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Eingetragen in die Poſt-Zeitungsliſte.
Nr. 2
Im Kampfe.
In Preußen und in Sachſen ſind die Arbeiter in hellen
Haufen auf den Straßen erſchienen; ſie demonſtrieren, ſie wollen
vor aller Welt Zeugnis ablegen, daß ſie nicht geſonnen ſind, in
Demut und Ergebenheit die reaktionäre Vaißwirtſchaft zu exr-
tragen. Donnernd ſchlägt dic Stimme des heiligen Zornes der
Arbeiter an die Ohren der Herrſchenden.
Und wahrlich find Gründe übergenug vorhanden, die dieſen
Zorn hervorrufen.
Die innere Politik des Neiches wird zurzeit beherrſcht durch
die jogenannte „Finanzreform“. Die Reichsregierung braucht
Geld. Mit raſender Geſchwindigkeit wachſen die Au38gaben an.
Im Jahre 1898 verausgabte das Reich 1441 Millionen Mark,
im Jahre 1908 2785 Millionen Mark.
die AusSgaben beinahe verdoppelt worden! Unter dieſen Au8-
gaben jpielen die für Heer und Marine die wichtigſte Rolle.
1898 wurden hierfür 815 Teillionen Mark verausgabt, 1908 rund
1400 Millionen Mark. Dieſ e AusSgaben werden au38 den Abgaben
und den Zöllen beſtritten, die die Bevölkerung zahlt. Troßdeimn
aber dieſe Einnahmen durch die Frhöhung der Zölle und die Ein-
hrung neuer Stenern beſtändig erhöht wurden, reichen ſie nicht
aus, und deShalb macht die Reichzregierung Schulden auf
Schulden. A1l8 das Reich nach dem Kriege gegen Frankreich age-
gründet wurde, da waren nicht nur feine Schulden vorhanden,
jondern die Negmierung verfügte über 4000 Millionen Mark, die
Frankreich als Kriegsentſchädigung zahlen mußte. Heute aber
vertragen die Schulden de8 Neiches rund 4000 Meillionen Mark,
1i1d es find an Zinſen rund 150 Millionen WMarf im Jahre an
die Gläubiger zu zahlen. =-
Yun hat die Regierung dem Reichstage einen Klan vor=
gelegt, um dem Uebel abzuhelfen. Wer indeſſen anmnimunut, daß
jie die Ausgaben einſchränken will, wäre auf dem Holzwege.
Wein, es follen einfach 500 Millionen Mark neuer Einnahmen
im Jahre geſchaffen werden, und zwar ſoll dieſe Rieſenfumme
falt ganz von dem arbeitenden Teile des Volkes, von den Un-
bemittelten, die ewig darben müſſen, aufgebracht werden.
Gegen dieſe unſinnige Wirtſchaft gilt e3 Proteſt zu erheben.
Tie Proletarier wollen keine Kriege, ſix wollen den Frieden der
viationen, ſie verdammen den Völkermord. Die ewigen Rüſtungen
3 aber führen dazu, daß die Gefahr eines Krieges beſtändig über
3 neren Häuptern ſchwebt. Deshalb iſt unſere Loſung: Dem
4 WiilitariSmus keinen Mann und keinen Groſchen!
D Äber noc< eine andere Frage iſt brennend geworden, die
. Frage des Wahlrechtes zum preußiſchen und zum ſächſiſchen Land-
6 tage. Hier tritt die politiſche Rücſtändigkeit bejonders fraß zu-
8 tage. Im RevolutionSjahre 1848 beſeelte ein glühender Wunſch
Saile denfenden Menſchen in Deutſchland, der Wunſ< nach der
5 politiſchen Einigung aller deutſchen Staaten. Für dieſes Ziel
nv haben damals die Beſten Gut und Blut eingeſest. Aber ſchon
8 damals lähmte die Furc<t vor der Arbeiterſchaft, dem Proletariat,
E die Tatkraft des Bürgertums, in deſſen ceigenſtem Intereſſe es
5 lag, mit der Kleinſtaaterei aufzuräumen. Dem Maſtbürger von
3 Lazumal fiel das Herz in die Hoſen bei demi Gedanken, daß in
4 5 ver finftigen deutſchen Republik die Arbeiter ein gewichtiges Wort
Amit jprechen würden; ce3halb konnten die Fürſten und die Junker
8 del Sieg davontragen. Dann erfolgte 1871 die Gründung des
AU Utſchen Reiches als Abſchluß d es ſiegreichen Krieges, aber es kam
gern Zwitterding zuſtande: vas Reich als Bundesſtaat, in dem die
Berlin, 13. Februar
In zehn Jahren ſind alfo
Expedition : Buchhandlung Vorwärts,
Lindenſtraße 69. Alle Zuſchriften für die
Redaktion ſind zu richten an Karl Korn,
Lindenſtraße 69, Berlin SW. 6
1909
nicht von Pr 'eußen verſ<lungen
wurden -- weiter beſtehen. Das Neich mußte eine demokratiſche
Verfaſſung erhalten, weil nur auf dieſe Weiſe die große Volks8-
majje ein Intereſſe an ſeinem Beſtehen haben konntc, aber die
Einzelſtaaten behielten ihre Verfaſſungen bei. Und dieſe waren -
in vielen Staaten durchaus reaktionär, weil das Volk im Jahre
1648 der Regierung nicht mehr abtroßen fonnte. Daher kommt
es, daß der größte Bundesſtaat, Preußen, cinen Landtag hat,
ver auf Grund des rückſtäandiagſten Wahlrechtes, das in Europa
bejteht, gewäglt wird, eines Wahlrechtes, das die Vertretung der
Arbeiterklaſſe faſt gänzlich ausſc<ließt. In Sachſen aber vollzog
fich die Entrechtung der Arbeiter erſt in neucſier Zeit. Das8
moduſtrielle Land wurde zur Hochburg der Sozialdemokratie, und
aus Furcht, die Sozialdemokraten fönnten die Mehrheit im Land-
tagc erhalten, hat die Negierung im Jahre 1896 durch einen Ge-
walütreich das bis dahin demokratiſche Wahlrecht abgeſchafft umd
nach preußiſchem Wuſter uingemodelt.
In dieſen Landtagen werden aber in vielen Fällen Fragen
entſchieden, die für das werktätige Volf von arüößter Bedeutung
jind. Die Schule, die Polizei, die Städteverwaltung, die Fabrik-
inſpektion, die fogenannten Wohlfahrt5einrichtungen, der Betrieb
ver Eijenbahnen ujw., über alle dieſe Gobiets des öffentlichen
Leben3 haben die Regierungen der Einzelſraaten und die Land-
tage zu entſcheiden. Es iſt der reine Hohn, daß die Stimmen der
Arbeiter wohl bei den Reichstagswahlen entichciden, daß aber
ber den Landtag8wahlen dieſe Stimmen nicht zur Geltung
fommen.
Das Ziel der fozialdemokratiſchen Arbeiter iſt die Errichtung
der demotratiichen Repnublif in Doutichland, die Weagräumung der
Kleinſtaaterei. Aber dieſes Ziel iſt nicht jofort zu erreichen, woil
der Unverſtand und die politiſches Trägheit der Überwiegenden
Mehrheit der Bepolferung den Regierungen cs ermöglicht, den
morſchen Plunder beizubehalten. TDeShalb gailt es vorerſt, die
Parlamente der Ginzeljtaaten, dieſc Herde der Rückſtändigkeit,
umzugeſtalten, den Vertretern des arbeitenden Volfes Cintritt
in die Landtage zu verſchaffen. So iſt diz Lojung der ?ozial-
demokratiſchen Arbeiter in Vreußen und in Sachſen: Her mit
dem allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrecht!
Dieſes Ziel muß erreicht werden, wenn die Reaktion, die das
Leben des Arbeiter3 im Deutſchland zur Qual macht, acbrochen
werden ſoll, und es wird erreicht werden.
Gegen den VäailitariSmus, gegen die Anspliünderung der
Bolf8maſſe, aegen die Entrechtung der Arbeiter proteſtierten jenc
Tauſende und Abertamtende von Arbeitern, die in den Städtei
Preußens und Sachſen38 demonſtrierten.
Die Regierungen ſehen dem Willen des Volfes die brutale
Gewalt entgegen. Blut iſt gefloſſen. In Hannover und in
Stettin iſt die Polizei über die wehrloien Arbeiter hergefallen.
Das iſt die Antwort der Regierung. Jm preußtiichen Landtage
aber droht der Reichsfanzler, Firjt v. Bülow, mit einem neuen
Ausnahmegeſeß gegen die Sozialdemokratie, und die Junker
findigen den Arbeitern „blaue Bohnen“ an.
Sic haben ja Recht, die Herren, denn ſie haben die Macht,
und dieſe entſcheidet. Vat Gründen der Vernunft und der Ge-
rechtigkeit kann der beſtehende Zuſtand nicht vorteidigt werden,
nach Recht und Billigkeit gehören die Geſeße, die das Volk ent=
rechten, in die Numpelkfammer. Aber die Macht haben heute noh
die, die das Unrecht vertreten, das in ihrem Intereſſe liegt.
Denn noch beſteht die Gefahr, daß der iunge Arbeiter, deſſen Geiſt
diirc< den Kaſernendrill betäubt wird, auf Vefehl von oben ſeine
Cinzeljtaaten =- Joweit ſie