-- 534 --
Es wird in deutſchen Schulen viel zu viel jugendliche
Beit und Kraft den fremden Sprachen gewidmet. Kinder;
die nicht ſprachbegabt ſind, haben es nicht gut in deutſchen
Schulen. (In letter Zeit iſt es wohl etwas beſſer ge-
worden.) Das gewaltige Opfer an Zeit und Kraft ſteht
in keinem Verhältnis zu dem Erfolge. Nur der kleinſte
Teil derer, die da Franzöſiſch und Engliſch lernen, wird
einſt ernten, was ſo mühſelig geſät wird. Anſtatt zum
Studium fremder Sprachen zu ermuntern, ſollte man eher
davor warnen. „Nur wenig ſah ich glücklich enden“, ſs
kann man von denen ſagen, die ſich mit Eifer auf eine
Sprache ſtürzten. Denn nur eine recht geringe Zahl wird
zum wirklichen Genuß ihrer Arbeit gelangen: zum ver-
ſtändnisvollen Leſen in der fremden Sprache. Wer nicht
eine umfaſſende Kenntnis des fremden Wortſchaßes hat =
und dazu gehören viele Tauſende von Wörtern =, der iſt
zu dem ewigen ſtumpfſinnigen Bokabelnachſchlagen ver-
dammt, das den Fluß der Gedanken immer wieder aufs
unangenehmſte unterbricht. Um dieſe Störungen zu ver-
meiden, gibt es eben nur ein Mittel: ſich den Wortſchaß
aneignen. Das iſt eine harte Arbeit, die jahrelangen
eiſernen Fleiß verlangt. Aber auch die Kenntnis des Worts-
ſchages allein genügt noch nicht; man muß auch alle mög=-
lichen Wortverbindungen und Redensarten kennen; von
der Grammatik, die auch manche harten Nüſſe zu knacken
gibt, rede ich als von einer ganz ſelbſtverſtändlichen Sache nicht
erſt. Da hatte jemand recht nett gelernt Frau, iemme;
Milch, lait; er kannte auch die Bedeutung des Verhält-
niswortes A; nun wollte er nach ähnlichen Formen Milch-
frau ins Franzöſiſche überſeßen und bildete den Saß : ia
femme au lait esi yenus. Er war nicht wenig erſtaunt
und auch eiwas ärgerlich, als er mit dem ſo regelrecht ge-
zimmerten Saze die tollſte Heiterkeit erregt. Was war
denn da zu lachen? Die femme au lait iſt nämlich --
ich ſage das nur für „Ungebildete“ ; denn „Gebildete“
würde ich ja beleidigen -- die Amme.
Der Genuß einer fremden Dichtung, ſo wird immer
geſagt, ſei unvergleichlich höher als der einer Ueberſezung.
Das iſt in vielen Fällen eine Selbſttäuſchung. Wer das
Wörterbuch bei ſich liegen haben muß, iſt noch nicht reif.
Aber zum vollen Genuß einer Dichtung gehört außer der
Kenntnis des Wortſchaßges noc< ein zweites. Jedes Wort
hat neben ſeiner durch den Verſtand zu erfaſſenden Be-
deutung noh einen gefühlsmäßigen Wert. Man vergleiche
Backe und Wange; Kindlein und Kindchen; ſtehlen, mauſen,
naſchen und entwenden ; Männer und Mannen ; Länder
und Lande; vernimm mein Flehn und höre meine Bitte ;
gedenke des Todes und denke an den Tod. Dieſes die
Wörter begleitende Gefühl, Gemeingefühl heißt es in der
Sprache der Seelenlehre, kann alle Färbungen annehmen:
erhaben, feierlich, edel, gewählt, geſucht, geziert, altertüm-
lich, neu, gemütlich, volkstümlich, derb, niedrig, abge-
droſchen, ſteif, kalt, nüchtern, warm uſw. In der Mutter-
ſprag: ſtellt ſich dies Gefühl auf natürliche Weiſe ein;
die Wörter werden bei beſtimmten Erlebniſſen geſprochen,
und es bleibt ein Gefühlsniederſchlag zurück, der ſich mit
ihnen verbindet. Sehr ſchön hat dieſem Borzug der Mutter-
ſprache Schenkendorf in dem bekannten Gedicht Ausdruck
verliehen. In der fremden Sprache können wir uns den
Gefühlston der Wörter nur auf eine ſehr künſtliche Weiſe
aneignen. Mit dem Verſtand müſſen wir begreifen: d8cEsS
iſt das nüchterne Amtswort, und trEepas iſt der feierliche
Ausdruck. Stellt ſich damit aber auch das Gefühl ein ?
Haben wir nah einiger Zeit die Wertbedeutung vergeſſen,
ſo müſſen wir erſt wieder im ZOörterbuc) nachſchlagen, ob
wir in gewählter Sprache dE&CES oder trEpas ſagen müſſen.
Bom Verſtand auf das Befühl einwirken zu wollen, iſt
eben ſehr ſHwer. Für das Erlernen einer Sprache trifft
Goethes Wort zu: „Aller Anfang iſt ſchwer; das mag
in einem gewiſſen Sinne wahr ſein. Allgemeiner aber
kann man ſagen: Aller Anfang iſt leicht, und die letzten
Stufen werden am ſ<werſten und ſeltenſten erſtiegen.“
Die tiefe Wahrheit dieſes Spruches iſt mir gerade beim
Sprachenlernen ſo recht klar geworden. Und deshalb
möchte ich jedem, der nicht große Opfer bringen will, ab-
raten, das Studium einer Sprache zu beginnen. Um ſo
mehr wundert es mich aber, daß an unſern Schulen, zu-
erſt an den Realſchulen, und verführt durch ſie nun auch
an den Volksſchulen, z wei fremde Sprachen gelehrt
werden in einem Alter, wo die Schüler noch genug mit
ihrer Mutterſprache zu tun haben und wo eine fremde
Sprache gerade ſchon genug wäre. Dieſe übermäßige Be-
tonung der fremdſprachlichen Bildung halte ich für eine
der ſchlimmſten Schädigungen unſerer Schulen. Die Schuld
trägt der Einjährigenſchein, dieſer unglückſelige Ein-
jährigenſchein. Denn im Grunde genommen, iſt die
Mehrzahl des deutſchen Bolkes vernünftig genug, ein-
zuſehen, daß zwei fremde Sprachen durchaus nicht nötig
ſind zur Bildung. Aber jeder will ſeinem Sohne die Ber-
günſtigung dieſes Scheines verſchafſen, was auch ſein gutes
Recht iſt. Die zweite Fremdſprache wird in vielen Fällen
nicht gelernt, weil man von der hohen Bildung der paar
Sprachbrocken überzeugt wäre, ſondern um den Schein zu
erlangen. Die durch dieſen erſehnten Schein beförderte
Bildung iſt in doppeltem Sinne eine „S < einbildung.
Iſt der Schein erlangt, ſo werden alle, die nicht durch
Beruf oder Neigung zur Weiterarbeit getrieben werden,
allmählich ihre „univerſale“ Bildung vergeſſen. Vielleicht
verſucht der eine gelegentlich, ſeine Kenntniſſe zu verwerten.
Er wird aber bald inne werden, was das mit ſeiner „Aus-
bildung in drei Sprachen“ auf ſich hat. „Scheinbildung!“*
Wenn er nach zehn Jahren eine engliſche oder franzöſiſche
Zeitung oder auch ein Buch in die Hand nimmt, wird er
nur ſchwer den Sinn enträtſeln können. Nimmt er
aber ein Werk irgend eines wiſſenſchaftlichen Gebietes in
die Hand, ſo iſt er bald wieder in der Sache drin.
Nämlich ein Umſtand unterſcheidet das Sprachſtudium
weſentlich von andern Gebieten und macht es ſo ſchwer :
Leſe ich einen fremdſprachlichen Text, ſo muß ich in jedem
Augenblick das ganze Sprachwiſſen zur Hand haben; denn
die Kenntnis jeder Vokabel und jeder Regel kann jeder-
zeit zum Verſtändnis des Textes erforderlich ſein.
(Schluß folgt.)
Aus Hamburg.
Unſer Mitarbeiter, der ehemalige Schulvorſteher Herr
C. Rud. Shnitger iſt am 11. d. Mts. im 75. Lebens-
jahre ſanft entſchlafen.
Der plößliche Tod des ſeit langem leidenden alten
Herrn hat leider ſeine Befürchtung erfüllt, er würde das
Erſcheinen ſeines jetzt fertig geſezten Quickbornbuches „Platt-
deutſche Straßennamen in Hamburg“ nicht mehr erleben.
Das Korrekturleſen hatte ihn ſchon ſehr angegriffen, ebenſo
bereits im vorigen Jahre die Durchſicht einer hier von be-
hördlicher Seite vorbereiteten Erklärung der hamburgiſchen
Straßennamen.
Die Hamburgiſche Schulzeitung wird nicht verſäumen,
demnächſt auf die literariſche Wirkſamkeit des Berſtorbenen
zurückzukommen. Einen treueren und ſelbſtloſeren Mit-
arbeiter hat unſer Blatt nicht gehabt.
Der Verein für Ingendſchulz und Ingendwohl
überſendet uns ſeinen Jahresberi<ht. Die Kriegszeit hat
in ſeiner Tätigkeit manche eigenartigen Fälle gezeitigt,
von denen wir einige zur Kenntnis unſerer Leſer bringen
wollen :
Akte 7727. Der Jugendliche hatte in Inſterburg die
Volksſchule beſucht und iſt vor 2 Jahren aus der 2. Klaſſe kon-
firmiert worden. Er kam zu einem Bauern auf dem Lande als
Dienſtknecht. Seine Obliegenheiten hat er zur Zufriedenheit des
Arbeitgebers erfüllt. Als die Mobilmachung kam, wurde der
Arbeitgeber zum Militär eingezogen. Die Bäuerin und das
Dienſtperſonal führten zunächſt den Betrieb in gewohnter Weiſe
weiter. Da näherten ſich die Ruſſen, die Bevölkerung ſloh. Der
Jugendliche ging nach Inſterburg. Seine Eltern, einfache Ar-