Full text: Hamburgische Schulzeitung - 23.1915 (23)

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Sendungen an Lazarette, Etappen und Truppenlager und 
in kleineren Paketen an einzelne Krieger verſandt hat und 
fortgeſeßt weiter verſendet : „Zu dritt ſigen wir hier in einer 
Deckung. Die Freude über die Sendung Können Sie jich 
gar nicht denken. Man ſchaut gleich wieder anders in die 
Welt, die hier ſo troſtlos, ſchmußig, zerſtört und ſchal er- 
ſcheint, wenn der Geiſt ſich am beſten deutſchen Geiſt ein- 
mal wieder erfriſcht hat“. Ein Lehrer teilt von der oſt- 
preußiſchen Front mit, daß er Reuterleſeſtunden abhalte, 
Kriegsberichte vorleſe und die Ereigniſſe an der Hand von 
Kriegskarten erläutere und dabei eine dankbare, aufmerk=- 
ſame Zuhörerſchaft finde. Ein Obermatrofe iſt außer ſich 
vor Freude, daß er Keller, Storm, Ferdinand Meyer und 
Raabe für ſeine Kameraden erhalten hat. Der Bedarf an 
Büchern iſt aver noch an vielen Stellen fehr groß. Der 
Geſellſchaft für Verbreitung von Bolksbildung (Geſchäfts 
ſtelle : Berlin NW 52, Lüneburger Straße No. 21) iſt 
deswegen die weitere Zuſendung von Büchern und Geld- 
mitteln ſehr willkommen. 
Beue Jufgaber der Geopgrapizie.*) Nicht nur 
die allgemeine Bedeutung der Geographie iſt jezt erheblich 
im Preiſe geſtiegen ; vielmehr zeigen ſich bereits auch ſchon 
Anſägze, wo der Hebel bei Löſung einzelner Teilaufgaben 
des geographiſchen Unterrichts in Zukunft einzuſezen haben 
wird. 
Da iſt es vor allem die von übermodernen Geographen 
ſchon oft totgeſagte politiſche Geographie, deren unverwüſt- 
liche Lebenskraft der Krieg, der Umwerter vieler Werie, 
aufs neue gezeigt hat. Die realen politiſchen Staatsgevdilde 
haben ſich gegenüber den begrifflichen geographiſchen Ein- 
heiten als ſtärker erwieſen. Es ſei nur an die Nieder- 
lande, an Belgien und die Schweiz erinnert. Der nieder- 
ländiſche Zipfel bei Maaſtricht und die Schweizer Eck2 bei 
Porrentruy wirken infolge politiſcher Verhältniſſe wie Alpen- 
mauern. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, dürfte die ſo 
ielfach betoyte „phyſikaliſche Grundlage“ aller geogra- 
phiſchen Betrachtung etwas ins Wanken geraten. 
In bezug auf Raſje, Religion und Kulturhöhe zeigen 
ſich unter den kriegführenden Parteien die allerkraſſeſten 
Gegenſäße. Man mache einmal den Verſuch, die „Bölker- 
ſchaften“ zu zählen, die nebeneinander und gegen- 
einander kämpfen (man vergl. meinen Auffas über „Kriegs- 
geographie“ im Geogr. Anz. 1914, H. 11, S. 245). Es 
bleibt aiſo nur die eine Tatſache beſtehen : Staat geht gegen 
Staat im Umfange des ihm zugewieſenen geographiſchen 
Raumes und im Berfolg ſeines ſtaatspolitiſchen Geſamt- 
interejſes. Demgemäß werden wir auch in Zukunft unſeren 
Geographieunterricht einzurichten haben. 
Die zweite dringliche Aufgabe, die uns der Krieg ge- 
offenbart hat, iſt die, daß fortan unſer Kolonialbeſiß, unſere 
Flotte und das Deutſchtum im Auslande, mit einem Worte 
unjere nationalen Ueberſeeintereſſen, noch 
weit mehr und gründlicher als bisher gehegt und gepflegt 
werden müſſen. Mit einem Wehgefühl im Herzen ge- 
denken wir heute unſerer deutſchen Brüder in der Fremde, 
die, eingeſponnen in das feindliche Lügenneß ſchändlichſter 
Verleumdungen, gleichſam verraten und verkauft ſind. Wir 
gedenken aber auch mit freudigem Stolze und für alle 
Zeiten der Helden, die in treuer „Pflichterfüllung bis aufs 
äußerſte“ auf verlorenem Poſten ausharrten (Tſingtau 1), 
oder die ihre deutſche Treue durch ein feuchtes Grab in 
den Wellen des Ozeans beſiegelten (Auslandkreuzer !) 
Eine Heldentat. Vom weſtlichen Kriegsſchauplaz 
berichtet ein Feldgeiſtlicher in einem Briefe über ſolgende 
Heldentat eines Kollegen : 
Nun will ich hier von einem tapferen jungen Lehrer 
erzählen, der als erſter ſeiner rheiniſchen Heimat- und 
 
*) Aus: Geogr. Anzeiger, Zeitſchr. d. Verb. deutſcher Schul- 
geographen. Januar 1915. 
Dienſtgemeinde das Eiſerne Kreuz erhalten hat. Ein 
Ulanenoffizier, eine Ordonnanz, war aus dem Hinterhalt 
von vier Engländern überfallen worden. Das ſah der 
Lehrer, der mit dem Pferde ſeines erſchoſſenen Hauptmanns, 
das er eingefangen, abſeits hielt, um ſich einen Streifſchuß 
am Fuße zu verbinden. Seiner Wunde nicht achtend, und 
obwohl nur ein Sonntagsreiter, ſchwang er ſich auf das 
Pferd, galoppierte fort und ſchlug mit einem franzöſiſchen 
Küraiſierpallaſch zwei der Angreifer des ſchon ermatteten 
und aus vielen Wunden blutenden Leutnants nieder. Den 
dritien machte er durch einen Hieb kampfunfähig, während 
der vierte ſich darauf gefangen gab, da er bereits von dem 
Offizier beträchtlich verwundet worden war. Micht genug 
damit, übernahm der wackere Lehrer nun auch noch das Ueber- 
bringen jener Meldung nach einem zwei Kilometer ent- 
ſernten kleinen Kommando, kehrte wieder zurück zu ſeinem 
Truppenteil und brach hier wegen des ſtarken Blutverluſtes 
aus ſeinen Wunden erſchöpft zuſammen. Der Divi- 
ſionsgeneral heftete ihm perſönlich das Eiſerne Kreuz an 
und verkündigte ihm ſeine Ernennung zum Leutnant. (Ser- 
geant war der Lehrer.) Der Brave, deſſen linke Fußſehne 
ſteif bleiben wird, muß nach ſeiner Heilung als Kriegsun- 
tauglich wieder zu ſeiner Schule entlaſſen werden. 
(Weſtpreußiſche Schulzeitung.) 
Bückermartkt. 
&ulturgeogrophie Deutſchlands und ſeiner Sßvubgebiete. Für 
Bolks-, Mittel- und Fortdildungsij<ulen bearbeitet Dr. 
O. Schumann, Beigeordnetem und Stadtjichulrat in Elber- 
feld. BWerlag von Belhagen & Klaſing, Bielefeld und 
Leipzig 1914. 38 Seiten. Preis ? 
Ein kleines, anſpruchsloſes Büchlein, das weder neue Ge- 
danken, noch neuen Stoff bringt, das aber einen allgemein an- 
erkannten pädagogijihen Grundſas durch geſchickte Auswahl 
und Anordnung des Stoffes klar Zervortreten lätzt. Dieſer 
Grundſaß beſteht, wie es im Vorworte bezeichnet iſt, darin, „daß 
der Unterricht n< nicht in Einzelheiten“ und Nebenſächlickeiten 
verlieren, ſondern ſich auf das Charakteriſiüſc<he und für die Ge- 
genwart Bedeutſame beſchränken ſol.“ Vei dein reichhaltigen 
Stoff der meiſien erdkundlichen Lehrbücher beſteht für den Lehrer 
die Gefahr, jic) in Einzelheiten zu vertiefen, deren Behandlung 
das erdkundliche Denken des Schülers wenig fördert, und die 
Hauptjachen wegen Zeitnot übers Kni2g zu breczen. Das vor- 
zügliche Lehrbuch von Harms bat ſchon manchen verleitet, in 
dieſein Fehler zu verfallen. Die Kulturgeographie von Schumann 
gann dem Anfänger ein nüßlicher Ratgeber ſein. 
Der 1. Teil, „das Mutterland“, bringt die Volkswirtſchaft 
Deutſchlands unter gelegentlichen Vergleichen mit dem Auslande 
inter folgender Gliederung zur Daritellung: Landwirtſchaft, 
Bergbau, Induſtrie, Handel und Berkehr, Hamdurger Hafen, 
Sorge für den Arbeiter, Heer, Kriegsfloite, Deulichtum im Aus- 
lande. Der 2., kürzere Teil handeit von den deutſchen Schuüße- 
gebieten. Ueberall wird in gedrängter Kürze unter ſfpyarſamer 
Berwendung von Zahlengruppen das Tatſächliche geboten, Z. B. 
Erzeugung der Rohſtoſſe, ihre Verarbeitung, Ein- und Ausfuhr, 
wichtige Märkte und Häfen. Textkarten, Skizzen und Bilder 
ſind in dem Buche nicht enthalien. Das Beſtreben, alles mög- 
lUchſt knapp auszudrücken, hat bisweilen Ungenauigkeiten und 
Unrichtigkeiten zur Folge aehabt. Ieder den Anbau des Weizens 
in Deutſchland heißt es: „Weizen wird vorzugsweiſe in Elſaß- 
Lothringen und in der oberrheiniſchen Tiefebene angebaut.“ 
Dieje Angabe mutz in dem Schüler falſche Vorſtellungen er- 
wegen. Das bedeutendſte Anbaugebiet des Weizens liegt 
zwiſchen Magdeburg und der Weſer; außerdem kommen das 
mittlere Schleſien, das Mainbecken, das deutſche Donaubecken, 
ein Gebiet links am Unterrhein und das rechte Ufergebiet der 
Weichſel in Betracht. Jedenfalls übertreffen dieſe Gebiete die 
Anbaufläche des Weizens in Elſaß - Lothringen und der ober- 
rheiniſchen Tiefebene bei weitem. Bei der Kartoffel fehlt die 
Verwendung zu Branntwein und Stärke. Ob Deutſchland den 
„vejten“ Wein erzeugt (S. 3), iſt doch wohl ſehr fraglich. Unter 
den Gebieten Deutſchlands, in denen die Pferdezucht als am 
ſtärkſten betrieben bezeichnet wird, fehlt 3. B. Hannover. Der 
bihnitt Bergbau (S. 5 bis 7) beſchränkt ſich auf die Ge- 
winnung von Eiſen, Kohie, Gold und Silber. Ueber die deutſche 
Goldgewinnung iſt nichis geſagt worden und zwar mit Recht, 
da ſie jährlich nur 100 kg beträgt. Von der deutſchen Silver- 
förderung heißt es, ſie „nehme zwar in Europa immer noch die 
erſte Stelle ein, ſei aber dennoch unbedeutend.“ Immerhin be- 
trägt ſie etwa 180 Tonnen jährlich. Eautweder hätten beide Me- 
talle fehlen, oder ſie hätten mit Zahlen belegt werden müſſen. 
Auffällig iſt die völlige Außerachtlaſſung ſolcher Metalle, die in
	        
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