Full text: Hamburgische Schulzeitung - 23.1915 (23)

Gewitter die Schatten der Einzeldinge von der allgemeinen 
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Finſternis verſchlungen werden, ſo. gingen all meine per- 
ſönlichen Aengſte und Nöte unter in der einen großen - 
Sorgeum das Geſamtwohl unſeres Bolkes 
und Baterlandes; ich fühlte mich aber auch mit 
fortgeriſſen von der lodernden Begeiſterung, dem heiligen 
Pflichtbewußtſein und dem feurigen Tatendrang, die wie 
ein gewaltiger elektriſcher Strom unſer ganzes Heer durch- 
glühten und all die Millionen Einzelſeelen zu einer ein- 
heitlichen Volksſeele zuſammenſchmolzen. Sodann erlebte 
ich tagtäglich auf Märſchen und in Schüßengräben zu 
meinem nicht geringen Erſtaunen, daß ich Anſtrengungen 
und Leiſtungen vollbringen, Entbehrungen und Strapazen 
erdulden konnte, denen ich mich früher garnicht gewachſen 
gefühlt hätte. Unter dem Einfluß dieſer neuen, unerwarteten 
Erfahrungen erwachte in mir ein [ſo intenſives 
Kraftbewußtſein und ein ſo ſtarkes Lebens- 
gefühl, daß all jene bangen Fragen und quälenden 
Zweifel mir wie weſenloſe Nebelſchleier von der Seele 
fielen, und auch die düſteren Eindrücke der traurigen Wirk- 
lichkeit um mich herum meiner troßgzigen Lebensbejahung 
nichts anhaben konnten. 
Man erlebt in dieſem Zuſtande des geſteigerten Lebens- 
gefühls aber nicht nur jein eigenes, gleichſam Ppotenziertes 
I<, man erlebt auch ganz unmittelbar und unreflektiert 
den alles durchflutenden, alles umſpannenden ewigen Lebens- 
willen. „Denn in ihm leben, weben und ſind wir.“ Von 
ihm fühlt man ſich getragen wie das Waſſertröpflein von 
den Wogen des nie verſiegenden Meeres. Und ſo wenig 
der Wajſertropfen verzagt, wenn er in dunklen Sturmes- 
nächten hin= und hergeworfen wird, weil er ſicher weiß, 
daß er doch immer wieder in den Schoß des Meeres zuU- 
rückfallen wird und daß keine Macht der Welt ihn aus 
dieſem Zuſammenhang reißen kann, ſo feſt und ſicher fühlt man 
ſich geborgen in den Armen des ewigen Lebenswillens, wenn 
man ihn einmal unmittelbar in ſich gefühlt und erlebt hat. 
A11s dieſem Bertrauen fließt dann weiterhin die unerſchütter- 
liche Zuverſicht, daß ſich im Lebenslied des ewigen Seins 
auch die uns ſinnlos ſcheinenden grellen Diſſonanzen des 
gegenwärtigen Krieges zu voller Harmonie auflöſen werden. 
So iſt der Krieg für mich dadurch, daß er mich aus der 
Schreibſtube herausriß und in ein Daſein intenſivſter Kraft- 
entfaltung und konzentrierteſter Tätigkeit verſetzte, zu einem 
Erlöſer von dem quälenden Wuſt grauer Theorien, 
zu dem Wecker eines bisher ungeahnten Lebensgefühls 
und zum Erzeuger einer nie erreichten Lebensſicher- 
h eit geworden. Damit iſt die Frage nach dem Sinn des 
Krieges für mich erledigt; über alles andere brauche ich 
mir keine Gedanken zu machen. Ich habe aber auch die 
Ueberzeugung, daß Du in der Heimat Aehnliches erleben 
kannſt. Laß alles Grübeln und Philoſophieren, faſſe das 
Problem des Krieges mit praktiſch tätigen Händen an, 
wie und wo es Dir begegnet, im Kreis Deiner nahen und 
fernen Bekannten, auf der Straße, in den Lazaretten, in 
den Familien der im Kriege Stehenden oder Gefallenen, 
Und Du wirſt in Dir erfahren, daß der Krieg uns zu einem 
Leben der Tat erlöſen und daß er unſer Leben dadurch 
vertiefen und bereichern will. 
 
Aus Hamburg. 
Unſere Spende. Wir ſprechen allen freundlichen 
Gebern auch für den heutigen anſehnlichen Betrag unjern 
herzlichſten Dank aus. Einige Schulen teilen uns mit, 
daß ſie diesmal die Gaben für ihren eigenen Schulbezirk 
verwenden, im Februar aber die gezeichneten Gelder wieder 
unferer Sammlung zuführen werden. Die Klagen ver- 
ſchiedener Kollegen über die Tätigkeit der Kriegshilfe, über 
die mangelnde Opferfreudigkeit weiter bürgerlicher Kreiſe, 
über Unmut und Gleichgültigkeit in unſeren eigenen Reihen 
und deshalb der Wunſch, die private Wohltätigkeit ganz 
durch die ſtaatliche Fürſorge erſezt zu ſehen, um einen 
gerechten Ausgleich zu ſchaffen, hat den Hilfsausſchuß ver- 
anlaßt, noch einmal die Unterſtüßungsfrage und die Zweck- 
mäßigkeit und Notwendigkeit unſerer monatlichen Samm- 
lungen einer eingehenden Erörterung zu unterziehen. Die 
erneute Prüfung der Sachlage führte zu dem einſtimmigen 
Beſchluß, unſere Tätigkeit in der bisherigen Weiſe fortzu- 
ſezen. Wir ſind der Ueberzeugung, damit auch im Sinne 
der großen Mehrzahl unſerer Kollegen zu handeln. Die 
Beteiligung an den bisherigen Sammlungen und ihre Er- 
träge ſprechen jedenfalls nicht dagegen. 
Wenn man glaubt, die Kriegshilfe in einzelnen Fällen 
tadeln zu müſſen, ſo mag das berechtigt jein; man bedenke 
aber, daß über 99 Fälle, die zur Zufriedenheit erledigt 
werden, weiter kein Wort verloren wird, ein vermeintlicher 
oder wirklicher Mißgriff aber tagelang das Geſpräch und 
den Gegenſtand hHeſtiger Angriffe bildet. Die oberſte 
Leitung der Kriegshilfe iſt ſtets auf das eifrigſte bemüht, 
durch bis ins einzelne gehende Beſtimmungen eine ungleich- 
mäßige und anfechtbare Behandlung der Unterſtüßzungsfälle 
auszuſchließen. Ganz undbeſtreitbar iſt die an Umfang ſiets 
wachſende Arbeit der Kriegshilfe nicht nur auf dieſem, 
ſondern auch auf den andern ebenſo wichtigen Gebieten 
von ſegensreicher Wirkung, und es darf erwartet werden, 
daß der Staat durch Zuſchüſſe helfen wird, wenn die 
privaten Sammlungen der Kriegshilfe nicht mehr die er- 
forderlichen Mittel für ihre erſprießliche Tätigkeit liefern. 
Was aber als ausgeſchloſſen gelten darf, das iſt die An- 
ſicht, der Staat werde nach Einſtellung der privaten Wohl= 
tätigkeit durch Erhebung einer allgemeinen Kriegsſteuer 
aller Not und Sorge ein Ende machen. Wer kann feſt- 
ſtellen, weiche Forderungen in einem ſolchen Falle an den 
Staat herantreten werden ? Denn die Privatwohltätigkeit 
erſchöpft ſich doch nicht in den Sammlungen, über die in 
den Zeitungen Öffentlich quittiert wird. Man wolle auch 
nicht vergeſſen, welche gewaltigen Einnahmeausfälle gerade 
Hamburg wegen völligen Darniederlicgens der Seeſchiffahrt 
und des Seehandels zu buchen hat. Seit den erſten Tagen 
der Mobilmachung geht in allen Staaten und Gemeinden 
die öffentliche und private Fürſorge nebeneinander her, und 
noch iſt an keiner Stelle dieſer Weg verlaſſen worden. 
Es iſt eben in jedem das Gefühl lebendig, daß in dieſer 
großen und ſchickjalsſchweren Zeit der ſtaatliche Zwang 
nicht allein regieren darf, ſondern auch dem Opferſian und 
den Liebeswerken ein Plat geſichert ſein muß. Und ſelbſt 
wenn die völlige Ablöſung der privaten Fürſorge durch die 
ſtaatliche möglich und leicht durchführbar wäre, von einem 
in feſter Staatsſtellung befindlichen Stand, der in ſeinen 
Bezügen noch keine Einbuße erlitten hat, darf ein Antrag 
auf Unterbindung oder Einſtellung der privaten Wohltätig- 
Reit niemals ausgehen. Wir würden uns dem Verdacht 
ausſeßen, mehr an das eigene als an das allgemeine Wohl 
gedacht zu haben. So unberechtigt und irreführend ein 
ſolcher Berdacht auch ſein mag, er würde in der Defſſent- 
lichkeit feine Wirkung zu unfern Ungunſten nicht verfehlen. 
Und das groß gedachte und großartig ausgebaute Werk 
der Liebe, das Rote Kreuz? Gibt es etwas Höheres in 
dieſer Zeit als die unabläſſige Sorge für unſere erkrankten 
und verwundeten und kämpfenden Soldaten? Und hier 
werden mit der Fortdauer d25 Krieges die Ausgaben 
ſtändig wachſen. Wollen wir auvc< da mit dem Geben ſo 
lange warten, bis wir ſehen, wie weit andre die Hand 
aufgemacht haben? Sicher wird der Staat mit ſeinen 
Mitteln eintreten, wenn die Quelle der freiwilligen Gaben 
verſiegen oder minder reichlich fließen ſolte. Aber wir 
ſind des feſten Glaubens, daß die Quelle nicht verſiegen 
wird, weder für das Rote Kreuz, noch für die Kriegshilfe. 
Wenn wir bedenken, wie viele Männer freiwillig ihre 
ganze Kraft und Zeit in den Dienſt der großen Sache 
ſtellen, ſo darf der Gedanke nierrals Raum bei uns ge- 
winnen, als ob wir ſchon genug oder gar zu viel getan 
hätten. Auch drängt ſich die Frage auf, ob bei einer 
Verſtaatlichung des Hilfswerks der Staat mit freiwilligen
	        
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