Full text: Hamburgische Schulzeitung - 23.1915 (23)

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Forderung, daß die private Fürſorge durch die ſtaatlich 
organiſierte abzulöſen ſei, damit ein jeder nach ſeinem Ver- 
mögen - beſteuert werde. Der Hilfsausſchuß verkennt Reines- 
wegs das Berechtigte dieſer Forderung ; er hat ſich aber 
Überzeugt, daß ſie bei den geſeßgebenden Körperſchaften nicht 
durchzuſetzen iſt. 
Wir dürfen uns auch nicht abhalten laſſen durch Miß- 
griffe und Fehler, die den Organen der privaten Fürſorge 
zur Laſt gelegt werden. Daß bei einer ſolchen Rieſen- 
organiſation, die erſt mit dem Kriege geboren wurde, 
manche Fehler gemacht werden, iſt nicht zu vermeiden. 
Ebenſo begreiflich aber iſt es, daß Außenſtehende leicht ge- 
neigt find, vereinzelte Fälle zu verallgemeinern. Man 
bringe feſtgeſtellte Mißgriffe an zuſtändiger Stelle zur 
Sprache oder teile dem Hilfsausſchuß das Nötige zur 
weiteren Veranlaſſung mit. 
Wir wiſſen, daß manche von uns an der Grenze der 
Leiſtungsfähigkeit angelangt ſind, daß ſie die allmonatlich ge- 
zeichneten Summen bei einer längeren Kriegsdauer kaum 
werden beibehalten können. Wir erwarten einen Ausgleich 
durch diejenigen, die ſich bisher zurückgehalten haben. Dann 
wird das Geſamtergebnis unſerer monatlichen Sammlungen 
nicht zurückgehen. 
Kollegen und Kolleginnen! Noch nie ſah die Welt ein 
ſolches Ringen der Bölker. Noch nie wurden von unſerm 
deutſchen Volke ſolche Opfer gefordert an Gut und Blut. Laßt 
UN5 ſie freudig bringen ! Laßt uns unſern Mitbürgern ein 
Beiſpiel geben an Opferwilligkeit und Hilfsbereitſchaft, ge- 
treu unſerer Pflicht als Erzieher und Führer der deutſchen 
Jugend ! 
Der Hilfsausſ<uß 
der Hamburger Lehrerſchaſt. 
Iohs. Paulſen, Th. Blinckmann, A. Fahrenkrug, 
H. Möller, W. Paulſen, F. Peters, 
R. Sievers, I. Arpe, H. Trojt, 
I. Maas, I. H. Kanne, H. Schlüter, 
A. Struvxz, I. I. Scheel, C. Japp. 
Olga Peterſen, 
Emma Preuß, 
Fr. v. Borſtel, 
Mathilde Fiſcher, 
Von deutſcher Vaterlandsliebe. 
Bon N. N. 
Keine Zeit iſt mehr geeignet als die jeßige, zu Unter 
ſuchen, wenn wir es noch nicht wüßten, was es eigentlich 
iſt, was wir „BVaterländiſches“, „Nationales“, „Batriotiſches“ 
nennen. Kein Menſch will „antinational“ geheißen werden, 
Keiner wil „unpatriotiſch“ ſein. 
Was iſt es denn, was wir BVaterlandsliebe oder Patriotis- 
mus nennen ? Es war einem Mitarbeiter einer päda- 
gogiſchen Zeitung, dem Roland, vorbehalten, vor einigen 
Jahren vor aller Welt zu behaupten, daß der Patriotis- 
mus immer etwas BVerwerfliches ſei. Ja, es gibt Menſchen, 
jedenfalls habe ich ſolche Leute kennen gelernt, Menſchen, die 
Anſpruch darauf machten, zu den Gebildeten gezählt zu 
werden, die da behaupteten, nicht zu wiſſen, was Patriotis- 
mus ſei. Sollte nur das Fremdwort ſchuld ſein, daß ihnen 
das Verſtändnis dafür fehlt ? Ein Gebildeter ſein und nicht 
Baterlandsliebe oder vaterländiſche Geſinnung zu kennen 
Öpder zu beſißzen ? 
Es muß freilih wohl ſolche Leute geben, wenn es ſelbſt 
ein Ferdinand Avenarius behauptet : „Freilich, bei vielen 
iſt er (der Inſtinkt der vaterländiſchen Geſinnung nämlich) 
durc< andere Erlebniſſe verſchüttet oder unentwickelt oder 
nicht vorhanden.“ Daß aber unter normalen Verhältniſſen 
einem Menſchen ein beſonderes Vaterlandsgefühl oder Pa- 
triotismus oder wie man es ſonſt nennen will, innewohnt, 
iſt auc< für Avenarius ſelbſtverſtändlich. „Daß es ein un- 
mittelbares Gefühl gibt nict nur für das, was unſerer 
ſubjektiven Art entſpricht, ſondern auch dafür, was zu 
Unſerer Stammes- und Bolksart gehört und was ihr fremd 
iſt, daß es ein Gefühl gibt, welches die Volksgeſamtheit 
 
in ihrer Eigenart im ſubjektiven Bewußtſein als ein von 
der übrigen Menſchheit geſondertes „Wir“ kennzeichnet, iſt 
eine Tatſache, die nur der beſtreiten kann, dem dieſes Er- 
lebnis fremd iſt.“ Und Avenarius fährt fort : „Es handelt 
ſich dabei keineswegs um eine Suggeſtion, vielmehr 
hältjenerInſtinkt auch der mißtrauiſchen 
Kritikſtand. . . . Dieſer Inſtinkt iſt der feſteſte Kitt 
eines Volkes.“ 
I<h habe Avenarius angeführt, um auch für demo- 
kratiſche Gemüter einen guten Gewährsmann zu haben. 
Sonſt hätte ich Männer bringen können, die mit beredteren 
Worten über vaterländiſche Geſinnung geſchrieben haben. 
Aber dieſe Kennzeichnung des Baterländiſchen von 
Avenarius iſt noch reichlich unbeſtimmt. Sehen wir es 
pſychologiſch an. Was war es, was uns bewegte, als 
vor Monaten der Krieg ausbrach, uns ein Staat nach 
dem andern den Krieg erklärte und die Zahl unſerer Feinde 
ſchier endlos zu wachſen ſchien? Was war es, als durch 
Hamburg endloſe Züge mit Truppen kamen, deren Bruſt 
kampfgeſchwellit war, die mit donnernden Hurrarufen 
unſere Stadt verließen, was war es, was uns das Herz 
bewegte? Ein tiefes, ein heiliges Gefühl -- Baterlands- 
liebe. 
Zwar in den Lehrbüchern der Pſychologie trifft man 
dies Gefühl nicht erwähnt. Aber gerade ſo gut, wie es 
religiöſe Gefühle gibt, ſo gibt's auch vaterländiſche Gefühle. 
Die jüngſie Zeit hat's uns gelehrt, daß dies Gefühl in 
unſerm Bolke noch lebt. Keiner kaun wünſchen, daß „der 
feſteſte Kitt eines Volkes“ bei uns je ſchwände, er ſei 
denn ein Feind von UNS. 
Aber das vaterländiſche Gefühl ſoll nicht nur ein Ge- 
fühl bleiben, es ſoll auch richtunggebend für unſer Handeln 
ſein, es ſoll eine Geſinnung werden. Baterländiſche Ge- 
ſinnung ſoll auch unſer Ziel ſein bei der Willensbildung 
der uns anvertrauten Jugend. Zwar die meiſten Menſchen 
nehmen vaterländiſche Geſinnung für ſich in Anſpruch. 
Und jeder hält ſeine Geſinnung für die echt vaterländiſche. 
Nach dem einen iſt die Mehrung der Kulturgüter die echte 
vaterländiſche Geſinnung. Ja, wer von uns Deutſchen 
wäre nicht ſtolz auf unſere Kultur! Wer von uns möchte 
auch nur einen Stein von dieſem ſtolzen Bau miſſen ? 
Andere preiſen ihre ſoziale Geſinnung als echt vaterlän- 
diſch. Gewiß, wir ſind ſtolz auf unſere ſozialen Einrich» 
tungen. Kein Volk der ganzen Welt hat etwas Ähnliches 
geſchaffen wie das deutſche Bolk. Und wir laſſen uns die 
Freude an unſerer Kultur und unſern ſozialen Einrichtungen 
nicht trüben, wenn auch jahrelang in vielen Blättern zu 
leſen war, daß wir doch eigentlich noh hinter den Ruſſen 
ſtänden. 
Kultur und Sozialethik, faſt ſind es Schlagworte ge- 
worden. Neben Kunſt, die man am meiſten hören und 
leſen konnte. Es iſt damit nichts gegen dieſe Dinge ge- 
ſagt. Sie entſprechen dem deutſchen Volks<harakter j9 
ſehr, ſie ſind uns ſo nötig wie das tägliche Brot. Auch 
die Kunſt. 
Aber Kultur, Kunſt, Sozialethik ſie können nur in 
einem geordneten Staatsweſen volkstümlich werden, NUT 
hier in breite Schichten des Bolkes dringen. Und Tage 
des Friedens gebrauchen wir, damit dieſe Saat geſät wer- 
den kann, damit ſie gedeihe. 
Und wie gelangt man zu lang dauerndem Frieden ? 
Nicht durch ſchöne Redensarten, nicht dur Verſicherungen, 
daß man ſehr friedliebend ſei. Es gibt nur ein Mittel, und 
dies Mittel heißt Macht. Bei einem mächtigen Bolk 
wird ſich jeder hüten, den Frieden zU ſtören. Dieſe Be- 
reitſc<haft eines Bolkes, mit dem Schwert in der Fauſt die 
Heimatsgaue gegen fremde Eindringlinge zu verteidigen, 
ſie iſt eine notwendige Eigenſchaft einer echten Baterlands- 
liebe. Das muß ſie bei jedem Bolk ſein, ganz beſonders 
beim deutſchen Volk, das viele Feinde hat. Wer ſich zu 
dieſer Erkenntnis uicht durchringen kann, der hat nicht die 
echte Vaterlandsliebe.
	        
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