268
ſie eben geſtritten hatten; binnen kurzem waren wir gute Bekannte |
geworden. Der Kleinere von den beiden war jugendlicher HilfS3-
arbeiter in einer Maſchinenfabrik, der Größere war Handlungs8-
lehrling in einem Kleiderkonfektion3geſchäft. Sie hatten ſc<on
als Kinder viel zuſammen geſpielt und waren in dieſelbe Sc<ul-
Faſſe gegangen, und ſo hatte ſich die warme Freundſ<aft erhalten,
auch als ſich ihre Leben8wege trennten. In ihren Anſchauungen
gingen ſie freilich oft rec<t weit aus8einander, da jeder von ihnen
ſtark von der häuslichen Umgebung beeinflußt war. Wilhelm, der
fünftige Kommi8, war der Sohn eines Shußmanns8, Karl der
eine8 Arbeiter38. Es war daher nur natürlich, daß ihre Eltern in
vielen Dingen ſehr verſchieden dachten, und das färbte auch auf die
Söhne ab. Der Streit, den ic<ß eben mitangehört hatte, war nicht
der erſte über dieſen Gegen-
ſtand, und biSher war es
no< feinem von den beiden
gelungen, den anderen für
ſeine eigene Anſicht zu ge-
winnen.
Da ſich Wilhelm ſelbſt
auf die Lehren de3 wirklichen
Lebens berufen hatte, regte
ich nun an, daß damit aud)
Ernſt gemacht werden Jolle.
Wir verabredeten, daß wir
uns am nächſten Sonntag
wieder treffen wollten. Um
in der einfachſten Weiſe feſt-
zuſtellen, ob denn die Ber-
hältniſſe wirklich jo veränder-
lich feien, wie beſonders
Wilhelm behauptet hatte,
meinte ich, daß e3 da3 prak-
tiſchſte wäre, ivenn jeder von
uns ſeinen Vater erſuchte,
ihm ſeine Leiden3geſchichte zu
erzählen. Darüber wollten
wir uns dann berichten. Da
würde ſich ja gleich zeigen,
ob und wie fich die Ber-
hältniſſe in der letzten Zeit
geändert hätten. So ſc<ieden wir denn mit dem gegenſeitigen
Verſprechen, uns am folgenden Sonntag wieder zujammen-
zufinden.
R
Der junge Sdjiller.
IL
Kinderzeit und Schuljahre.
13 Untertan des Herzog3 Karl Eugen von Württemberg kam
Schiller am 10. November 1759 zu Marbad zur Welt. Der
Vater, ein wenig Abenteurer, dabei rechtſchaffen und tüchtig,
Johann Kaſpar Schiller, ein geborener Schwabe, war nach
langen Irrfahrten, auf denen er als Militärarzt in einem bayeriſchen
Regiment bis in die Niederlande gefommen war, im Frühling
1743 in dem ſchiväbiſchen A>erbürgerſtädtc<hen des Nedartal3 exſchierien,
um ſich dort als Arzt niederzulaſſen. Jm Sommer jenes Jahres hatte
er vort die Tochter des Löwenwiris geheiratet, bei dem er wohnte:
Eliſabeth Dorothee Kodweis, eine Sechzehnjährige, die jich zu einer
ſtarf religiöſen, fanften, überaus ſorgſamen Gattin und Mutter ent-
widelte. In MarLlach machte der Wundarzt ſchlechte Geijchäſte. Zudem
verfiel der ſchwiegerväterliche Wohlſtand, auf den der HÜluge Schwieger-
ſohn gerechnet katte. So nahm er mit der Waffe württembergiſche
Kriegs8dienſte und machte al8 Leutnant den ſiebenjährigen Krieg mit.
Na<G dem Ende des Krieges -- an dem der edle Herzog übrigens
al35 Gegner ſeines Erzieh2r8, Friedrichs Il., teilgenommen hatte --- er-
hielt der inzwiſchen zum Hauptmann vorgerückie BVater Schiller die
wenig beneidete Stelle eines würitembergiſc<en Werbeoffiziers. Cr
nahm den Wohnſitß in dem entzü>enden Lord, nahe ſeinem Arbeits-
plaß, der Reichsſtadt Schwäbiſch-Wmind. Im Lorch erhielt unſer Dichter
auch den erſten Unterricht. Was die Volksſchule bot, war wenig.
Hauptſache war der kleine lutheriſche KatechiSmus. Aber der Paſtor
Moſer, ein wackerexr Mann, deſſen Schiller in den „Näubern“ ge-
dachte, unterrichtele den Knaben im Lateiniſchen. Dur< Beruf und
Perſönlichfeit des Pfarrers angeregt, beſchloß der junge Schiller, eines
Tages, ein ſchwäbiſcher Paſtor augsburgiſcher Konfeſſion zu werden.
GCinſtweilen brachte ex dieſe Abſicht kindlich zu vorläufiger Ausführung.
„Oft“ -- ſo berichtet uns Schillers ältere Schweſter Chriſtophine
-=“ „ſtieg er auf einen Stuhl und fing an zu predigen. Mutter oder
Schweſter mußten ihm eine ſchwarze Schürze umbinden und ein Käpp-
hen auffeßen. Dabei ſah er ſehr ernſthaft aus. Was3 zugegen war,
ap
210
Rixdorfer Jugendheim: Verſammlungsraum.
Auffahrten de8 Hofes, Jagden, zu denen der Herzog Hirſche
Arbeiter- Jugend.
mußte ihm zuhören, und wenn jemand lachte, wurde er fehr univillig,
lief fort und ließ ſich ſobald nicht wieder ſehen. Dieſe kindiſc<en Vor.
träge hatten immer einen richtigen Sinn. Er reihte einige Sprüche,
die er in der Schule gelernt hatte, paſſend zuſammen und trug ſie mii
Nachdrud vor; auch hatte er ſich aus den Predigten des Pfarrers ge-
merkt, daß dieſe eine Ginleitung haben müſſen, und er gab ſeimen
Vorträgen immer dieſe gehörige Form.“
Edcniller war indes nicht unkindlich. Wohl war er häufig ern
und Jtil, abex dann doch auc< wieder zeitweilig zu wilden Knaben-
pielen aufgelegt. Seinen Freunden imponierte ex weniger durc ſeine
Muskeln als8 durch ſeine geiſtige Veberlegenheit. Dabei fehlte ihm jeder
Hochmut. Crx war gutmütig, zärtlich, innig -- und, wie un3 überliefert
wird, in übertriebenem Maß zum Schenken geneigt. Geniale Natüron
find immer verj]<wenderij< --
im Kleinen wie im Großen, in
Dingen und Ideen.
Die Verſcezung des BVater3
nac<h der herzoglichen Reſiden;-
ſtadt Ludwigsburg im Jahre
1766 ſtellte den jungen Schiller
dann mancher ungeahnten Herx-
lichfeit gegenüber. Ludwigsburg
iſt ein langweilig geradliniger,
nüchterner, phantaſielos amngge-
legter Plaß -- wie Karlsörube
und Mannheim eine echte Fürſten-
gründung, bei der die Geometric,
nicht die Kunſt Pate ſtand.
Dazumal war Ludwigs5burg als
Zentrum der herzoglichen Ver-
jh<wendungen eine der aller-
eleganteſten Reſidenzen Curopa3,
Die Straßen wimmelien von
Marſ<ällen, von Offizieren,
von Kammerherren, Jagdiun-
fern, von Pagen, von gal.-
nierten Lakaien, von Heiduclcn
und Mohren. Prachtvoll war
der herzogliche Marſtall, der
um 600 Pferde edelſter Zucti
barg. Paraden, bei denen gold-
bejtidte, pelzbeſezte Uniformen zur Schau getragen wurden, feierliche
11:5
Wildſchweine jeweils nach Tauſenden zufſammentreiben ließ, prunkvol:c
Feuerwerke, in denen der berühmte Pyrotechniker Veroneſe den Fleizz
des Landes verpuffte, Meſſen und Konzerte -- zumal aber die glanze-
den Vorſtellungen der herzoglichen Bühne füllten das Leben des Hofe2-.
Als Offigier3ſohn -- der Vater ſtand jekt als aktiver Soldat in ſeine:n
aiten Regiment -- hatte der junge Schiller freten Zutritt im ]piege:-
reichen „Komösdienhauſe“, das allen Opernbühnen Deutſchlands au
Größe und Pracht den Rang ſtreitig machte. Dichteriſch waren die
Darbietungen dieſcr Bühne wenig wert. Ueberdies konnte Schiller dc!
Texten nicht folgen, da der Herzog nach dem eleganten Geſchmad> der
Ieit nur italieniſche und fſranzöfijihe Bühnenfkünſtlex beſchäftigt.
Immer aber war dem Knaben das ausgezeichnete Orcheſter und der
ſzeniſche Pomp intereſſant. Da gab es künſtliche Clefanten, fünſtlictc
Löwen, donnernde Aufzüge mit Pferden, die blendendſten Balletts, vdi2
der berühmte Tanzmeiſter Noverre einrichtete und der berühmir
Ballerino Veſiris anführte, zivei Artiſten, die ſonſt faſt bloß in Par!s
zu ſehen waren. Dies ganze Gepränge konnte zwar nicht zum Herzen
gehen. Aber es hat ſicherlich dazu beigetragen, Schillers ahnungsvollen
fünſtleriſchen Neigungen die Richtung aufs Theater einzuprägen uiid
in ihm das Bedürfnis nach einem über dieſen fremdländiſchen Oper!"-
vrunf weit hinausweiſenden, nach einem ſeelenvollen deutſ<hci
Drama vorzubereiten. Zunächſt machte ſich der junge Schiller ein ſcor
primitives Marionettentheater zurecht. Aber der Dreizehnjährige hat --
wenn der Vater Recht behält -- ſogar ein „Trauerſpiel“ geſchriebei",
an dem Theologe und Dichter gleichmäßig Leteiligt geiveſen ſein mögen:
„Die Chriſten“ -- von dem wir heute nicht3 wiſſen, als den Titel.
Vorderhand ſah ſich der junge Schiller freilich doch noc< eher a!s
fünftigen Pfarrer, denn als künftigen Dichter. Er ſtrebte mit Cirer
dem theologiſchen Ziel zu. Er beſuchte die Lateinſchule, lernte ci!
wenig Griechiſch und Hebräiſch und erſchien nach der Sitte der württem-
bergiſchen Lateinſchüler =- vier Jahre lang =-- alljährlich vor dem Ant!!18
des geſtrengen Herrn Rektors vom Stuttgarter Gymnaſium, um ci“
Prüfung abzulegen. Mit Schaudern erinnerte ſich Schillex noch 1:>!l
des Gegenſtandes der Beklemmung:
„Wie ungeſtüm dem grimmen Landexamen de3 Buben Herz geklopft!
Wie ihm, ſprach ißt der Rektor ſeinen Namen,
Der belle Schweiß aufs Buch getropft!“
Schiller beſtand regelmäßig und hoffte, binnen kurzem als SiuvdioyUs
der f<hwäbiſch-lutheriſ<en GotteSgelahrtheit dazuſtehen. Da griff Kar!
Cugen beſtimmend ins Leben des jungen Menſchen ein. (Schluß foigt.'