Full text: Hamburgische Schulzeitung - 23.1915 (23)

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Es wird jederzeit im Theater urteilsloſe, oberflächliche und 
gedankenloſe Menſchen geben, die mit unſeren größten 
Dichtern nichts anzufangen wiſſen, die aber jeder albernen 
Poſſe und jeder kräftigen Zweideutigkeit Beifall klatſchen. 
Auf dieſen Teil der Zuſchauer, den ſchon Goethe in der 
Einleitung zum Fauſt trefflich geſchildert hat, darf man 
nicht zählen. Aber die Uebrigen, die ſehr gut befähigt 
ſind, ein Stück zu beurteilen, ſollten ſich nicht verleiten 
laſſen zu Beifallsäußerungen, wenn das Werk ſelbſt 
es nicht verdient, ſondern nur die Leiſtungen der Mit- 
wirkenden. Man kann oft beobachten, wie wirklich tüchtige 
Schauſpieler ſich vergebens abmühen, aus ihrer Rolle etwas 
zu machen. I< habe mich niemals entſchließen können, 
meinen Beifall kund zu tun, wenn das Stück es nicht ver- 
dient ; denn niemand kann unterſcheiden, ob der Beifall 
dem Schauſpieler oder dem Berfaſſer gelten ſoll und ſeinem 
wertloſen, frivolen Stück. Man muß doch von der Bor» 
ausſegung ausgehen, daß ein tüchtiger Künſtler ſich nicht 
dazu hergibt, in einer Rolle mitzuwirken, bei der alle Kunſt 
vergeblich iſt. Tut er es dennoch, ſo muß er die Folgen 
hinnehmen. Man ſollte ſelbſt vor deutlichem Widerſpruch 
nicht zurück ſchrecken. Der Pflege wahrer Kunſt wäre 
damit oftmals gedient. 
Man hat ofi auch eine ſchärfere Zenſur ge- 
fordert. I< Kann mir davon nicht viel verſprechen. Wer 
ſoll ſie ausüben ? Die Polizeibehörde ? Die ſchlimmſten 
Auswüchſe kann ſie treffen ; aber als oberſter Gerichtshof 
für Kunſt und Moral ſcheint ſie mir doch wenig geeignet. 
Zum Schluß wären auch noh die Theaterverlags- 
geſchäfte zu erwähnen. Ob bei ihnen eine Aenderung 
durchzuführen iſt, weiß ich nicht. Bielleicht ſind ſie ein 
notwendiges Uebel. Es iſt wohl kaum zu erwarten, daß ſie 
ihr Geſchäft von idealen Geſichtspunkten aus betreiben 
werden. Sie wollen Geld verdienen. Die Stücke, welche 
nach ihrer Meinung das meiſte Geld einbringen, vertreiben 
ſie am liebſten. Sogenannte „Schlager“, bei denen eine 
„Lachſalve“ der andern folgt, ſind ihnen wilkommen. Sie 
wiſſen, ſo ſagt man, die Preſſe und die berüchtigte Claque 
in Bewegung zu ſegen. Der Dichter, der es verſteht, ſich 
ihre Unterſtüßung zu verſchaffen, wird auf Erfolg rechnen 
können, wenn er ſich nur einigermaßen auf eine geſchickte 
Mache verſteht. 
In den bisherigen Ausführungen habe ich einige Haupt- 
übeljtände beſprochen. Aber ein durchgreifendes Mittel, 
das Abhülfe bringen könnte, iſt ſchwer zu finden. Wenn 
irgend etwas hier beſſernd eingreiſen Könnte, [9 iſt es meines 
Erachtens eine freieVereinigungvon Männern 
Und Frauen ausallenBerufskreiſen. Wenn 
dieſe zu gemeinſamer Beratung zuſammentreten, um die 
Neuerſcheinungen der dramatiſchen Dichtung zu prüfen, zu 
ſichten und zu ſammeln und gleichzeitig belehrend und 
warnend durch die Preſſe zu wirken, ſo müßte ſich doch 
einiges erreichen laſſen, wenigſtens mit der Zeit. In dieſer 
Bereinigung müßten vertreten ſein Männer und Frauen 
aus allen gebildeten Kreiſen, Künſtler und Gelehrte, Geiſt- 
liche und Lehrer und nicht minder Männer des prak- 
tiſchen Lebens. Wer geneigt iſt, ernſtlich mitzuarbeiten, 
ſol willkommen ſein. I< glaube, die Sache iſt es wert, 
daß die Beſten unſeres Bolkes ſich ihrer ernſtlich annehmen. 
Viel zu lange ſchon haben wir die Dinge laufen laſſen wie 
ſie wollen. Es genügt nicht, daß wir uns von dem Theater 
abwenden und nicht hingehen, wenn es uns nicht gefällt. 
Wir müſſen Hand anlegen und verſuchen, es in beſſere 
Bahnen zu lenken. Die Bühne iſt eine Macht, die be- 
achtet ſein will. Wenn 25 000 Perſonen in ihrem Dienſte 
ſtehen, die zum Teil den höchſten Geſellſchaftskreiſen ange- 
hören, dann üben ſie einen Einfluß aus, der nicht unter- 
ſch<äßt werden darf. Dieſer Einfluß kann für unſer Bolk 
ein Segen werden ; er kann ihr aber auch zum Verderben 
gereichen. 
Wir leben in einer großen Zeit. Als im Juli und 
Auguſt vorigen Jahres das Ungewitter ſich immer dunkler 
er ammuinen 
am Horizont zuſammenzog und von fern der Donner grollte, 
da war es, als ob ein Sturmwind durch die Deutſchen 
Eichen brauſte -und alles zerbrach und hinwegfegte, was 
morſch und abgeſtorben war. I< habe niemals unſer 
deutſches Volk ſo groß und herrlich geſehen, wie in dieſen 
Tagen harten Kampfes gegen eine Welt von Feinden. 
Aber laſſen Sie uns nicht verſäumen, auch gegen die inneren 
Feinde zu kämpfen, die am Mark des deutſchen Bolkes 
nagen. Gewiß iſt im Kriegswetter manches zu Boden ge- 
worfen, was nichtig und verderblich war. Aber ich glaube, 
es iſt auch noch mancher dürre und faule Aſt hängen ge- 
blieben, der erſt durch einen ſcharfen Schnitt beſeitigt werden 
muß. Dahin rechne ich alle gedankenloſe Nachäfferei 
fremder Moden und fremder Sitten, fremder Leichtfertigkeit 
und vor allen Dingen fremder Unſittlichkeit, wie ſie ſich 
in unſerer Literatur und auf unſeren Bühnen breit zu machen 
ſucht. Nichts iſt ſo ſehr geeignet, eines Bolkes Kraft, 
Geſundheit und Menſchenwürde zu untergraben, als die 
Unſittlichkeit in jeder Geſtalt. Wir werden ſie nicht in 
alle geheimen Schlupfwinkel verfolgen können ; aber wo 
ſie ſich breit machen will im öffentlichen Leben, in unſerem 
Schrifttum und vor allen Dingen auf der Bühne, da müſſen 
wir ſie verfolgen mit aller Kraft und Rückſichtsloſigkeit. 
Ie mehr ſie ſich dort zu umgeben weiß mit einem dünnen 
durchſichtigen Schleier, welcher Kunſt und Poeſie genannt 
wird, deſto gefährlicher wird ſie für jugendliche, noch nicht 
gefeſtigte Charaktere. Laſſen Sie uns dahin wirken, daß 
die Bühne wieder im Sinne Schillers eine moraliſche An- 
ſtalt werde, eine Bildungs- und Erziehungsanſtalt für das 
geſamte deutſche Volk. 
Äus Hamburg. 
Unſere hamburgiſchen Lehrerſeminare und der 
Rrieg. Die nachfolgenden Aufſtellungen, die uns freund» 
lichſt zur Berfügung geſtellt ſind, mögen als ein Ruhmes- 
blattin derGeſ<ihte unferes Schulweſens 
Beachtung und Würdigung finden und zeugen für den 
vaterländiſchen Geiſt, der in dem Nachwuchs unſeres 
Standes lebt. 
Im Seminar Steinhauerdamm hat am 
10. Auguſt 1914 die Notprüfung der 1. Klaſſe ſiattgeſfunden. 
Bon den 28 Schülern find 27 im Heeresdienjt, 2 ſind ge- 
fallen : Hans Kröger am 13. 12. 14. im Oſten, Wilhelm 
Beyer am 20. 3. 15. im Weſten. Aus der 2. Klaſſe ſind 
13 Schüler als Freiwillige in den Krieg gezogen, 1 ift 
ausgehoben (Jahrgang 1894); er wurde als Freiwilliger 
nicht mehr angenommen. Aus der 3. Klaſſe jind 5 Schüler, 
aus der 4. und 5. Klaſſe je 3 Schüler als Freiwillige in 
den Kampf gezogen. Otto Rieckhoff (Kl. 3) iſt im No- 
vember 1914 im Oſten gefallen. Der Unterrichtsbetrieb iſt 
kaum geſtört worden. 
Das Seminar Binderſtraße zählte zu Beginn 
des Krieges 155 Schüler. Davon trugen 59 am Ende 
des Schuljahres des Königs Rock, und zwar aus der 
1. Klaſſe 17 (Klaiſenzahl 21), aus der 2. Klaſſe 24 (!) 
(Klaſſenzahl 30), aus der 3. Klaſſe 10 (Klaſſenzahl 29) 
und aus der 4. Klaſſe 8 (Klaſſenzahl 28). 3 Schüler (je 
einer aus den 3 Oberklaſjen) ſind für ihr Vaterland ge- 
fallen. 
Dem Verein RKinderſcqut und Z3ugendwohl- 
fahrt EC. BV. wurden im Monat März 127 neue Fälle 
mit zuſammen 187 Kindern und Jugendlichen zugeführt. 
Die Zahl der Fälle iſt größer als im gleichen Monat des 
Vorjahres. Im Februar und Januar dieſes Jahres war 
die Zahl der neuen Fülle ebenfalls größer als im Februar 
und Januar 1914. Die Steigerung iſt, wie eine Be- 
trachtung der einzelnen Fälle deutlich erwetii, auf die Mo- 
bilinachung zurückzuführen. Der Berein muß in dieſen 
Fällen für die zur Fahne einberufenen Bäter eintreten. In 
63 von den neuen Fällen wurden die Kinder und Jugend- 
lichen vom Berein in Schutzaufſicht genommen. 44 Kinder 
und Jugendliche erhielten = zum allergrößten Teil im 

	        
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