Full text: Hamburgische Schulzeitung - 23.1915 (23)

beitsleute, fand er dort nicht mehr vor und auf ſeinen Wunſch 
verſchaffte ihm die Polizeibehörde einen Freifſahrſchein nach 
Hamburg. Ohne alle Mittel, ohne Legitimationspapiere und 
nur mit der Kleidung und der Wäſche verſehen, die er auf dem 
Leibe trug, kam er hier an. Eine Arbeitsſtelle zu finden, gelang 
ihm natürlich nicht und ſo wandte er ſich jc<ließlich auch hier 
an die Polizei. Dieſe verwies ihn an uns. Er erhielt raſch 
eine Arbeitsſtelle auf dem Lande, nachdem wir ihm für einige 
Tage Obdach und Verpflegung gewährt hatten. Außerdem be- 
mühten wir uns, ihm die erforderlichen Legitimationspapiere, 
zum mindeſten einen Geburtsſchein zu beſchaffen. Unſer Brief- 
wechſel mit den zuſtändigen Stellen in Inſterburg ging aber aus 
naheliegenden Gründen ſehr langſam vor ſih Es ergab ſich, 
daß man den Namen des Jugendlichen in den Inſterburger Re- 
giſtern nicht finden konnte, zunächſt wenigſtens. Es mochte das 
daher rühren, daß der Jugendliche einen Namen führt, der auch 
im kleinjten Ort mindeſtens einmal, in jeder größeren Stadt 
aber unzählige Male vorkommt. Gegen Weihnachten wurde 
der Jugendliche von dem Arbeitgeber nach Hamburg zurück- 
geſchickt; ohne Legitimationspapiere wollte ihn der Gemeinde- 
vorſteher nicht länger im Ort dulden. Wir ließen den Jugend- 
lichen jedoch wieder zu dem Arbeitgeber zurückreiſen und ſchrieben 
an den Gemeindevorſteher, der ſich dann auch geduldete, bis der 
Geburtsſchein beſchafft war, was allerdings erjt Wochen ſpäter 
erfolgte. 
Akte 4326. Es handelt ſich um 4 Kinder, die in den 
Jahre 1903 bis 1909 geboren ſind. Der Bater iſt Beamter einer 
weltbekannten Hamburger Firma. 1911 ſtarb ſeine Frau. Der 
Mann nahm damals vorübergehend im Intereſſe ſeiner Kinder 
unſere Hilfe in Anſpruch. Dann ſtellte der Mann eine Wirt- 
fchafterin ein, die ihre Pflichten gegenüber dem Haushalt und 
den Kindern ſoweit nötig erfüllte. Gleich nach der Mobilmachung 
wurde der Bater zur Fahne einberufen. Er ſteht im Unter- 
ofſizierrang und war einige Monate nach der Einberufung in 
Bahrenfeld bei der Einübung von Erſattruppen tätig. Gelegent- 
lich kam er herein nach Hamburg, und dabei mußte er die Be- 
obachtung machen, daß die Wirtſchafterin ihren Pilichten weder 
dem Hausſtand noch den Kindern gegenüver nachkam: Die 
Kinder wurden ungenügend beaufſichtigt und ſchlecht genährt, 
obgleich der Mann das Wirtſchaftsgeld erhöht hatte, wozu er in 
der Lage iſt, da er nicht bloß die ſtaatliche Kriegsunterſtüßung 
für ſeine Kinder bezieht, ſondern ihm auch feine Firma einen 
anſehnlichen Teil ſeines Gehaltes weiter gewährt. Vorhaltungen, 
die der Mann der Wirtſchafterin machte, hatten nicht den ge- 
wünſchten Erfolg, und es war zu befürchten, daß die Kinder noch 
ſchlechter gehalten werden würden, wenn der Yater erſt im Felde 
ſei, was ihm für den Januar bevorſtand. Was tun? Es mit 
einer neuen Wirtſchafterin zu verſuchen, wäre eine recht gewagte 
Sache geweſen, wie nicht weiter dargetan zu werden braucht. 
Es wurde ihm daher unjererſeits nahegelegt, ſeine Wohnung zu 
ſchließen und die Kinder anderweit unterzubringen. Das tat er 
auch. 3 der Kinder kamen, nachdem ſie alle ärztlich unterſucht wor- 
den waren, dem Wunſche des Baters entſprechend in unſer Heim, 
wo ſie für die Dauer des Krieges bleiben werden, und das 
kleinſte Kind brachte der Vater zu Verwandten. So wurde den 
Kindern geholfen. 
Die Leſer ſehen aus den vorſtehenden Beiſpielen, daß 
der Berein ſegensreich gewirkt hat. Ein Gebiet des Jugend- 
ſchutzes, an deſſen tatkräftige Inangriffnahme wir wieder- 
holt erinnert haben, fehlt allerdings im Bericht gänzlich, 
das iſt Schuß der Jugend vor gewerblicher Ausnußung. 
Hofſen wir im neuen Jahresberichte zu leſen, daß der 
Verein ſich auc<h des Teils unſerer Schuljugend annimmt, 
der durch die Früharbeit vor der Schulzeit körperlich und 
geiſtig aufs empfindlichſte geſchädigt wird. Dieſen Inter- 
eſſen gegenüber hat jede Rückſicht auf die unſere Kinder 
ausbeutenden Zeitungsverleger und andere Geſchäftsleute 
unbedingt zurückzutreten. Man vergleiche unſere Ausfüh- 
rungen in Nr. 40 und 45 des vor. Jahrganges. Motto: 
Nicht locker laſſen! Dieſer Schandfleck unſer Großſtadt- 
Kultur muß beſeitigt werden, es koſte, was es wolle. 
Rundſchau. 
Billiger Leſeſtoff für Lazarette und Feldtruppen. 
Der Leſeſtoff, der in den Schüengräben und in den Lazaretten 
gebraucht wird, muß zweierlei beſondere Eigenſchaften haben. 
Erſtens, er muß in möglichſt leichten, ſ<hmalen und hand- 
lichen Heftchen gedruckt ſein; denn dicke Wälzer laſſen ſich 
nicht in Taſchen oder Torniſtern verſtauen und ermüden 
auch die Hand zu ſehr, wenn man im Liegen lieſt. Und 
zweitens : er muß billig ſein, damit er ohne viel Bedenken 
39 
nach ſeiner unvermeidlichen raſchen Abnußung als „erledigt“ 
betrachtet werden kann. 
Hierfür ſind die billigen „Sammlungen“, die im leßten 
Jahrzehnt entſtanden, wie geſchaffen. Die Wiesbadener 
Bolksbücher, Schaffſteins grüne und blaue Bändchen, unſer 
„Schaßgräber“ und viele andere Sammlungen liefern billige 
und gute Heſte für Groſchen, ja für Pfennige. Aber es 
ſind nicht alle Hefte für die Soldaten und für die Zeit 
geeignet. Darum braucht, wer Leſeſtoff ſchenken oder 
Lazarettbüchereien einrichten will, einen „Führer“, der ihm 
angibt: das und das kannſt du unbedenklich nehmen. Einen 
ſolchen erſten Führer hat der Stettiner Bibliothekdirektor 
Dr. Erwin Ackerknecht in einem Heftchen geſchaffen, daß 
dieſer Tage als neueſte Dürerbundflugſchrift unter dem obigen 
Titel erſchienen iſt. 
Ein kleines Büchlein mit einer guten Geſchichte iſt 
leicht jedem Brief oder Paketlein als Extrabeilage zugefügt. 
Und es gibt jedesmal, wie viele Feldpoſtbriefe bezeugen, 
eine kleine Extrafreude. Hoffentlich trägt unſre Flugſchrift 
dazu bei, den leider noch viel zu ſeltenen Brauch zu fördern, 
unſre billigen Sammlungen auf dieſe Weiſe für unſre 
„varbariſche“ Kultur fruchtbar zu machen. 
Der Dürerbund. 
Büchermarkt. 
Zur Bismarcdſfeier, die wir in unſeren Schulen begehen 
werden, fei auf zwei kleine Heftchen hingewieſen, herausge- 
geben von der Buchhandlung der Ev. Geſellſchaft in Stuttgart, 
Färberſitr. 2: Bi s mark, ein Lebensbild, dem deutſchen Volke 
und der deutſchen Jugend erzählt von Paul Schreckenbach, dem 
Verfaſſer der lezten Rudelsburger und des Königs von Rothen»- 
burg. Das kleine Heſt umfaßt 32 Seiten, die erweiterte Aus- 
gabe 56 Seiien. Die Hefte find für die Verteilung an Schüler 
beſtimmt; fie jind gut geſchrieben und mit Holzſchnitten verziert. 
Die Innenſeiten des Umſchlages bringen eine Auswahl von 
Bismarckworten. Das größere Heft Koſtet 40 Pfg., bei Abnahme 
von 50 Stück 30 Pfg., das Kleinere 20, bezw. 15 Pfg. Ein 
drittes Heft „Unſer Reichs baumeiſter“, vom Dresdener 
Lehrerverein, bet Karl Adler in Dresden herausgegeben, koſtet 
80 Pfg.; es iſt in Bezug auf Papier, Druck und insbeſondere 
hinſichtlich des Bilderſchmucks den vorerwähnten Heften be- 
deutend überlegen. Es bietet keine fortlaufende Leben5geſchichte, 
jondern Einzelbilder : Ein Sommertag in Kniephof von Ger- 
traud Enderlein, Bismarcks5 Eintritt in die Hannovera von Hans 
Reichmann, Am 22. September 1862 in Babelsberg von Theodor 
Scheffler uſw., dazu eine Auswahl von Bismarckworten, Ge- 
dichte von Fontane, Karl Buſſe u. a. 
Als Fejtgabe würden wir „Unſern Reichsbaumeiſter“ gern 
in der Hand unſerer Schüler ſehen. S-e. 
Deutſche Rundſchau für Geographie. Unter Mitwirkung her- 
vorragender Fachmänner herausgegeben von Prof. Dr. Hugo 
Haſſinger. 137. Jahrgang 1914/15. Heft 6. A. Hartlebens 
Verlag in Wien, jährlich 12 Hefte zu 1 Mk. 15 Pf. -- 
Die Geographie iſt heute die allen unentbehrliche Wiſſen- 
ſchaft geworden, ihr gehört der Tag. Die Weltreiche und füh- 
renden Kolonialmächte ſtehen im fürchterlichen Kampfe, er greift 
auf alle Meere über und dringt in die entlegenſten Winkel des 
dunklen Erdteiles. Den weltbewegenden Ereigniſſen Rechnung 
tragend, wendet die „Deutſche Rundſchau für Geographie“ in 
ihrem laufenden Jahrgange insbeſondere den vom Krieg er- 
griſſenen Ländern und Kolonien ihre Aufmerkſamkeit zu. Ein 
großer Kreis von gediegenen Mitarbeitern gewährleiſtet die er- 
folgreiche Durchführung ihrer Aufgabe. 
Aus dem nen des ſechſten Heftes, Februar 1915, vom 
137. Jahrgange führen wir die Hauptartikel an: 
Alfred Grund. Von Dr. Hans Rudolphi, Leipzig. (Mit 
einem Bild.) -- Die Inſel Mljet (Meleda). Von Dr. Milan 
Senoa, Yrivatdozent, Agram. (Mit 5 Abbildungen.) -- Geogra- 
phiſcher Nachweis eines erdmagnetiſchen und vulkaniſc<en Vor- 
gängen gemeinſamen Geſetzes. (Mit einer Karte.) Von Wil- 
helm Krebs (Holſteiniſche Wetter- und Sonnenwarte Schnelſen.) 
-=“ Ueber archäologiſche Fundkarten im allgemeinen und öſter- 
reichiſche Fundkarten im beſonderen. Von Dr. Dswald Menghin, 
Wien. -- Reiſen in Dſchimma Kaka. Von Friedrich J. Bieber, 
Wien. (Mit 14 Bildern.) -- Rückgang des Litauertums in Oſt- 
preußen. Von H. Maukowski, Danzig. = Zur Geſchichte der 
Geographie. -- Kleine Mitteilungen aus allen Erdteilen. -- Per- 
ſönliches : Franz Moßhammer +. = Vom Büchertiſch. -- Karten- 
beilage: Weſtwanderung des magnetiſchen Sees der Nordhalb- 
kugel nac Weſten von 1000 bis 1550, nach Fritſche; ſowie der 
[ädamerikantſchen Erdbeben von 1876 bis 1906, verglichen mit 
Hon bekannten ähnlichen Erſcheinungen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.