſehen von dem Moral- und Ehren- 
koder jener Tage, der oft verflucht wenig beachtet wurde. 
Der Mangel an Disziplin ſteigerte ſich nicht ſelten zu 
völliger Unbotmäßigkeit , die dann den militäriſchen 
Wert eines Heeres auf ein Minimum bhHerabſezte. Man 
darf aber auch nicht vergeſſen, daß uns die Taten jener 
Zeit meiſt als Sage überliefert ſind, die ofi nicht nur ſehr 
weit von der Wirklichkeit ſich entfernten, ſondern bis- 
weilen ins Gegenteil umſchlugen, wie 3. B. die Winkelried- 
ſage, wenn man ihr auf den Grund geht. 
Als aber vor nunmehr 700 Jahren bei Morgarten in 
der Schweiz und bei Roſebeke in Flandern bürgerliche 
Gevierthaufen, alſo Fußvolk, über Ritterheere ſiegten und 
damit dem Rittertum als militäriſche Einrichtung den 
Todesſtoß verſetzte, da trat die militäriſche Disziplin ihren 
Siegeszug an. Bon da an galt der Einzelne nicht mehr, 
als er als Glied im Gevierthaufen leiſtete. Das gilt für 
alle folgenden Zeiten. Die aufkommende Zucht war aber 
bei weitem Härter als in der Gegenwart. Sie bot für 
Heldentaten einzelner bedeutend weniger Raum als die 
frühere. Wir hören dann auc; weniger davon. Die 
Zucht ſteigerte ſich allmählich zu ungewöhnlicher Härte 
und erreichte zur Zeit der ſtehenden Söldnerheere ihren 
Höhepunkt. In unſeren Bolksliedern ſingen wir noch 
davon. (Zu Straßburg auf der Schanz. Es geht bei ge- 
dämpftem Trommelklang u. a.) Erſt als Napoleon einen 
Teil ſeiner Infanterie in Schüßenſchwärme auflöſte, da 
hören wir wieder mehr von Heldentaten einzelner. Da 
wuchs die Selbſtändigkeit, die Verantwortung und die 
Gelegenheit zu Auszeichnungen, zunächſt für die Unter- 
führer, dann auch für den einzelnen Mann. Dann hat 
Moltke die ganze Infanterie in dünne Schüzenlinien auſ- 
gelöſt, die bis in unſere Zeit immer dünner und länger 
geworden ſind, und die damit immer höhere Anforderungen 
an die Nerven, an den Geiſt und an die moraliſche Kraft 
der Soldaten ſtellen. 
Damit iſt natürlich auch die Disziplin eine andere ge- 
worden. Sie war deſto ſtrenger, je ſtarrer der militäriſche 
Körper war. Ze beweglicher dieſer wurde, deſto milder 
wurde ſie. Allerdings deſto größer wurden auch die mo- 
raliſchen Anforderungen an den Krieger, denen am Ende 
nur genügt werden kann, wenn die Bildung und das all- 
gemeine Empfinden dazu die Grundlage geben. Es iſt 
vor allem das ſeit hundert Jahren in den Völkern lebendige 
Nationalgefühl, das die Abſchwächung der militäriſchen 
Disziplin geſtattete. Es iſt auch deſonders für uns die 
Quelle der kriegeriſchen Leiſtungsfähigkeit. Der deutſche 
Soldat weiß, wofür er kämpft. Seine Disziplin iſt mehr 
als zu allen andern Zeiten ein bewußtes Sichindendienſt- 
ſtellen für eine große Jdee, eben die des Vaterlandes. 
Damit mag ſein perſönlicher militäriſcher Ehrgeiz einge- 
ſchränkt werden, damit wächſt aber ſeine Leiſtung moraliſch 
Über alle perſönlichen Heldentaten früherer Zeit hoch hinaus 
und erhält die höchſte Weihe. 
Daß es auch jezt ohne Disziplin nicht geht, iſt ſelbſt- 
verſtändlich. Sie iſt nötig zur Unterſtüßung der ſittlichen 
Kräfte, die natürlich nicht -vollkommen in Erſcheinung 
treten. Sie iſt nötig, weil es ſich heute um große Orga- 
niſationen handelt, die ohne Ordnung nicht zu handhaben 
und ohne Disziplin. militäriſch wertlos ſind. Aber ſie. be- 
ruht zur Hauptſache auf dem Untergrunde einer freien 
Selbſtbeſtimmung und einer freiwilligen Unterordnung, wie 
die große Zahl unſerer Freiwilligen zeigt. Jhre Strenge 
tritt deshalb im ſtärkſten Eiſenhagel auch am wenigſten in 
Erſcheinung. 
Es iſt alſo. nicht ſo, daß die Kriegführung der Gegen- 
wart für Einzelauszeichnungen kaum Gelegenheit gibt, 
ſondern gerade das Gegenteil iſt der Fal. Noch viel 
weniger kann davon die Rede ſein, daß eine ins Uner- 
hörte geſteigerte Disziplin die Maſſen in Kampf und Tod 
treibt. Der „Drang nach vorn“, von dem wir ſo oft und 
gern gehört haben, der, vom Standpunkte des Führers be- 
trachtet, ſooar gefährlich werden kann, beweiſt wieder das 
gerade Gegenteil. 
Selbſtverſtändlich erſcheinen die erwähnten und ge- 
rühmten Eigenſchaften unſerer Feldgrauen und die Zu- 
ſtände in unſerem Heere nicht in Bollkommenheit, die es 
nirgends auf Erden gibt. Auch der Tapferſte hängt am 
Leben und kann ſich von einem gewiſſen Grauen vor dem 
Schlachtentod nicht freiſprechen. Hat doch felbſt Blücher, 
einer der verwegenſien Soldaten unſeres Bolkes, zeitlebens 
über den „Hundsfott“ in ſich, d. 9. Über den inneren 
immer wieder erwachenden Widerwillen gegen den Soldaten- 
tod und gegen die Widerwärtigäeiten und Unannehmlich- 
keiten des Kriegsdienſtes gewettert und geklagt. Dieſes 
natürliche Gefühl ſchändet niemand. Aber daß es troß 
der in der Gegenwart ungleich größeren Gefahr überwunden 
wird, das ehrt unſere Krieger und macht ſie zu ganzen 
Männern. Jedenfalls ſteht ein ſo Ueberwindender moraliſch 
viel höher und gefällt uns viel - mehr als ein ſich um 
nichts ſorgender Draufgänger und Raufbold, der nur an 
dem Kampfe an ſich Gefallen ſindet. 
Bedenken wir daneben noch, daß das Leben in der 
Gegenwart viel mehr Inhalt und damit mehr Wert hat 
als in vergangenen Tagen, daß darum auch der Tod 
weniger leicht genommen wird als in Zeiten minderer Kultur 
und bei vielen ungultivierten Bölkern, ſo kommen wir 
erſt re<ht zu dem Schluß, daß das Heldentum unſerer 
Tage und Unſeres Volkes, wie wir es täglich und jtünd- 
lich bewundern, jedem andern nicht nur nicht nachſteht, 
ſondern es viel eher übertrifft. 
Jene zu Anfang erwähnte Redeweiſe haut alſo gänz- 
lich daneben, und die Schule hat nach wie vor alle Ur- 
fache, unſere Jugend mit den Taten unſerer Kämper be- 
kannt zu machen und fie zu ſchildern als größte Mannes- 
leiſtungen, nicht mit Leichtfertigkeit und mit Darſtellung 
von Aeußerlichkeiten, ſondern mit dem ganzen Ernſt, der 
ſolHen Dingen entſpricht. Sie ſollen dabei die ganze 
Größe jener Taten, aber auch die ganze Schwere und den 
ganzen Ernſt, der damit verbunden iſt, kennen und em- 
pfinden lernen, damit ſich die angeborene Kampfesfreudig- 
Reit unſerer männlichen Jugend erfüllt mit dem Geiſt 
Unſerer Großen und geadelt wird zu höchſtem ſittlichen 
Kriegertum, das wir auch in Zukunft, in erſter Linie zur 
Sicherung des Friedens, nicht entbehren können. 
A. Paſchen, 3. 3. im Felde. 
Fremdwörterei im deutſchen Unterricht. 
Der ſehr verdiente Allgemeine Deutſche Sprach- 
verein hat als Wahlſpruch den ebenſo berechtigten wie 
maßvollen Grundſa3ß aufgeſtellt: Kein Fremdwort 
fürdas, wasdeutſc<hgut ausgedrückti werden 
kann. Das iſt ein Saß, den kein anderes Voik für ſeine 
Sprache aufzuſtellen braucht, weil er ſich bei jedem von 
ſelbſt verſteht. So ſollte es auch bei uns ſein! Kein Bolk 
außer uns Der:tſcen kennt Fremdwörterbücher! Das von 

	        
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