Full text: Arbeiter-Jugend - 1.1909 (1)

Arbeiter -Jugend. 
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o Bücher für die jugend - vim 
ZAI her fü 3ug ZZNVGZZS 
 
 
 
 
*? HSHimmelsfunde. 
Die anziehende Wiſfenſc<aft der Sternfunde hat ſeit Jahrzehnten 
berufene Dolmetſcher gefunden, die ſich die dankbare, aber äußerſt 
ſchwierige Aufgabe jeßbten, breiteſten Kreijen der wiſſensSdurſtigen Zeit- 
genoſſen die Ergebmijje der Forſchung zugänglich zu machen. Daß c83 
nicht ſeicht iſt, dieſe Aufgabe zu erfüllen, erfennt man ſchon daraus, 
daß es herzlich wenige Bücher gibt, denen man ohne Vorvehalt nach- 
rühmen Tann, fie Jeien wahrgaft volfstümlich geſchrieben. Dieſe be- 
dauerliche Erſc<einung hat mehrere Urfachen. Cinmäal widerſpricht es 
eigentlich .dem Weſen gerade derjenigen FJaturiviſjenſchaften, deren 
- Fortſchritte nicht zum geringen Teile auf der mathematiſchen Behand- 
lung2weije beruhen, aljo in erſter Linie der Aſtronomie, ohne die ZuU- 
hilfenahme der hböheren Mathematif vorgetragen zu werden. Höhere 
Mathematik aber läßt ſich nicht volkf8tümlich darſtellen. Weiter ſind 
gerade in den Naturwiſjenſhaften zum tieferen Cindringen in den 
Stoff eine Unmenge Bortenntniſſe netig, wie ſie jelten ein anderes 
Wijſensfach erfordert. Drittens iſt zu erwähnen, daß es wenige Männer 
mit guter Darſtellungs8gabe gibt, welche die Wiſenſc<aft ſo beherrſchen, 
daß ic das allgemein. Wertvolle aus ihr herauszuſchäflen und einem 
breiten PBublifum darzubieten wiſſen. Cntweder find es „gelehrte 
Hühner“, und dann können fie gewöhnlich) nicht volistümlich ſchreiben, 
oder fie fönnen ſich ganz gut verſtändlich maden, aber dann jind jie 
haufig in der Wiſienſchaft nicht völlig auf der Höhe. Wir müſſen uns 
alis begnügen mit den, was es gibt und hoff2n, daß es auch auf dieſem 
Gebiete beſſer wird, denn das Beſtreben, die Wiſſenſchaft nicht Lloß 
innerhalb der Fachkreiſe Zu züchten, Jondern auc<4 der breiteſten All- 
gemeinheit den Anteil zufommen zu laſſen, den ſie als GCrnährerin 
der Wiſſenjkaft verlangen muß, dieſes Beſtreben gewinnt auch unter 
ben vernünftigen Wiſſenſchaftlern immer breiteren Boden. 
Sehen wir uns nun in der Himmelsfunde um, wie e8 da mit dem 
wirklich volfstümlichem Schrifttum beſtellt iſt. Cin gang einfach und 
wirtlich volistümlich geſchriebenes Buch find die aſtronomiſchen Plaude- 
reien, die der vor einigen Jahren verſtorbene Prager Mathematik- 
profeſſor Studnicka unter dem Titel „Bis ans Ende der 
Welt“ verfaßt hat. Sie ſind das eleganteſte, leichtverſtändlichſte und 
ilüijigie, was ich je an populärer Darſtellung in unſeren Gebieten 
gelefen habe. Und ausgerechnet ein Mathematifprofeſſor mußte ſie 
jchreibein, alfo eines jener Menſ<entinder, die im Rufe beſonderer 
Langweiligkfeit, Haarſpalterxei und Pendanterie ſtehen. Hiex hat ein 
Mathematiker aber einmal die Cigenatt jeines Derufes durchbrochen 
und ein hübſches Werfchen verfaßt, das ich meinen jungen Freitnden 
und ailen, die ſonjt Laſt und Liebe zu naturwiſienſchaftlichen Dingen 
haben, nur dringend empfehlen fann. Studnicka fleidet feine Aus- 
führungen in die Schilderung einer Reiſe, auf welcher cin gelehrter 
Gngläander feine Gefährten mit feiner beliebten Himmelsfunde be- 
fannt macht. Der Verfaſſer dringt es dabei wirklich zuwege, dem Leſer 
ganz ummnerklich eime Menge Wiſſen zu vermitteln. Sch ratte, das Buch 
als erſte Cinführung zu lefen und nachher auf andere Werke üÜber- 
zugreifen, über die ich weiter unten berichten verde. 
Gin kleines Häfchen aker hat auch dieſes ſchöne Buch. Der Ver- 
faſſer benußt eine Menge Fremdwörter, die im Oeſterreich in der ge 
bildeten Umaqgang8ſprache noch gebräuchlich jind, bei uns in Deutſchland 
aber gar nicht mehr. Hier muß ſich der Leſer unter Umſtänden ab und 
zu mit einem fleinen Lexifon helfen. Al8 ich das Buch in die Hand 
befam, überflog ich feine lebten, gejperrt gedruckten Zeilen, und dicſe 
erinnerten mich fogleich lebhaft an ein Wärchen, das in meiner früheſten 
Kindheit einen merlvürdigen Gindru> auf mich gemacht hat. Es iſt 
bas Märchen von der Cwigfeit, Zu fernen Landen nach dem Aufgange 
der Sonne zu liegt ein Berg aus hartem Geſtein, fo hart wie Diamant; 
Der iſt wohl hundert Meilen lang und hundert Meilen breit und eine 
ganze Meile hoch. Zu ihm fommt alle hundert Jahre ein Vögeleoin 
11d weßt daran einmal ſeinen fleinen Schnabel. Und wann der Janz32 
Berg abgeweßbt ſein wird, dann iſt die erſte Sefunde der Ewigkeit vor- 
bei. = Dieſe Erzählung war bei mir 
veicht, daß fie Befürchtungen oder Hoffnung und Hangen und Bangen 
in jc<webendem fieberndem Weiterleben wedte, wie ſo viele andere 
WMarchen, ſondern ſie ſtellte eintönig und endlo8 vor meine Seele da8 
Bild des Unveränderiieins und verſebte mich immer wieder, jede8malt, 
wann ich daran vachte, in ein Gefühl des höchſten Unbehagen38. Dabei 
ii die Aniwort, die ſie gibt, nicht einmal beſonders klax. Viel kürzer 
hätte ſie „nie“ gelautet. „Vie“ ſei die Cwigkeit vorbei. 
Ucbte aber mein Märchen vinen geheimnisvollen Zauber auf mich, 
1v hat Studnicka das Geheimnis8 viel beſſer zu löſen und die Frage 
viel richtiger zu beantworten verſtanden als das Märchen. „Nicht 
einmal im traumgetragcnen Gedantenfluge“ meint. er, gelangt man 
„vis ans Gnde der Welt“. 
- Ein anderes Buch, das ſich durch ſeine Cinfachheit und klare Dar- 
ſtellung auszeichnet, iſt das Werk des berühmten, ſoeben . verſtorbenen 
amerikaniſchen Aſtronomen Newcomvb, das in deuticher Ueber- 
von eigentümlicher Wirkung. 
jeßung unter dem Titel „Aſtronomie für Z Jedermann“ vor 
furzem in verbeſſerter und moderniſierter Form "erſchienen ift. Auch 
vietes Buch kann als erjte Ginführung in die Himmelskunde gelten; 
es verbreitet ji ausführlich über die wichtigſten Grundtatſachen der 
Himmelskunde und berückſichtigt auch die Ergebniſſe der modernen 
orihung. Der Preis von 4 Mk. iſt angeſichts de3 Umfanges und der 
vorzüglichen Ausſtattung in Dru und Bildermaterial nicht zu hoch 
bemeßhen. 
An dieſes Werk ſchließt ſich unmittelbar ein zweites Buch de3- 
jelben Verfaſſers an, das zwar „Populäre Aſtronomie“ Jeißt, 
aber jchon jehr weit in den- Gegenſtand hineinführt. Das Buch ſteht in 
jeiner neuen “insgabe, Die von einem der bedeutendſten Uſtronomen 
der lebten Zeit, vem gleichfalls vor furzem verſtorbenen BProfeſſor 
Vogel, Direktor des Pot8damer Aſtrophyſifaliſchen Obſervatoriums, be- 
jorgt wurde, auf ganz modernem Standpunkte. E35 erfordert jedoch 
Vorfenntniſſe, etwa in dem Umfange des zuvor erwähnten Werkes. 
Das Buch iſt teuer (16 Mk.) und jollte nur von vorgeſchritteneren 
zSxeunden der Himmelsfunde geleſen werden. G38 ſchlägt bereits die 
Brüde zwiſchen gemeinverſtändlichen und wißenſ<aftlichen Werfen und 
iſt in dieſer Art vorzüglich. 
Inu der wohlfeilen Sammlung Göſchen (pro Bänd<en 80 Rf.) 
jind ein paar Bändchen erſchienen, die ſich gegenſeitig ergänzen und 
ebenfalls in die Himmelsfunde einführen: - „Möbius Aftro- 
nomie“ und „WizSlicenus, AjſtrophHyiif“. Yuc<ß der 
„Mobius“ itt von Btislicenus vearbeitet worden, einem Manne, der 
mehr Gelchrter war, als daß er die Gabe flüſſiger volfstümlicher Dar- 
Nefung bejaR. Die Bücher find ein wenig trodken, aber wegen ihre2 
billigen Preiſes und der Sorgfalt, mit der fie das Material zuſjammen- 
Ttelſen, zu empfeßlen. 
Von den vielen anderen allgemeinen Werken über Aſironomie fei 
dier nur noch eins. erwähnt, nämlich 5da3 glänzend geſchriebene „Welt- 
gekäaude“ von M. Wilhelm Meyer. EC5 ift eins der umfang- 
reichſten volfstümlichen Werke über Himmels3kunde, erfordert aber nicht 
jo viele Vorfenntniſſe wie die „Populäre Aſtronomie“ von Newcomoö. 
Das Buch bringt eine Fülle von Anſchauung5material, welches aus dei 
beiten zuganglichen Quellen zuſammengetragen itt. Namenilich die 
Schäße des Heidelberger Obſervatoriums, die der rührige Direktor 
Krofeſor Wolf dort aufgehäufi Hat, und die der freigevigeren großen 
amerifaniſchen Warten (der Lickfternwarte auf dem Mouni Hamilto:1 
in Kalifornien Und der Yerfestternwarte bei Chicago) hat Menor 1ür 
jein Werf zu benußen verſtanden, während aus Potsdam leider nur 
ſehr wenig zu befommen war 
In der Ginleitung beipricht Mever Inhalt und Bedeutung der 
Siftronomie, das Licht und das Fernrohr, die HimmelSphotographie un 
die Spektralanalyſe. Der erſte Hauptteil befazt fich dann mit Der 
Beſchreibung der HimmelsSkörper, Der 3weiie mit ihren Vewegunge:n 
Bieſe Art der Behandlüng des Stoffes weicmt von der der mei ire 
anderen- Bücher über die Himmelsfunde volltäandig ab. Meyer gibt 
zuerſt ein Geſamtvild der Erſcheinungen. ivie üe jich dem Betrachter 
in den Inſtrumenten darbieten; im zweiten Hauptteile bringt ex Di? 
iheoretiſchen Grundlagen der Himmelsfkunde, die Vowegungen Der 
Himmelskörper, ihre Bahbnenverbältnifie und die wichtigen Ergopnin2 
der aſtronomiſchen Mekkunit. Davei wird auf die einzelnen zFrageit 
immer ſehr ausführlich eingegangen. Wichtig an Meyers Werk ii, dan 
ex alles, was ſonſt durch mathematiſche Formeln ausgedrüdt wird. 
durch Worte klar zu machen weiß. Meyer will eben die notwendigen 
Einblide in die Himmelskunde auch demjenigen zugänglich machen. Der 
über Feine maibematiſchen S&enntimiie verfügt. Das ÜÜ ein. reit? 
ichwieriges Unternehmen, der glänzenden DarſtollunzgöSgabe WVevors 
aber iſt es gelungen. Jeder Freund dex HimmelsSfunde müßte Meyers 
Leider iſt das Werk nicht billig (14 Mk.i, 
geleſen haben. 
und Jugendvibliothefen JolUten cs 
Gewerk]c<afts- 
„Welt3ebäaude“ 
aber die YVirbeiter-, 
anſchaffen. 
Zum Schluß noch ein autes Buch, 
der ſelbſt Beobachtungen anzuſtellen i1n 
Heines Infirument zur Verfügung oder 11 
cin arößeres zu ben uB on. G2 iſt Profeſſor Kleins „Dandbum der 
allgemeinen Himmels8beſ<hreibung“, Dd das ſorgfaltig umd 
fleißig alles zuſammenträgt, was wir über die Himmels?körper und ihre 
Beſchaffenheit wiſſen und das durch Literaturangaben weiterweiſt, wenn 
jemand genaueres über einen Gegenſtand zu erfahren wünſcht. CS iſt 
naturgemäß ſchon wegen feiner Aufgabe umfangreich und teuer 
(10 Mark.) 
Neben dieſen allgemeinen Darſtellungen gibt es noch eine ganze 
Reihe Jpezieller, die fich mit Sondergebieten aus der HFimmelsfiundeo 
befaſſen. Namentlich ſci auf die meiſt recht guten Bücher der Teuvner- 
iſchen Sammlung „Aus Natur und Geiſtezwelt“ (Preis pro Bändchen 
1,25 Mk.) verwieſen. Solche Werkchen ſollen gelegentlich beſproche? 
werden, Jelix Linke. 
das fich für denjenigen eignet, 
der Lage iſt, der aliv ein 
Gele genbeit hat. av Und 3
	        
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