Full text: Arbeiter-Jugend - 1.1909 (1)

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Arbeiter- Jugend. 
 
Beendigung ihrer Lehre dem Unternehmertum nicht auf Gnade 
und Ungnade prei3zugeben brauchen, ſondern vereint mit ihren 
älteren Kollegen zielbewußt ihren Mann in dem Kampf zur 
Hebung ihrer Lage ſtehen können. (Schluß folgt.) 
 
I 
0 
Kie Zom K]&riegsſ<auplaß 
Unterm neuen Verein3reht. 
Immer mehr ſtellt e5 ſich heraus, daß das neue Vereinsgeſeß für 
die geiſtig regſame arbeitende Jugend eine doppelte Falle darſtellt. Ein= 
mal verbietet es der Jugend die politiſche Betätigung rundweg, ſodann 
fucht es ihr auch jeden anderen Zuſammenſchluß, ſei e8 in gelegents- 
lichen Veranſtaltungen, ſei e3 in unpolitiſchen, der Geſelligkeit und der 
Weiterbildung dienenden Vereinen unmöglic< zu machen. Dieſer zweite, 
dem Wortlaut de38 Vereins8geſeßes direkt widerſprechende Zwe&> wird 
durch eine „geſchi>te“ Auslegung der Geſeße3paragraphen erreicht. 
da nämlich der Begriff Politik, der in dem Geſeß eine ſo große 
Rolle ſpielt, außerordentlich unbeſtimmt iſt, legt man ihm einfach alles 
Mögliche unter, und wenn ſich dann die jungen Arbeiter und Lehrlinge 
zu irgendeinem ſonſtigen Anlaß zuſammenfinden, wird friſHhweg ve- 
hauptet, das, was ſie trieben, ſei Politik und ihr Vorhaben ſtraffällig. 
Was in dieſer Hinſicht alles geleiſtet wird, geht aus einer Gerichtsver- 
handlung hervor, die dieſer Tage in Dre8den itattfand. Die Gruppe 
Strieſen des Jugendbildung3vereins3 der Dres38dner Arbeiter- 
ſchaft veranſtaltete im April einen der üblichen Jugendabende, der die3- 
mal den Charakter einer Konfirmandenfeier trug. Das Programm ents= 
bielt unter anderem au< eine Feſtrede und mehrere Rezitationen de3 
Redakteurs Genoſſen Düwel. Der Schloſſer Kreher erhielt darauf als 
Leiter der Veranſtaltung eine Strafverfügung über 50 MX. (1) wegen 
Uebertretung de8 Reichsvereins8geſeße3. Die Konfirmandenfeier ſoll 
eine „politiſche Verſammlung“ geweſen fein. Mehr noch als die Feſt- 
rede hätten die Gedichte von Heine, Thoma, Klaar uſw. einen politiſchen 
Charalter getragen. 
Jn der Verhandlung wurden als Zeugen ein Gendarm und Genoſſe 
Düvell vernommen. Der Gendarm hat hauptſächlich die Gedichte 
beanſtandet (1), und zwar handelt e3 ſich hierbei um Perlen der Dicht- 
Funſt, die beinahe Allgemeingut geworden ſind. Genoſſe Düvell hatte 
in ſeiner Feſtrede, die von dem Gendarmen ſtenographiext worden war, 
mit einem Vergleich zwiſchen der Jugend und dem Frühling begonnen. 
Er ging dann über auf die Unterſchiede der Jugendzeit der Arbeiter- 
kinder und der Sprößlinge reicher Eltern. Damit wollte er dartun, 
daß die Arbeiterjugend dieſe Zeit nicht vergeuden dürfe mit lo>eren 
Vergnügungen, ſondern ſie müſſe die Scharte aus8weßen, die die Volks8- 
ſchule gelaſjen hat, fie müſſe ſich weiterbilden. -- In der Verhandlung 
wurden die ganze Rede und die Rezitationen nochmals durchgegangen. 
Die Rede beſchäftigte ſich wohl mit Grziehung3= und Kulturfragen, 
hatte aber nicht das geringſte mit „Politik“ gemein. Der Amtsanwalt 
erbliätt in dex Rede Düvel8 nur den einzigen Zwe&, daß auf die 
Klaſſenunterſ<hiede hingewiefen werden ſollte. Durch die 
Jugendorganiſation ſolle die Jugend nur „zur Sozialdemokratie er=- 
zogen“ werden. Deswegen beantragte er Beſtrafung Kreher3. (!) -- 
Da38 Gericht erfannte gleichfalls auf 50 MX. Geldſtrafe, und zwar mit 
folgender Begründung: Nach beiden Zeugenaus8ſagen muß angenommen 
werden, daß der Vortrag und die Rezitationen politiſchen Charakter 
trugen. Düvell habe dadurch, daß er Unterſchiede zwiſchen arm und 
reich machte und ſo die Klaſſenunterſchiede unterſtrich, wirtſ<aft3- 
politiſche Fragen erörtert. Dazu kommen noc< die aus8gewählten 
Zitate. Die Verſammlung ſei demnach (!) eine politiſche geweſen. 
Man ſieht, die Sache iſt ſehr einfach, und mit dem Stri> Politik 
kann man jeden Hals zuſchnüren, den man zuſchnüren wil. Wenn der 
Unterſchied zwiſchen reich und arm eine „wirtſchaft5politiſche"“ An- 
gelegenheit iſt, ſo machen wir uns anheiſchig, zu beweiſen, daß da3 
ABC Hochverrat iſt. WeShalb ſc<reibt man da nicht gleich ins Geſeß: 
alles, was die Jugend in Öffentlichen Verſammlungen erörtert, iſt 
Bolitif und darum verboten. Dann brauchen doch die Staat3anwälte 
fich nicht erſt mit „Begründungen“ den Kopf zu zerbrechen. 
* 
Wie Verſammlungen überwacht werden. 
Manchmal gcht's übrigens auch anders, al3 in der vorſtehenden 
- Notiz aus Dresden gemeldet worden. So erlebte die Polizei im Kreiſe 
Dortmund zur Abwechſelung einen böſen Reinfall beim Hantieren mit 
dem PBolitikparagraphen de3 Vereinsgeſezes. In dem Orte Eichling3- 
bofen fand vor einiger Zeit eine Verſammlung jugendlicher Arbeiter 
und Arbeiterinnen ſtatt, um einen Jugendverein in38 Leben zu rufen. 
Das Referat hielt Genoſſe Nettebohm, Redakteur der Dortmunder 
„Arbeiterzeitung“. Die Polizei hatte einen Beamten zur Ueberwachung 
geſchidt, weil ſie die Verſammlung als eine politiſche betrachtete. Dann 
nahm ſie den Leiter der Verſammlung gleich zweimal in Strafe, ein- 
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mal, weil er die politiſche Verſammlung nicht angemeldet,“ ztveiten3 
weil er noh feine achtzehn Jahre alt ſei und denno< an einer politiſchen 
Berſammlung teilgenommen habe. Gegen die Strafverfügung wurde 
natürlich gerichtliche Entſcheidung beantragt. In der Verhandlung follte 
der Bericht de3 Ueberwachenden al8 Beweis8mittel dienen. 
E23 zeigte fic<, daß der Beamte nicht einen einzigen Gedanken dex 
Nettebohmſchen Rede richtig wiedergegeben hatte, Er hatte gar nichts 
von den Ausführungen begriffen und erklärte auf Befragen treuherziz, 
daß er nicht mehr imſtande ſei, auch nur ein einzige38 Wort des Referais 
zu wiederholen. Nach der Vernehmung Nettebohm3 al38 Zeuge empfand 
denn auch ſogar der Amt38anwalt die Unſinnigkeit des polizeilichen 
Berichts. 
Die Urteilsverkündigung wurde in einem beſonderen Termin vor- 
genommen. Der Angeklagte wurde freigeſpro<en und die Koſten der 
Staats8kaſje auferlegt. Das Gericht glaubte den Ausführungen de3 
Zeugen Nettebohm. So hat im Kreiſe Dortmund die Polizei mit ihrer 
Aktion gegen die Jugendbewegung keine Lorbeeren geerntet. 
 
 
Wedt ſie nicht auf! 
„Was ſagten Sie dem Manne eben?“ 
„Ich ſagte ihm, er ſolle ſich beeilen.“ 
„Wa3 berechtigt Sie, ihm das zu ſagen?“ 
„I< bezahle ihn, damit er ſich beeilt.“ 
„Wieviel zahlen ſie ihm?“ 
„Drei Mark täglich.“ 
„Woher nehmen Sie das Geld, um ihn zu bezahlen ?* 
„Ic< verkaufe BZiegelſteine.“ 
„Wer macht die Ziegelſteine ?“ 
„Gr.“ 
„Wieviel Ziegelſteine macht ex ?“ 
„Vierundzwanzig Mann machen täglich 24 000 Steine.“ 
„Alſo, anſtatt daß Sie ihn bezahlen, macht ex Jhnen täglich für 
6 oder 10 Mk. Ziegelſteine, damit Sie umbherſtehen und ihm ſagen, daß 
er ſich beeilen ſolle.“ “ 
„Schon recht, aber ich beſize die Maſchinen.“ 
„Wie haben Dr die Maſchinen erlangt ?“ 
„Jh habe ZieFel verkauft und für den Gewinn Maſchinen gekauft.“ 
„Wer hat die Ziegel gemacht ?“ 
„Schweigen Sie! Sie weden die törichten Geſellen auf und dann 
werden ſie die Ziegel für fich ſelber machen wollen.“ 
m (Aus dem Engliſchen.) 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
NN < SSE 
NESS 288) * Fremdwörter - (35) 25)5% 
 
 
 
 
Autorität (lat.) Anſehen. | 
Chignon (franz., ſprich: ſchinnjong) das in einem beutelähnlichen Wulſt zu- 
“ ſammengeſchlungene Haar des Hinterkopfes. Dieſe Haartracht der 
Damen war in den 60er Jahren de3 vorigen Jahrhundert8 von 
Paris aus in Mode gekommen. . 
Chromoſphäre (griec<h. chroma == die Farbe, Sphaira = der Kreis.) wörtl.: 
der Farbenkrei3, die farbig erſcheinende Oberflächenſchicht der Sonne. 
Corona (lat.) Krone. 
Element (lat., Ton auf der lezten Silbe). In der Chemie ein Grund- 
ſtoff, der fich nicht weiter in Beſtandteile zerlegen läßt. | 
Emanzipation (lat.) die Befreiung aus dem Zuſtande der Rechtloſigleit 
und Unterdrücdung. | 
Gentleman (engl., ſprich: dſhändlmän) Mann von „Stand und Bildung“; 
einfac<h: Herr. . - 
Jquique (ſprich: Ikike, Ton auf der zweiten Silbe) Hauptſtadt der <ile- 
niſchen Provinz Tarapaca, am Stillen Meere gelegen. 
Kaleidoſkop (griech. ; Kalös = ſchön, eidos == Bild, skopein == ſchauen) 
wörtlih Schönbildſchauer. Das bekannte- Inſtrument, ein Sehrohr 
mit zwei eingeſetzten Spiegeln, welche kleine bunte Gegenſtände ver- 
vielfältigen und in mannigfaltigen Anordnungen wiedergeben. 
Kalfatern, das S<hiff waſſerdicht machen, die Rigen und Löcher verſtopfen. 
(Andere, im Artikel „Schiffsjungen heraus !“ vorkommende Fremd- 
wörter und ſeemänniſche Fachausdrücke ſind in voriger Nummer be- 
reits erklärt). 
Konflikt (lat.) Zuſammenſtoß, Streit. 
Korrumpieren (lat.) verderben, zugrunde richten. | 
Kurioſität (lat.) Merkwürdigkeit, Sehen3würdigkeit. 
Labyrinth (griech.) urſprünglich ein weitläufiger Bau mit vielen Gängen 
in Aegypten und auf der Inſel Kreta; Jrrgang, Irrgarten. Ueber- 
tragen: Gewirre. | 
Minimal (lat. minimus = der Kleinſte) geringfügig, mindeſt. 
Oekonomiſch (griech. oikos = da3 Hau8) haushälteriſc<, ſparſam. 
Purſer (engl., ſprich: Pörſer) Kajſierer. 
Repetition (lat.) Wiederholung. 
Reſervoir (franz., ſprich reſerwoar) der Behälter. 
Skrupel (lat.) Zweifel, Bedenken, Gewiſſen3biß. 
Square (engl., ſprich: 8kwär) viereckiger Plaz. 
well (engl.) gut. . 
Zentaur (richtiger Kentaur, griech.) Geſtalt der griechiſ<en Sage, mit dem 
Oberkörper eines Menſ<hen und dem Leibe eines Pferde. 
 
Lorantwortlich für die Redaktion: Karl Korn, -- Verlag: Fr. Ebert (Zentralſtelle für die arbeitende Jugend Deutſc<hland3). -- Dru>: Vorwärt3 Buchdruckerei und Verlag3- 
anſtalt Paul Singer & Co. 
Sämtlich in Berlin. |
	        
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