Arbeiter - Jugend.
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muß, wo e3 ſo ſtinkt und ſie aus dem Huſten nicht bherauskommt?
Nein, mit den Geſchichten verſchone mich lieber.
am Ende gar, daß wirklich Demut und Barmherzigkeit notwendig
ſind, damit die Menſchen zuſammenhalten? Sind wir zwei nicht
befreundet, ohne daß einer gegen den anderen „barmherzig“ ſein
muß? Gerade zwiſchen den Reichen und den Armen herrſc<t ver-
dammt wenig Zuſammenhalt!“
Der andere war nachdenklich geworden; endlich aber ſagte er:
„Aber da3 iſt do< wahr, daß c3 immer Reiche und Arme gegeben
„af, und das kann man auch nicht abichaffen. Weißt Du noch, wie
der Lehrer uns in der Schule von den alten Römern erzählt hat,
was die erſt alles angegeben haben! Da waren auf der einen
Zeite jo reiche Leute, die Nachtigallenzungen gegeſien haben und
Fiſche, die mit Menſchenfleiſ;g gefüttert waren; und auf der
aiideren Seite waren die armen Sklaven, die zur Arbeit gepeitſcht
wurden. Haben wir es da nicht doch no< immer beſſer?"
„Da8 iſt ſchon wahr,“ ſagte der Kleinere zögernd. „Aber
nimmer war es doch nicht ſ9. Zum Beiſpiel die alten Deutſchen, die
die Romer jo verklopft haben; bei denen hat es keine fo reichen
11i1d Feine jo armen Leute gegeben wie bei den Römern. Vielleicht
ivaren fie gerade deShalb die Stärkeren. Am Ende geht es uns
aid nod) 10, daß von irgendwo fremde Völker kommen, bei denen
68 no< nicht ſo viel Elend gibt, vielleicht die Japaner, und uns
iit3- und Heinſchlagen wie damal3 die Deutſchen die Römer.“
„Na, das glaube ich gerade nicht,“ lachte der Größere. „Mit
1118 werden ſie nicht ſo raſch fertig werden; no< dazu habe ich
neulich in der Zeituig geleſen, daß e38 dort drüben jetzt auch ſchon
iv ausſ<haut wie bei un8, daß ſie auc< Fabriken haben und reiche
Fabrikanten und viele arme Teufel. Das iſt eben ſo auf der
anzen Welt; und wenn c38 auch vielleicht wirklich ein Uebel iſt, ſo
it Dody) dagegen keim Kraut gewachſen.“
„Aber die Sozialdemokraten ſagen doch, daß es nicht ſo ſein
iuß.“ Der Kleinere geriet wieder in Eifer. „Erſt unlängſt hörte
ich in der Werkſtatt ein Geſpräch mit an. „Laß nur mal die
Sioton zur Macht kommen,“ fagte der lange Max, weißt Du, das
iit der junge Sozi, von dem ich Dir ſchon fo oft erzählt habe, „und
Thor werdet ſehen, wie alles ander38 wird. Wenn nur einmal die
wWeybeiter wirklich zuſammenhalten, dann können ſie kommandieren,
ind dann werden ſie ſelber eſſen, was fie geſ<hafft haben.“
„3a freilich,“ unterbrach hier der Größere lachend, „Eure
"ieichimen, die Jhr macht, die werdet Ihr aufeſſen und wir werden
ade Kleider ſelber anziehen, die bei uns im Magazin liegen.“
„Na, jo dumm iſt Max nicht,“ jagte der andere zornig, „daß
er jo was glaubt. Natürlic<, wenn nur wir in unſerer Werkſtatt
nd Ihr in Eurem Geſfhäft anfingen, dann könnte nichts Ge-
icheites dabei herausfommen. Drum müſſen eben alle zujammen-
balten. Dann kann jeder das kriegen, wa3 er braucht.“
„Na alſo,“ erwiderte der Größere, „da biſt Du ja bei der
Teilerei. DaS8 ſagt ja auch der Vater immer. Die Sozialdemo-
S<h mußte auch Maler- und Anjtreicherarbeiten verrichten. Da
crinnere ich mich an eine halb tragiſche, halb heitere Epiſode: Wir
vatten im nahen Dörfchen NR. in einer kleinen Kapelle Altar, Kanzel
and Kirchengeſtübl zu reparieren und zu renovieren. Das Geſtühl
halte ich ſchon geſtrichen, auch vie Türen. Jeßkt hatte ich den Altar
zu grundieren. Fextigmalen wollte die Sachen der Meiſter ſelbſt. Wie
19 vft ſaß der gute Mann wieder einmal im Wirts8hauſe und ließ mich
äiein hantieren. J<h war aber mit meiner Arbeit fertig und wußte
nichts mehr anzufangen. Die Langeweile verleitet junge Leute manch-
nial zu übermütigen Streichen; ſo ging's auch mir. Jh war, nebenbei
bemerkt, proteſtantiſch, mein Meiſter, wie ſchon bemerkt, war Katholik
111D die Kapelle war ein katholiſches GotteShaus. C38 überkam mich nun
die feltſame Luſt, dieſen „Katholiſchen“ einen Schaberna> zu ſpielen.
Wie ich dazu kam, weiß ich nicht mehr; e8 mag ſein, daß der Kultur-
iampf, der um jene Zeit in Deutſchland tobte und der ſeine Wellen
auch in unſer ſtilles Dörfchen ſchlug, mit die Urſache meiner die Katho-
liien geringſc<häßenden religiöſen Ueberzeugung war. Vielleicht trugen
auch die Lehren des Evangeliſchen Sonntagsblattes8, das ich regelmäßig
und z2ifrig las, dazu bei, daß ich auf ſolche Gedanken kam. Au38 Wahn
und Uebermut war mein Einfall jedenfalls geboren. |
349 fing alfo an, die Figuren am Altar zu bemalen! Die zwei
Cngel, die links und rechts oben ſchwebten, bekamen ſchneidige Schnurr-
värt<hen. Den ziemlich glatten Kopf der Holzfigur des Apoſtel Johannes
malte ic) ganz weiß, das Geſicht zierte bald ein nach unten hängender
langer Schnurrbart. Sein faltiges Gewand malte ich voll Figuren und
Blumen, jo daß er ſchließlich ausſah wie ein phantaſtiſcher Chineſe.
Tem Petrus (den ich damals ohnedies nicht leiden konnte, weil er,
10 meinte ich, der erſte Papſt war, und vor allem, weil er Jeſus ver-
leugnet hatte), malte ich ſein Haupthaar knallrot, die Naſe beſtrich ich
mit Zinnober und die Oberlippe machte ich mittel8 ſchwarzer Farbe
6. Schnupftabaks8tupfen. ſo daß dieſer Apoſtel wirklich komiſch anzu-
eden war. “
Und glaubſt Du
fraten wollen teilen und dann fängt die alte Geſchichte von vorn
an. Dazu wollen ſie alle Ordnung umſtürzen, den Kaiſer adb-
Ihaffen und die reichen Leute aus8plündern. Dann geht das große
J3uchhe lo8, bis alle8 durchgebracht iſt. Na, ich glaube ſelber,
Vater übertreibt da; aber etwas wird ſchon dran fein. Wenn
beute geteilt wird, iſt morgen die alte Geſchi<te, nur daß jett
andere Leute reich find, al3 die es früher waren. Aber dazwiſchen
wäre eine Revolution mit Mord und Brand, mit all dem Jammer
und Elend.“
„So was ähnliches hat unlängſt auch der Werkführer bei uns
gejagt. Da iſt aber Max wütend geworden. „Wie oft“, hat er
gejhrien, „joll man e8 Euch no< ſagen, daß wir gar nicht teilen
wollen, daß wir gerade wollen, alles oll allen gemeinſam gehören.
Heute iſt alles unter die Reichen verteilt und die Armen haben faſt
aar nichts. Jhr teilt, nicht wir.“ Cs war ein Glü>, daß Max zum
Verein der Metallarbeiter gehört, ſonſt wäre er hinau8geflogen
für jeine Keckheit; aber mit denen bindet der Werkführer micht
gern an. Ganz habe ich freilich auch nicht verſtanden, was er ge-
.meint hat.“
„Stehſt Du, das iſt e8 eben,“ erwiderte nun der Größere in
überlegenem und lehrhaftem Ton. „Die meiſten Arbeiter vor-
jtehen jelber nicht recht, warum ſie für die Roten find. Wenn man
nicht auf dieſe unverſtändlichen Phrafen hört, ſondern ſich das
wirkliche Leben betrachtet, dann ſieht man, daß die Zozialdemo-
Fraten das Kleingewerbe, den geſunden Mittelſtand, ruinieren,
daß ſie den Landarbeiter in die Stadt loc>en, wo er nur unglücklich
wird, daß ſie überall Unzufriedenheit und Unfrieden ſtiften, kurz,
vaß jie auf den Umſturz au38gehen. Was3 ſie wollen, das iſt ein
unmöglicher Unſinn, und wie ſie e8 durchführen wollen, das iſt
gar jc<lecht und dumm. Werden die Arbeiter vielloicht glücklicher
jein, wenn die Sozi die Familie zerſtört haben, wenn alle Ord-
nung aufgehört hat und jeder nur nimmt, fo viel er erwiſchen
fann? Die unverſtändlichen Redereien der Agitatoren verführen
die Arbeiter nur zum Unglü>. Ein Bli>k ins wirkliche Leben zeigt
das jofort.“
„Glauben Sie das wirklich?“ miſchte ich mich nun in da3
Geſpräch, dem ich mit wachſendem Intereiſe gefolat war. Zum
Schluß hatte allerding3 der Größere von den beiden Jungen ge
jprochen, wie wenn er eine eingelernte Lektion herſagte. Man
merkte, daß er das, wa3 er da herbetete, oft und oft mußte gehört
haben. „Glauben Sie das wirklich," fagte ich alio, „daß 19 die
Lehren des wirklichen Lebens ausfehen? TDa8 haben Sie gewiß
no< nicht ſelbſt ausprobiert. J<4 höre es Ihnen an. daß Sie da
nur was Angelernte3 herſagen.“
Im erſten Augenblit waren die beiden jungen Leute er=
ſ<roden und auch unwillig, daß ſich ein Fremder, von defien An-
weſenheit fie gar keine Notiz genommen hatten, in ihr Geſpräch
miſchte. Bald aber war e3 mir gelungen, mir ihr Vertrauen zu
erwerben, und nun ſprachen wir weiter über die Fragen, über die
Der Maria malte ich (ic< hatte als Rroteſtant gar kein Verſtändni2
für den Marienkult) einen Ba&>enbart und Sommeriproſjen. Jedoch
dieſes reute mich bald aufrichtig wieder, denn, fo fſinnierte ich, wenn die
Maria auch katholiſch iſt, ſo iſt ſie dvo< die Mutter des Heilandes. Sie
hatte ja auch das Jeſuskindlein auf den Armen. Ueberhaupt zwang
mir der Anbli> einer Mutter mit Kind immer Ehrfurcht ab. So ging
es mir auc< mit meiner Meiſterin, wenn ſie in der Werkſtatt am Ofen
ſaß und ihr Jüngſtes ſäugte.
Jdh übermalte alfo den Bad>enbart bei der Maria wieder, dann
auc< die Sommerſproſſen. J<h malte ihr ſ<öne zarte Brauen Über die
Augen, und über die Backen zog i< mit meinem Pinſel einen leichten
Roſenhauch, ſo daß die Madonna nun lieblich anzuſchauen war.
Um da3 Ganze no<hmal3 zu überbliden, trat i< vom Gerüit herab
und wenige Schritte zurüd>, bis auf den Teppich, der in der Mitte des
Ganges ausgebreitet lag. Al3 ich mich fo re<ht an meiner mutwilligen
Leiftung ergößte, bekam ich plößlich von hinten über die Schultern eine
mächtige Ohrfeige gehauen, ſo daß iH taumelte. C3 war der Pfarrer
von R., der auf dem Teppich ungehört eingetreten war und meiner
Vebeltat anſichtig wurde. Mit feuerrotem Geſicht ſtand er nun vor
mir, fing an zu ſchimpfen und ging mit geballten Fäuſten wütend auf
mich lo8. Allein ih war .dur<ßg den erhaltenen Schlag nicht minder
empört und fühlte mich ſchwer beleidigt. Auch ich pate an und wehrte
mich mit aller Kraft -- gar manchmal krachte die von dem korpulenten
Geiſtlichen allzu ſtraff ausgefüllte Soutane, als wir uns ſo zwiſchen
dem Kirchengeſtühl herumbalaten. Allein der Pfarrer war ein großer
fräftiger Menſch und maſſiv gekaut. J<h war zwar auch kein Schwäch-
ling, doH immerhin erſt 13 Jahre alt. So lag ich ſchließlich al3bald
draußen vor der Kapellentür. |
* „Solch ein lutheriſcher Zipfel“, ſchimpfte der Pfarrer, „hat in
einem katholiſchen Gotte8haus überhaupt nichts zu tun, JH werde dafür
ſorgen, daß Dich Dein Meiſter ordentlich dazwiſchen nimmt.“
(Schluß folgt.)