Gewitter die Schatten der Einzeldinge von der allgemeinen
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Finſternis verſchlungen werden, ſo. gingen all meine per-
ſönlichen Aengſte und Nöte unter in der einen großen -
Sorgeum das Geſamtwohl unſeres Bolkes
und Baterlandes; ich fühlte mich aber auch mit
fortgeriſſen von der lodernden Begeiſterung, dem heiligen
Pflichtbewußtſein und dem feurigen Tatendrang, die wie
ein gewaltiger elektriſcher Strom unſer ganzes Heer durch-
glühten und all die Millionen Einzelſeelen zu einer ein-
heitlichen Volksſeele zuſammenſchmolzen. Sodann erlebte
ich tagtäglich auf Märſchen und in Schüßengräben zu
meinem nicht geringen Erſtaunen, daß ich Anſtrengungen
und Leiſtungen vollbringen, Entbehrungen und Strapazen
erdulden konnte, denen ich mich früher garnicht gewachſen
gefühlt hätte. Unter dem Einfluß dieſer neuen, unerwarteten
Erfahrungen erwachte in mir ein [ſo intenſives
Kraftbewußtſein und ein ſo ſtarkes Lebens-
gefühl, daß all jene bangen Fragen und quälenden
Zweifel mir wie weſenloſe Nebelſchleier von der Seele
fielen, und auch die düſteren Eindrücke der traurigen Wirk-
lichkeit um mich herum meiner troßgzigen Lebensbejahung
nichts anhaben konnten.
Man erlebt in dieſem Zuſtande des geſteigerten Lebens-
gefühls aber nicht nur jein eigenes, gleichſam Ppotenziertes
I<, man erlebt auch ganz unmittelbar und unreflektiert
den alles durchflutenden, alles umſpannenden ewigen Lebens-
willen. „Denn in ihm leben, weben und ſind wir.“ Von
ihm fühlt man ſich getragen wie das Waſſertröpflein von
den Wogen des nie verſiegenden Meeres. Und ſo wenig
der Wajſertropfen verzagt, wenn er in dunklen Sturmes-
nächten hin= und hergeworfen wird, weil er ſicher weiß,
daß er doch immer wieder in den Schoß des Meeres zuU-
rückfallen wird und daß keine Macht der Welt ihn aus
dieſem Zuſammenhang reißen kann, ſo feſt und ſicher fühlt man
ſich geborgen in den Armen des ewigen Lebenswillens, wenn
man ihn einmal unmittelbar in ſich gefühlt und erlebt hat.
A11s dieſem Bertrauen fließt dann weiterhin die unerſchütter-
liche Zuverſicht, daß ſich im Lebenslied des ewigen Seins
auch die uns ſinnlos ſcheinenden grellen Diſſonanzen des
gegenwärtigen Krieges zu voller Harmonie auflöſen werden.
So iſt der Krieg für mich dadurch, daß er mich aus der
Schreibſtube herausriß und in ein Daſein intenſivſter Kraft-
entfaltung und konzentrierteſter Tätigkeit verſetzte, zu einem
Erlöſer von dem quälenden Wuſt grauer Theorien,
zu dem Wecker eines bisher ungeahnten Lebensgefühls
und zum Erzeuger einer nie erreichten Lebensſicher-
h eit geworden. Damit iſt die Frage nach dem Sinn des
Krieges für mich erledigt; über alles andere brauche ich
mir keine Gedanken zu machen. Ich habe aber auch die
Ueberzeugung, daß Du in der Heimat Aehnliches erleben
kannſt. Laß alles Grübeln und Philoſophieren, faſſe das
Problem des Krieges mit praktiſch tätigen Händen an,
wie und wo es Dir begegnet, im Kreis Deiner nahen und
fernen Bekannten, auf der Straße, in den Lazaretten, in
den Familien der im Kriege Stehenden oder Gefallenen,
Und Du wirſt in Dir erfahren, daß der Krieg uns zu einem
Leben der Tat erlöſen und daß er unſer Leben dadurch
vertiefen und bereichern will.
Aus Hamburg.
Unſere Spende. Wir ſprechen allen freundlichen
Gebern auch für den heutigen anſehnlichen Betrag unjern
herzlichſten Dank aus. Einige Schulen teilen uns mit,
daß ſie diesmal die Gaben für ihren eigenen Schulbezirk
verwenden, im Februar aber die gezeichneten Gelder wieder
unferer Sammlung zuführen werden. Die Klagen ver-
ſchiedener Kollegen über die Tätigkeit der Kriegshilfe, über
die mangelnde Opferfreudigkeit weiter bürgerlicher Kreiſe,
über Unmut und Gleichgültigkeit in unſeren eigenen Reihen
und deshalb der Wunſch, die private Wohltätigkeit ganz
durch die ſtaatliche Fürſorge erſezt zu ſehen, um einen
gerechten Ausgleich zu ſchaffen, hat den Hilfsausſchuß ver-
anlaßt, noch einmal die Unterſtüßungsfrage und die Zweck-
mäßigkeit und Notwendigkeit unſerer monatlichen Samm-
lungen einer eingehenden Erörterung zu unterziehen. Die
erneute Prüfung der Sachlage führte zu dem einſtimmigen
Beſchluß, unſere Tätigkeit in der bisherigen Weiſe fortzu-
ſezen. Wir ſind der Ueberzeugung, damit auch im Sinne
der großen Mehrzahl unſerer Kollegen zu handeln. Die
Beteiligung an den bisherigen Sammlungen und ihre Er-
träge ſprechen jedenfalls nicht dagegen.
Wenn man glaubt, die Kriegshilfe in einzelnen Fällen
tadeln zu müſſen, ſo mag das berechtigt jein; man bedenke
aber, daß über 99 Fälle, die zur Zufriedenheit erledigt
werden, weiter kein Wort verloren wird, ein vermeintlicher
oder wirklicher Mißgriff aber tagelang das Geſpräch und
den Gegenſtand hHeſtiger Angriffe bildet. Die oberſte
Leitung der Kriegshilfe iſt ſtets auf das eifrigſte bemüht,
durch bis ins einzelne gehende Beſtimmungen eine ungleich-
mäßige und anfechtbare Behandlung der Unterſtüßzungsfälle
auszuſchließen. Ganz undbeſtreitbar iſt die an Umfang ſiets
wachſende Arbeit der Kriegshilfe nicht nur auf dieſem,
ſondern auch auf den andern ebenſo wichtigen Gebieten
von ſegensreicher Wirkung, und es darf erwartet werden,
daß der Staat durch Zuſchüſſe helfen wird, wenn die
privaten Sammlungen der Kriegshilfe nicht mehr die er-
forderlichen Mittel für ihre erſprießliche Tätigkeit liefern.
Was aber als ausgeſchloſſen gelten darf, das iſt die An-
ſicht, der Staat werde nach Einſtellung der privaten Wohl=
tätigkeit durch Erhebung einer allgemeinen Kriegsſteuer
aller Not und Sorge ein Ende machen. Wer kann feſt-
ſtellen, weiche Forderungen in einem ſolchen Falle an den
Staat herantreten werden ? Denn die Privatwohltätigkeit
erſchöpft ſich doch nicht in den Sammlungen, über die in
den Zeitungen Öffentlich quittiert wird. Man wolle auch
nicht vergeſſen, welche gewaltigen Einnahmeausfälle gerade
Hamburg wegen völligen Darniederlicgens der Seeſchiffahrt
und des Seehandels zu buchen hat. Seit den erſten Tagen
der Mobilmachung geht in allen Staaten und Gemeinden
die öffentliche und private Fürſorge nebeneinander her, und
noch iſt an keiner Stelle dieſer Weg verlaſſen worden.
Es iſt eben in jedem das Gefühl lebendig, daß in dieſer
großen und ſchickjalsſchweren Zeit der ſtaatliche Zwang
nicht allein regieren darf, ſondern auch dem Opferſian und
den Liebeswerken ein Plat geſichert ſein muß. Und ſelbſt
wenn die völlige Ablöſung der privaten Fürſorge durch die
ſtaatliche möglich und leicht durchführbar wäre, von einem
in feſter Staatsſtellung befindlichen Stand, der in ſeinen
Bezügen noch keine Einbuße erlitten hat, darf ein Antrag
auf Unterbindung oder Einſtellung der privaten Wohltätig-
Reit niemals ausgehen. Wir würden uns dem Verdacht
ausſeßen, mehr an das eigene als an das allgemeine Wohl
gedacht zu haben. So unberechtigt und irreführend ein
ſolcher Berdacht auch ſein mag, er würde in der Defſſent-
lichkeit feine Wirkung zu unfern Ungunſten nicht verfehlen.
Und das groß gedachte und großartig ausgebaute Werk
der Liebe, das Rote Kreuz? Gibt es etwas Höheres in
dieſer Zeit als die unabläſſige Sorge für unſere erkrankten
und verwundeten und kämpfenden Soldaten? Und hier
werden mit der Fortdauer d25 Krieges die Ausgaben
ſtändig wachſen. Wollen wir auvc< da mit dem Geben ſo
lange warten, bis wir ſehen, wie weit andre die Hand
aufgemacht haben? Sicher wird der Staat mit ſeinen
Mitteln eintreten, wenn die Quelle der freiwilligen Gaben
verſiegen oder minder reichlich fließen ſolte. Aber wir
ſind des feſten Glaubens, daß die Quelle nicht verſiegen
wird, weder für das Rote Kreuz, noch für die Kriegshilfe.
Wenn wir bedenken, wie viele Männer freiwillig ihre
ganze Kraft und Zeit in den Dienſt der großen Sache
ſtellen, ſo darf der Gedanke nierrals Raum bei uns ge-
winnen, als ob wir ſchon genug oder gar zu viel getan
hätten. Auch drängt ſich die Frage auf, ob bei einer
Verſtaatlichung des Hilfswerks der Staat mit freiwilligen