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liebten Stücke nicht ein Spiegelbild unſerer Zeit, Gott -
ſei dank nicht. Mögen die Herren, die ſo etwas glauben,
erſt einmal lernen, den Geiſt unſerer Zeit und unſeres
Bolkes recht verſtehen. Ueberdies haben zahlloſe der modernen
Stücke mit Kunſt nichts zu tun. Die Bühne hat jeden
falls nicht die Aufgabe, Wertloſes und Unwürdiges dem
Publikum vorzuführen. Aber wer ſoll darüber entſcheiden,
was wertlos, was unwürdig iſt? Ic<h denke, zunächſt
die Bühnenangehörigen ſelbſt. Im Dienſte der deutſchen
Bühnen ſtehen 20-- 25 000 Männer und Frauen, zum
Teil mit vorzüglicher Bildung auch aus den höchſten Ge-
ſellſchaftskreiſen. Städtiſche Behörden, reiche Privatperſonen
und Fürſten gewähren den Bühnen ihre Unterſtüßung.
Sollte es den vereinten Bemühungen aller dieſer Perſonen
nicht möglich ſein, die Bühne von allem zu ſäubern, was
der Volkserziehung nicht dienlich iſt ? Es wäre doch ein
gewaltiges Armutszeugnis, wenn man dieſe Frage ver»
neinen wollte. Darüber freilich dürfen wir uns nicht täuſchen,
daß in einem Stande, der viele Tauſende an Mitgliedern
zählt, nicht alle von edler Kunſtbegeiſterung erfüllt ſind.
Es wird unter ihnen immer viele geben, denen der Beruf
nichts weiter iſt als die Kuh, die ſie mit Butiter verſorgt.
Aber es müßte den führenden Perſönlichkeiten doc; mög=
lich ſein, das Streben nach idealer Berufsauffaſſung zu
pflegen und bei den Standesgenoſſen immermehr zu ver-
tiefen. Das würde zur Hebung des ganzen Standes und
zur Vermehrung ſeines Anſehens außerordentlich viel bei-
tragen.
Man ſagt wohl, die Bühne iſt ein Geſchäft. Das
Haus bleibt leer, wenn nicht zuweilen Stücke gegeben
werden, die die Grenze der bürgerlichen Moral etwas hart
ſtreifen oder auch überſchreiten. Das Publikum will auch
ſo etwas ſehen. =- Daß dieſer Einwand nicht berechtigt
iſt, wird bei einigem Nachdenken jeder einſehen. Wer iſt
das Publikum, das ſolches fordert oder gar zu fordern ein
Recht hat ? Gewiß iſt jedes Bühnenunternehmen ein Ge-
ſchäft, das nicht beſtehen Rann, wenn Einnahme und Aus-
gabe nicht mit einander in Einklang zu bringen ſind.
Aber es wäre doch ſehr traurig, wenn die Bühne nicht
noch etwas mehr wäre als ein Geſchäft. Wenn ſie nicht
beſtehen kann, ſobald ſienicht an die niedrig-
ten Inſtinkte der Menſc<<hheitſich wendet,
dann mag ſie zu Grunde gehen, dann hat
ſie überhaupt keine Berechtigung. Wenn
ein Familienvater es nicht wagen darf, ſeine 16- bis 13-
jährigen Söhne und Töchter mit ins Theater zu nehmen,
weil er fürchten muß, daß ſie dort Dinge zu hören und zu
ſehen bekommen, welche jür die Erziehung des heran-
wachſenden Geſchlechtes eine Gefahr bilden, dann wird es
hohe Zeit, daß der Staat die Bühne etwas ſchärfer unter
ſeine Aufſicht nimmt.
Auch die Preſſe kann vieles tun, um die Bühne
von allen Flachheiten und Unſauberkeiten zu reinigen und
die wahre edle Kunſt zu fördern.
I<h denke hierbei beſonders an die Beſprechungen in
den Tageszeitungen, weniger an die Fachzeitſchriften.
Es handelt ſich in erſter Linie darum, das große Publikum
darüber aufzuklären, was es von einer Aufführung zu er-
warten hat. In dieſer Beziehung könnte vieles beſſer ſein.
I< habe manche vortreffliche Kritik geleſen und mir dar»
nach Über Neuerſcheinungen ein Urteil gebildet, daß bei
genauerer Kenntnisnahme ich beſtätigt fand. Id) habe aber
auch mande oberflächliche, nichtsſagende Beſprechung ge“
leſen. Hier wäre noc<h vieles ZU beſſern. Es iſt gewiß
für den Kritiker intereſſant, dem nachzuſpüren, was der
Verfaſſer ſic) im einzelnen gedac<t hat, durch welche
Philoſophie er beeinflußt worden iſt, wo und wie er gegen
die Regeln der dramatiſchen Technik geſündigt hat, ob er
„das Problem“, das er ſich geſtellt, ungenügend oder voll
kommen gelöſt hat. Aber wichtiger als alle bühnentech-
niſche Geſchicklichkeit unv alle Problemdreſ <erei iſt die Frage,
ob der Inhalt ein würdiger iſt, 9b das
Stück ſprachlichen, poetiſchen und ethi-
ſchen Wert hat und daher es verdient, daß
wir ihm unſere Aufmerkſamkeit einige
Stundenſc<henken. Auf dieſen Punkt könnte die
Kritik oft weit nachdrücklicher hinweiſen. Sie würde da-
durch dem Zuſchauer und wohl auch dem Autor und der
Bühne ſelbſt manche Enttäuſchung erſparen. .
Vielleicht werden manche geneigt ſein zu fragen : Was
hat die Moral mit der Kunſt zu tun ? Die Kunſt iſt nach
ihrer Anſicht weder moraliſch noch unmoraliſ<. Jhre Aufs»
gabe iſt, das Schöne darzuſtellen. Wer durch die Kunſt
belehren oder moraliſieren will, verkennt das Weſen der
Kunſt. -- I< habe oft dieſe Einwände gehört. Scheinbar
haben diejenigen Recht, welche ſo reden, aber doch nur
ſcheinbar. Sie überſehen nämlich dreierlei : 1. Die drei
Gebiete des Guten, Wahren und Schönen ſind ſo innig
mit einander verbunden, daß wir keins von dem andern
ganz trennen können. Das Unwahre und Falſche, das
Schlechte und Gemeine wirkt zugleich häßlich und ab-
ſtoßend. Die größte Schönheit offenbart die Kunſt da,
wo ſie ſich mit den Jdealen des Wahren und Guten in
Uebereinſtimmung findet. Wer es unternimmt, das Schöne
darzuſtellen ohne Rückſicht auf das Wahre und Gute zu
nehmen, wird unfehlbar ſcheitern.
Es wird 2. überſehen, daß der Künſtler, alſo hier der
Dichter, eine einheitliche Perſönlichkeit iſt. Er kann ſich
bei ſeiner Arbeit nicht teilen. Er iſt nicht imſtande Uns
ein vollendetes Kunſtwerk zu ſchaffen und dabei ſich zu-
gleich über alle Geſeze der Moral hinwegzuſegzen. Wer
Stücke ſchreibt, welche auf die Lüſternheit und Sinnlichkeit
unreifer Leute ſpekulieren, der beweiſt damit, daß er ſich
noch nicht das Maß ſittlicher Größe angeeignet hat, welche
ihn befähigt, als Führer und Borbild des Volkes aufzu-
treten. Ein ſolcher iſt kein Charakter, der uns emporheben
kann über die Unzulänglichkeiten und Härten des Alltags
in das Reich der Jdeale. Und das ſoll doch lezten Endes
die Aufgabe der Kunſt ſein. Wer ſelbſt keine Ideale be-
ſigt, kann ſie auch andern nicht übermitteln. Das eben
iſt der Fluch des Materialismus, daß er ewig am Boden
haften bleibt. Darum hat er in der Kunſt nichts großes
leiſten können. Der aus ihm geborene Naturalismus hat
kläglich Schiffbruch gelitten. Das 3., das bei obigem
Einwand Überſehen wird, iſt der Umſtand, daß wir es hier
mit einer wichtigen Frage der BVolkserziehung zu tun haben.
Wenn es wahr wäre, daß die dramatiſche Kunſt alle Moral
außer Acht laſſen könnte, dann müßten wir doch ſagen,
daß mit einer ſolchen Kunſt dem Bolke nicht gedient wäre.
Dann fort mit ſolchen Tempeln der Kunſt, die NUr DIaZU
benußt werden, um Zucht und gute Sitte im Volke zu
untergraben. Es geht doch nicht an, das Fürſten und
Städte ein Kunſtinſtitut durch Mittel und Privilegien unter-
ſtüßen, das grundſäßlich darauf verzichten wollte, diejenigen
Ideale zu pflegen, dure; welche unſer Bolk einig, groß
und ſtark geworden iſt. Eine ſolche Bühne bildet tatſäch-
lich eine große Gefahr. Auf dieſe Gefahr aufmerkſam zu
machen mit allem Nachdruck, das ſcheint mir eine wichtige
Aufgabe der Kritik zu ſein. Die Preſſe wird nicht ſelten
als eine Großmacht bezeichnet. Sie iſt es tatſächlich.
Möge ſie ihre Macht geltend machen, um eine Geſundung
unſerer Bühnenkunſt herbeizuführen. Wer kann außerdem
no<h helfen ? Ih denke, auch das Publikum müßte
in dieſer Richtung mitwirken, wenn die übrigen Faktoren
verſagen. Man könnte vielleicht jagen, daß wir damit in
einen Circulus vitioSus hineingeraten. Die Bühne ſoll er-
ziehlich auf das Publikum einwirken, und nun wollen wir
von dem Publikum verlangen, daß es einen heilſamen
Einfluß auf die Bühne ausübe ? -- Wenn wir aber be-
denken, daß das Publikum ein cußerordentlich verſchieden-
artiges iſt, ſo ſollte man doch annehmen dürfen, daß
wenigſtens ein Teil der Zuſchauer befähigt iſt, wahre Kunſt-
leiſtungen zu beurteilen. J<O habe oft den Einwand ge»
hört : „Das Publikum verlangt io etwas, was Du tadelſt.“*